Sonntag, 16. Juli 2023

"Hat Mutti getrunken?"

 Das fragte mich der Pastor vor nun schon fast 15 Jahren, als ich ihn zur Haustür begleitete, nachdem F. und ich gemeinsam mit meiner Mutter mit ihm das Vorbereitungsgesrpräch für die Trauerfeier meines Vaters geführt hatten.

Dabei hakte er mich vertraulich unter, aber noch viel mehr als das ist mir in Erinnerung geblieben, dass er irgendwann in die Unterhaltung einfließen ließ, dass meine Vorfahren wohl extrem evangelisch gewesen seien.

Immer wollte ich ihn mal anrufen und nachhaken, was genau er damit gemeint hatte, und ich erfragte sogar vor langer Zeit schon seinen Namen von meiner Schwester, denn ich hatte ich prompt wieder vergessen, während sie einst von ihm konfirmiert wurde und dadurch natürlich wusste, wie er hieß.

Gestern machte ich endlich Nägel mit Köpfen und stieß im Vorfeld u.a. auf einen Wikipedia-Artikel über den Mann, der sich einen Namen machte, weil er sich sehr um Obdachlose kümmerte, genau wie um Gehörgeschädigte, und nebenher ähnlich geschichtlich aktiv war wie mein Papa.

Bei ihm war es neben der hiesigen die Königsberger Stadtgeschichte, waren seine Eltern doch infolge des Krieges mit ihm als kleinem Bub von dort geflohen und nie verlor er den Bezug zu seiner Heimat, richtete sogar in unserem großen Stadtmuseum eine eigene Abteilung dafür ein, an die ich mich aus meiner Kindheit noch gut entsinne, denn mit Papa verbrachte ich viele Stunden dort, weil er wegen seiner Ausgrabungen in ständigem Kontakt mit den Museumsleuten war.

So vorbereitet rief ich dann die Nummer an, die ich im Internet ermittelt hatte, und bekam erst mal seine Frau an die Strippe, die sich - wie niedlich - mit Vor- und Nachnamen meldete, so wie wir es als Kinder taten.

Wie lieb sie klang und schon waren wir mitten in einem kurzen Gespräch, weil ihr nämlich mein Mädchenname sofort etwas sagte - sie habe meine kleine Schwester auf dem Gymnasium in Religion unterrichtet.

Dann übergab sie an ihren Mann und nun verselbstständigte sich die Sache.

Eigentlich war es mir darum gegangen, dass ich mehr darüber erfahren wollte, in welchem Geist Papa und seine Geschwister aufwuchsen - immerhin hatte es ja auch diese Geburtsanzeige gegeben, in der mein Opa im Mai 1933 die Geburt zweier "kräftiger Hitlerjungen" vermeldete, ich wollte wissen, wie er sozialisiert wurde, was ihn und meine Onkel wie stark geprägt haben mag, aber ich war eindeutig zu spät dran.

Natürlich konnte sich der alte Herr mit seinen nun schon 85 Jahren nicht mehr an unser damaliges Gespräch erinnern und dadurch auch nicht daran, was genau er mit seiner Aussage gemeint hatte, aber das tat seiner Redefreude keinen Abbruch, denn kaum hatte er verstanden, dass ich mich sehr für die Vergangenheit interessierte, schleppte er dicke Bücher herbei und fing an zu blättern.

Ja, da hatte er es schon, das Rittergut meiner Ahnen, dessen Überreste Papa und sein Zwillingsbruder 1969 begannen auszugraben, unter meiner emsigen Mithilfe, immerhin war ich doch schon 8 Jahre alt. 😀

Fast anderthalb Stunden redeten wir, es wurde ein interessanter Ausflug in die Geschichte und erst als er die Calvinisten erwähnte, die einst aus Holland fliehen mussten, wurde mir bewusst, dass ich früher schon davon hörte, dass es in unserer Familie auch einen Bezug zu Brügge gab.

Auch von dort waren die Calvinisten natürlich abgehauen, da liegt also vermutlich die Ursache für das "Hardcore-Evangelische", das er erwähnt hatte.

Nun habe ich beschlossen, dass ich demnächst mal zu dem Friedhof in meinem Geburtsstadtteil fahren werden, auf dem sich neben dem Zwillingsbruder auch noch andere Familienangehörige befinden, vor allem aber eine ganze Batterie von Pastorengräbern, alle mit meinem Mädchennamen und alle zu unserer Sippe gehörig.

Vielleicht kann ich da anhand der Angaben auf den Steinen ja noch mehr herausbekommen ...

Als ich ihm dann in einem der wenigen Momente, in denen ich auch einmal zu Worte kam, von den vielen "alten Schätzen" erzählte, die sich in meinem Besitz befinden und von denen ich keine Ahnung habe, was damit nach mit geschehen soll, wurde er sogleich hellhörig und gab mir die Namen der Direktoren von Stadtarchiv und -museum. Ich solle mich doch um Gottes Willen um Termine bei ihnen bemühen und mich dabei auf ihn beziehen, denn die würden sich sicher sehr freuen, besonders auch über alte Dokumente.

Von denen ich reichlich habe ...

Noch einmal wurde es interessant, als unser Trip in die Vergangenheit auch nach Nordhessen führte, denn es war mir noch nie wirklich aufgefallen, dass die kleinen Dörfer dort alle nur über uralte evangelische Kirchen verfügen, man aber so gut wie nix Katholisches sieht.

Ja, das habe an den vielen kleinen deutschen König- und Fürstentümern gelegen, führte er aus, denn genau dort sei der Landesherr im Gegensatz zum Drumherum streng evangelisch gewesen.

Dann ging es natürlich auch noch um Religion, immerhin ist er Pastor und ungeheuer stolz darauf, dass "seine" kleine Stadtkirche inzwischen als die schönste weit und breit gälte, weil so liebevoll renoviert. Umso trauriger mache es ihn, dass er kaum noch welche seiner ehemaligen Konfirmanden sehe, sie seien alle einfach verschwunden.

"Ist denn gar nichts von dem hängen geblieben, was ich einst mit ihnen besprach?", fragte er ratlos und wirklich hörbar traurig.

Ich biss mir auf die Zunge und erwähnte natürlich nichts davon, dass ich selbst bereits vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten bin, doch als er dann meinte, der Geist, in dem man erzogen worden sei, wäre trotz allem sehr prägend, warf ich immerhin ein, dass manche eben irgendwann unter Umständen doch anfangen, selber zu denken.

Damit hatte ich ihn, das fand er sehr wichtig und einig waren wir uns auch darin, dass man sehr früh lernen sollte, was man tut oder eben auch lassen sollte.

Fazit, auch wenn ich das, was ich eigentlich wollte, nicht herausbekam, war es doch eine sehr anregende Unterhaltung, doch dauerte sie so lange, dass ich die Schrubberei an der Esszimmerdecke dann vergessen konnte, aber heute ist ja auch noch ein Tag. 😀


Später geriet ich in eine Fernsehsendung, in der es um Lebensmittelverschwendung ging, und ich war einigermaßen entsetzt, als dort gesagt wurde, dass es gar nicht nur die Wirtschaft ist, sondern dass tatsächlich 59 % der weggeworfenen Nahrungmittel aufs Konto der Privathaushalte gehen.

Die völlig hirnrissige Panik, die manche vor dem blöden Mindesthaltbarkeitsdatum haben, ist das eine, die andere aber auch, wie planlos oft gehandelt wird.

Man zeigte einige Beispiele, wie die Leute ohne Einkaufsliste losziehen und mitnehmen, was ihnen grad ansprechend aussieht.

Zu Hause stellen sie dann fest, dass nix zusammenpasst, also wandert vieles vom Gekauften irgendwann in den Müll, weil es sich nie verwerten ließ, und noch schlimmer fand ich die Kocherei.

Man bereitet ein Mittagessen zu, bleiben Reste, ab damit in die Tonne - wie kann man nur???

Genau das sehe ich tatsächlich auch bei meiner Schwägerin oder bei Nachbarn. Nach dem Essen werden die Reste einfach offen auf dem Tisch stehen gelassen und wenn nicht sofort, werden sie später entsorgt, auf die Idee, sie für den nächsten Tag neu zu kombinieren oder mit irgendetwas zu strecken, kommt man gar nicht erst.

Will mir nicht in den Kopf, wie man so achtlos mit den Dingen umgehen kann. 😣


Und nun aber wirklich ran mit mir ans Esszimmer ... 😂


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉


3 Kommentare:

  1. Also mein erster Gedanke als ich die Überschrift las war, geht es heute um die Physikerin von driben? Nein, sehr wohl nicht !!! Und das ist gut so. Was machst du mit den ganzen Dokumenten? Hast du da schon Jemand im Blickfeld der sie weiter betreuen könnte? so dass sie weiterhin in deiner Familie bleiben. Heute habe ich noch etwas "gearbeitet" ! Ist vielleicht von Interesse für dich?
    https://kraichgau.news/region/c-freizeit-kultur/tabakanbau-hier-vor-ort-wie-es-damals-war_a110482
    Das konnte ich leider so im Blog nicht veröffentlichen. Ja, das mit der Lebensmittelverschwendung ist ein großer Skandal. Containern wird unter Strafe gestellt. Heute sah ich am Bahnhof eine ältere Frau, wie sie einen Abfallkorb nach Pfandflschen durchsuchte. aber Hauptsache alle Geld fließt in die Ukraine. Klimawandel ist ein Geschäftsmodell

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  2. Warum konntest du das denn nicht in deinem Blog veröffentlichen?
    Deutsche Steuergelder fließen übrigens nicht nur in die Ukraine, sondern sogar China bekommt nach wie vor Entwicklungshilfe von uns, weiß der Deibel, warum man das nicht endlich stoppt. 🙄
    Und mit den Rentnern hast du leider recht. Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen haben sie keine Lobby und es ist eine Schande, wie dieser Staat viele erst in den Niedriglohnsektor getrieben hat, um ihnen am Ende als Lohn für ihre harte Arbeit ein völlig unwürdiges Leben zu bescheren.

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  3. Musst ja nur in die vollen Einkaufswägen der anderen schauen, liebe Rex-Mama, da passt das meiste nicht zusammen ... Immer wieder bin ich froh, dass ich für Kochabfälle und wirklich unbrauchbare Reste meine Hendln habe!

    Lieben Gruß

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