Wie am Schnürchen lief gestern alles und los damit ging es schon in der Sparkasse.
Ausnahmweise mal keine Warteschlange, sofort konnte ich durchgehen und mit nur einem Klick hatte die freundliche Mitarbeiterin das Gewünschte in F.s Konto umgestellt, so dass ich anschließend die Auszüge am Automaten herauslassen konnte und F. nun seine gewohnte Routine forführen kann.
So zügig war das gegangen, dass mir noch die Zeit für einen kleinen Ladenbummel blieb, bevor ich pünktlich um elfe bei "meiner" türkischen Familie anschellte.
Beide Kinder schliefen, da es am Vorabend wohl spät geworden war, was uns nun zunächst etwas Freiraum verschaffte, und so saßen wir kurz darauf fröhlich plaudernd auf einem der Sofas.
Als ich von der angedachten Tagesfahrt mit dem Bus an die holländische Nordseeküste erzählte, begannen A.s Augen zu leuchten - sie schien deutlich daran interessiert, vielleicht auch mitkommen zu wollen, was mich wirklich freuen würde, denn ich mag sie sehr.
Wie nicht anders zu erwarten kann sie nicht schwimmen, meinte, sie habe zu viel Angst vor dem Wasser.
"Kein Wunder", sagte ich, "wenn ich nicht schwimmen könnte, hätte ich auch Angst, aber das lässt sich hinkriegen, denn schwer ist es nicht."
Schränkte dann aber gleich (augenzwinkernd) ein: "D.h., wenn das bei dir klamottenmäßig überhaupt geht, denn ich habe es natürlich leichter, darf mich ja ausziehen."
Ach, das sei kein Problem, meinte sie, sie habe "so ein Ding" ...
"Einen Burkini?"
"Genau", sie nickte, wobei ich aber nun gar keine Ahnung habe, wo am Strand sie sich diesen überhaupt anziehen könnte, denn ich selber habe die Badesachen immer schon an und lasse sie hinterher an mir wieder trocknen, so dass ich gar keine Umkleidemöglichkeit benötige.
Na ja, egal, meine Freundin A. scheint sich ja auch eher aufs Meer-Gucken statt -Benutzen verlegen zu wollen, dann würden sie halt zu zweit im Sand sitzen und mir zuschauen, wie ich mich alleine in die Fluten stürze, falls sie sich uns wirklich anschließen sollte. 😂
Ich hatte schon registriert, dass sie auf dem Tisch neben zwei Tellern und einem abgedeckten Kuchen auch Schulbücher bereitgelegt hatte, und nun zogen wir nach dort um.
Während ich mir die Hände waschen ging, brachte sie aus der Küche selbstgemachte "Pide" herbei, dazu zwei kleine, mit würzigem Reis gefüllte Paprikaschoten und natürlich den umvermeidlichen Tee.
Alles sehr lecker, doch diesmal wurde das Essen zur Nebensache, weil wir parallel gleich ins Deutschlernen einstiegen, und das sehr intensiv und ganz anders als mit ihrem Mann, der allerdings auch schon sehr viel weiter ist als sie.
Vom Lerntypus her ist sie mir sehr ähnlich - ganz viele Bleistiftanmerkungen im Buch, dazu Blätter über Blätter, auf den sie versucht, in meist tabellarischer Form Ordnung in den Wust an Einzelheiten zu bringen, und während ich mit M. meist ganz allgemein rede und er mir viele Fragen stellt zu deutschen Gepflogenheiten, ging es ihr nun um einzelne Aufgaben.
In der Prüfung bekommen sie beispielsweise ein Foto gezeigt - etwas ganz Banales, eine Frau und ein Mädchen stehen auf einem Bürgersteig, links ein Auto, rechts ein Haus - und nun sollen sie beschreiben, was sie sehen.
Sie versuchte es selbst, bat dann um meine Version und gemeinsam arbeiteten wir daran, dass es bei ihr flüssiger werden sollte, genau wie bei dem Stadtplan, anhand dessen wir uns gegenseitig erklärten, auf welchem Weg man welches Ziel am schnellsten erreichen könne.
Dann landeten wir an einem imaginären Infoschalter der Bahn, wo sie sich nach der nächsten Verbindung nach Köln erkundigen wollte, usw., wobei wir auch einige Höflichkeitsfloskeln besprachen, wenn während man sich bei dem auf der Straße, den man nach dem Weg fragt, in der Regel kurz fürs Anprechen entschuldigt, ist dies beim Bahnmenschen nicht nötig, weil es ja sein Job ist und er genau dafür hinter seiner Theke sitzt.
Dadurch kamen wir auch darauf, wie sehr ihr Kontakt zu Deutschen fehlt, denn mit Ausnahme von mir hat sie gar keinen, sitzen doch selbst an den Kassen der örtlichen Lebensmittelläden meist Landsleutinnen von ihr und auch privat sind sie ausschließlich mit Türken zusammen.
Ich glaube, sie möchte wirklich dringend gerne sehr viel mehr mit mir machen, denn nun kam sie auf Schiffe zu sprechen. Sie sähe diese weißen immer auf dem Rhein und würde zu gern mal mit einem solchen fahren.
Eine gemeinsame Hafenrundfahrt, ja, warum denn nicht?
Zwar kostet der Spaß inzwischen knapp 20 Euro, wie ich später ermittelte, aber gönnen könnte man es sich ja trotzdem mal wieder.
"Ist auch toll für die Kinder", sagte ich, aber nun wurde sie energisch, nein, die sollten dann daheim bei M. bleiben, das wolle sie lieber ganz alleine mit mir machen.
"Jawoll, recht hast du", sagte ich augenzwinkernd, "die Männer müssen eh nicht immer dabei sein, lass uns ruhig öfter mal etwas nur zu zweit machen."
Und dann "jammerte" sie wieder einmal über den so ungeheuer reichen Wortschatz der deutschen Sprache, der im Türkischen sehr viel kleiner ist, was auch M. schon oft staunend feststellte.
Während wir sprachen, fügte sie allein ihrer Liste, das Wort "geben" betreffend, einige weitere Einträge hinzu: hergeben, angeben, hingeben, zugeben, beigeben, weggeben usw. - so viele kleine Präfixe, und jedes von ihnen verändert den Sinn, während es für all diese Varianten in der Türkei nur einen einzigen, gleichbleibenden Ausdruck gibt.
Da soll man nicht kirre werden beim Lernen ... 🙄😀
Inzwischen war auch der Kleine aufgewacht, der bis dahin friedlich auf dem Sofa geschlafen hatte, knatschte herum, wollte bespaßt werden - mich störte es nicht, aber A. hatte zusehends mit der Konzentration zu kämpfen.
Nach zwei Stunden fragte sie mich, ob ich noch könne, ich nickte, sehr zu ihrem Bedauern, wie mir schien, denn jetzt musste sie selber zugeben, dass sie platt sei und nicht mehr denken könne. 🤣
So zog ich denn meiner Wege und erledigte gleich noch den Einkauf bei Aldi, während ich dabei weiter über das unsägliche Gendern nachdachte, das A. zwischendurch mal ins Spiel brachte, weil sie irgendwo auf Doppelpunkte, Sternchen bzw. Genderformulierungen gestoßen war, die sie extrem irritiert hatten.
Unsere Stadt tut sich damit besonders hervor, oft sind öffentliche Bekanntmachungen dadurch selbst für mich als Muttersprachlerin so schwer lesbar, dass ich das komplette Durchlesen entnervt aufgebe. Denkt dabei denn eigentlich keiner an die vielen ausländischen Mitbürger, die laut M. hier bereits mehr als 50 % der Einwohner ausmachen?
Muss man ihnen unsere ohnehin schon sehr komplizierte Sprache damit wirklich noch künstlich immer unverständlicher machen? 😯
Wobei mir diese zwanghafte Bildung von Partizipien nicht weniger auf den Geist geht, denn ein Student ist nun einmal etwas anderes als ein Studierender, weil das Partizip Präsens immer aussagt, was jetzt im Moment geschieht - so wie es ja auch ein Unterschied ist, ob ich "Nichtschwimmer" bin oder jemand, der nur jetzt in dieser Sekunde nicht schwimmt, weil er am Beckenrand steht, in diesem Falle also ein nicht Schwimmender ist, aber deswegen nicht unbedingt ein Nichtschwimmer.
Und nachdem ja auch Wörter auf "ant" nun so in Verruf geraten sind, frage ich mich gerade, ob ich jemanden, den ich als penetrant empfinde, nun womögich - politisch korrekt - als "Penetrierenden" bezeichnen müsste ... ? *grübel*😁
Unnu gehts im Esszimmer weiter, wird Zeit, dass ich dort irgendwann mal fertig werde, zuvor werde ich aber noch ein zweites Frühstück für F. bereitstellen, der sich gerade ganz tapfer dem Blutabnehmen aussetzt und dann sicher nach einer Belohnung lechzt. 😀
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Liebe, nur so gelingt Integration. Alle anderen Ansätze verkommen in Heuchelei. Dann noch auf eine solch ideale Persönlichkeit wie dich zu treffen, ist maximaler Gewinn.
AntwortenLöschenIch verneige mich vor dir.
Faradei
Vielen Dank, mein Lieber, nur bin ich glatt bissl rot geworden, fürche ich. 😊
LöschenDieses Lob kann ich nur vollsten Herzens an M. und A. weiterreichen, denn ich finde es höchst bemerkenswert, dass sie sich so sehr für das aufnehmende Land interessieren.
Sicher ihrer Bildung geschuldet, aber auch ihrer Offenheit, sich sogar mit einer absolut "Ungläubigen" zusammenzutun, um mehr darüber zu erfahren.
Integration kann nur funktionieren, wenn sie von beiden Seiten gewollt wird, und natürlich macht es sie nicht einfacher, wenn die Ankommenden hier bereits eine so große eigene Community vorfinden, dass es kaum noch Anknüpfpunkte zur deutschen Gesellschaft gibt und auch das Erlernen der Sprache wenig notwendig erscheint.
Ich denke, das Wichtigste ist die Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören, denn am Ende zeigt es sich im besten Falle, gugge da, unter der ansozialisierten Fassade sind wir ja letztlich doch alles nur Menschen und wir können durchaus auch miteinander statt nur parallel zueinander leben. 😉
Rex-Mama, meist du könntest ihr das Schwimmen beibringen. ich habe mich erst mal schlau gemacht was sich hinter dem Namen Burkini steckt. Meine Es-Frau hatte noch mässige Schwimmerfahrung, aber tauchen wollte sie dann doch mit Hilfe einer "langen Leine" an die sie angekettet wurde. Es ist toll, dass du die Familie beim Erlernen der Sprache untestütztst. Ich habe mich schnell an den Tee gewöhnt.
AntwortenLöschenLach, lieber Helmut, das ist eine Wortzusammensetzung aus Burka und Bikini, und tatsächlich sah ich auch von A. bisher nur das Gesicht, die Hände und Füße unbedeckt, alles andere versteckt sie sorgsam vor den Blicken der ganzen Welt.
LöschenFür mich eine Gratwanderung, weil ich Religionen ja als etwas menschengemachtes ansehe, das unbedingt im historischen Zusammenhang betrachtet werden muss, aus dem heraus sich die "Vorschriften" erklären, die man damals erließ und die bis heute befolgt werden, weil sich keiner traut sie zu hinterfragen.
Hier im Westen lief das dank der Zeit der Aufklärung zum Glück etwas anders, Religion bzw. die Kirchen verloren zu recht an Macht, doch mit zunehmender Einwanderung geht es nun wieder in die andere Richtung, etwas, das mir überhaupt nicht behagt, schon gar nicht, wenn es dazu führt, dass Frauen sich von Männern gemachten Regeln unterwerfen, selbst wenn sie meinen, dies freiwillig zu tun.
Hinnehmen muss ich es trotzdem und ja, ich denke schon, dass ich ihr das Schwimmen beibringen könnte, wenn wir denn nur irgendwo die Möglichkeit dazu hätten.
Das mit deiner Ex-Frau klingt witzig, wobei ich allerdings Angst hätte, mich beim Tauchen in der Leine zu verheddern.
Sie war Afrikanerin, oder?
Welchen Tee meinst du? Trinkst du nun auch den zum Entwässern und wenn ja, spürst du wie F. einen sichtbaren Erfolg an den Beinen?