Dienstag, 9. Mai 2023

Nach der angeregten Diskussion gestern ...

 ... will ich wie angekündigt noch einmal kurz auf die in Familien so gern über die Generationen weitergereichten Verhaltensweisen eingehen.

Meine Mutter war beispielsweise extrem morgenmuffelig.

Traf man auf sie - was selten genug vorkam -, bevor man sich auf den Weg zur Schule machte, durfte man um Gottes Willen nicht nach Parfüm riechen, das kleine Küchenradio hatte auszubleiben (auch Papa drückte sofort den Knopf, wenn er Muttern sich nähern hörte) und selbstverständlich hatte man zu schweigen und keinesfalls das Wort an sie zu richten.

Mein Bruder übernahm dieses Verhalten, bis heute geht man ihm früh am Morgen am besten aus dem Weg, und auch ich tat es, ahmte es gedankenlos nach, zumal es mir ja eine Menschin vorlebte, die mir gründlich eingetrichtert hatte, dass sie der Maßstab aller Dinge war, während alles und alle anderen sehr kritisch beurteilt wurden.

Es war eben so, ich war nun einmal Morgenmuffel, genetisch bedingt, daher mein gutes Recht und unabänderbar, damit mussten alle um mich herum gefälligst klarkommen.

So einfach war das und wie herrlich ließ sich mit dieser Launenhaftigkeit doch Macht ausüben ... 

Dann dieser Morgen in Stuttgart, wie immer hatte F. mich um Punkt 6:11 Uhr geweckt und mir schon meine Handtasche bereitgelegt. Geduscht hatte ich schon am Vorabend, also nur rasch ins Bad, Kurzwäsche, die Haare gemacht, rein in die Klamotten und ab zum Auto.

Um zehn vor sieben schlug ich an meinem Schreibtisch auf und erfreute mich daran, dass die meisten Büros um diese frühe Zeit noch verwaist waren.

Einen Kaffee bräuchte ich, also losmarschiert zum Automaten und dann lief mir diese arme Kollegin über den Weg, ein harmloses junges Ding, das ich für mich "Heiteiteimädel" getauft hatte, weil sie so gern überschwänglich über Nichtigkeiten plauderte.

Fast überlaufend vor Energie begrüßte sie mich mit ihrem Heiteitei und kassierte sich dafür eine heftige Abfuhr ein. Was ich genau sagte, weiß ich nimmer, irgendetwas, dass man mich doch um diese Zeit gefällgst noch in Ruhe lassen solle ...

Sie zuckte erschrocken zurück, wandte sich ab und trottete mit hängenden Schultern davon und in dieser Sekunde durchzuckte es mich wie ein Blitz: 

Verdammt noch mal, was machst du da eigentlich? Wie benimmst du dich und was mutest du anderen zu???

So kurz dieser Moment war, er stellte doch eine ganz entscheidende Weiche in meinem Leben. 

"Fräulein xxx", rief ich ihr nach, sie drehte sich um zu mir und ich entschuldigte mich, erklärte ihr, dass das doof von mir war, ich wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden sei und es überhaupt nicht so böse gemeint hatte, wie es geklungen haben musste.

Sofort begann sie wieder fröhlich zu strahlen und mir was das wirklich eine Lehre.

Natürlich kommt jeder in der Früh unterschiedlich schnell in die Hufe, aber das ist verdammt noch mal kein Grund, diese Scheißlaune an anderen auszulassen!

Gerade ich, die ich in Kindheit und Jugend doch so erbärmlich unter der mütterlichen Launenhaftigkeit, unter ihrem ständigen und von mir so bedrohlich empfundenen Schweigen gelitten hatte, gerade ich musste es besser wissen, denn natürlich war mir klar, was man anderen damit antut.

Ein anderer Punkt ist die Streit"kultur", auf die wir vorgestern noch zu sprechen kamen.

Dass ich sie erst von F. wirklich gelernt hätte, erzählte ich, dass wir beide uns zanken können wie die Kesselflicker, uns dann auch durchaus mal alles heißen, dass dann aber auch der Dampf raus ist und wir uns schnell wieder vertragen, wobei sich alles eh auf Augenhöhe abspielt.

"Klar", sagte mein Schwager, "bei euch zu Hause gab es so was ja gar nicht, sagte einer was Falsches, sprang sie (damit meinte er unsere Mutter) wütend auf, verschwand und wurde in der Regel auch sofort krank."

"Genau", fügte ich noch hinzu, "das war immer die Strafe, wenn sich jemand so verhielt oder etwas äußerte, was ihr nicht passte ..."

Auch das hatte ich einst ziemlich genau abgekupfert, ohne es bis zu diesem Tag mit der Kollegin wirklich zu hinterfragen. 

Genetisch bedingt, ererbt, hach ja, man kann es sich doch sooo einfach machen und seine Mitmenschen piesacken ... 

Und dann waren da noch Dinge wie Literatur, Kunst und klassische Musik.

Oma hatte es nie verkraftet, dass der enorme Reichtum, in dem sie aufwuchs, zum Teufel ging und sie sich dann mit ihren drei unehelichen Kindern sehr mühsam durchschlagen musste.

So etwas betrachtete sie in ihrem nie abgeebbten Zorn als reine Zeitverschwendung, Muttern übernahm es so von ihr und deshalb existierte nichts davon bei uns daheim, wie meine Schwester traurig feststellte: "Wir haben ja niemals Zugang zu Literatur, Kunst oder klassischer Musik bekommen ..."

Einzig ich hatte das Glück, ab ca. 3 Jahren ständig zum Großonkel abgeschoben zu werden, und er war es, der mir diese Welten erschloss, zumindest einen gewissen Grundstein dafür legte.

Wie sehr das meinen Geschwistern abging, wurde mir erst durch dieses Gespräch am Sonntag bewusst und auch, dass meine Schwester mir auf dem Gymnasium in Punkto Fächer nachzueifern versuchte,  war mir nicht klar gewesen.

Sie kam auf diese Schule in dem Jahr, in dem ich dort Abitur machte, d.h. wir liefen uns dort gar nicht mehr über den Weg und da ich dann ja im Beruf stand und schon bald darauf nach Stuttgart ging, kriegte ich auch nicht mehr allzu viel davon mit.

Drei von meinen vier Abifächern hatte sie gewählt, kam aber im Gegensatz zu mir mit Kunst überhaupt nicht klar, ihr würden diese ganzen Bilder gar nix sagen, meinte sie, während ich bis heute meine Freude daran habe, Impressionisten, Expressionisten oder Surrealisten zu interpretieren.

Im Erdkunde-Leistungskurs erwischte sie sogar den gleichen Lehrer wie ich, einen richtig "scharfen Hund", bei dem ich zumindest aber ungeheuer viel lernte in Bezug auf Wirtschaft und die ganze Welt.

"Deine ganzen Klausuren lagen ja noch in deinem Zimmer herum," erzählte E. nun, "die habe ich mir oft durchgelesen und gestaunt, wie man sich ausdrücken kann, wenn man eigentlich keine Ahnung hat."

Nun lachte ich laut auf, da hatte sie mich aber voll erwischt, denn tatsächlich hatte ich das mit der Zeit vortrefflich verstanden. 😁

Zu Beginn einer Klausur legte uns Herr A. in der Regel viele Seiten voller Statistiken und Kurven vor (z.B. zu Einwohnerentwicklung, Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe, Erträgen, Anbauformen usw. in Prüm in der Eifel) und erwartete dann von uns, dass wir uns in den folgenden fünf Stunden darüber auf mindestens 10 Seiten schriftlich äußern würden.

War diese Zahlen nun positiv oder negativ zu bewerten, ging die Entwicklung in eine gute Richtung?

Oft hatte ich tatsächlich keinen blassen Schimmer und dann zeigte ich halt einfach beide Möglichkeiten auf ... die Zahlen besagen dies oder jenes, man könnte dies so interpretieren ... andererseits kann man es aber auch so sehen, wenn man nämlich in Betracht zieht  ... 

Und so weiter ... und das funktionierte tatsächlich, denn oft stand dann gerade an diesen Stellen, wo ich besonders unsicher gewesen war, hinterher ein rotes "gut" am Rand. 😂🤣😂

Ich war einfach bissl früh dran, heutzutage wäre ich mit diesem "Talent" in der Politik wohl am richtigen Platz, mehr muss man ja eigentlich gar nicht können. 😁

Worauf ich hinauswollte, war aber auf jeden Fall, dass man Dinge bzw. Verhaltensweisen, die in Familien durch die Generationen gereicht werden, ruhig mal reflektieren sollte, und damit auch genug davon.

Gestern früh um halb elf jährte es sich zum 12. Mal, dass unsere Püppi in meinen Armen starb, nach wie vor ein trauriger Tag für uns und obwohl F.s Verhältnis zu ihr bei Weitem nicht so eng gewesen war wie mein eigenes, litt er gestern ganz ordentlich darunter, aber was will man machen, es ist halt der Lauf der Dinge ...

Und um sie vollends laufen zu lassen, mache ich mich nun ans Heckeschneiden, noch ist es trocken und auch wenn ich bis jetzt noch nix gehört habe, nehme ich an, dass morgen wieder ein Besuch bei M. und seiner Frau anstehen wird, also sollte ich heute zumindest die Innenseite schaffen.


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 🙂


4 Kommentare:

  1. Also mir hat es keine Probleme bereitet morgens auf zu stehen. Abends bereitete ich die Kaffeemaschine vor, die ich am Morgen nur noch einschaltete. Und es war während der Ausbildungszeit immer der Trip morgens zum Bus, der seine festen Haltestationen hatte. Später fuhr ich dann vier Jahre lang nach Pforzheim. Immer gerne stand ich am Morgen auf. Meine damalige Partnerin, die am Ort arbeitete blieb immer auf den letzten Drücker liegen. Es fiel ihr sichtlich schwer morgens aus den Federn zu kriechen. Manchmal bin ich auch als Pensionär früh auf, so wie heute morgen. Irgendwann drehe ich mich wieder um, versuche noch einmal ein zu schlafen. In der anderen Firma trafen sich Mitarbeiter am Morgen zum Rauchen. Nach Arbeitsbeginn mußten die Raucher bei der Raucherpause abstempeln. Später wieder nach Ende der Pause anstempeln. Ja, da sagst du was. Heute hab ich mich bei einer Kassirerin im Supermarkt entschuldigt, weil ich gestern keine gute Laune hatte. Sie meinte darauf habe sie gestern nicht so geachtet. Es wäre auch nicht so schlimm gewesen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Bei mir hängt das immer davon ab, ob ich freiwillig aufstehe oder der Wecker mich hochreißt, Helmut.
      Aber letztlich ist es auch egal, denn selbst wenn es mir schlechte Laune verursachen sollte oder ich nur langsam in die Hufe komme, ist das kein Grund, die Miesepeterigkeit an anderen auszulassen, darum ging es mir. ;-)
      Sich zu entschuldigen, wenn man meint, andere nicht gut behandelt zu haben, finde ich einen feinen Zug, der leider in Zeiten der Ego-Gesellschaft nicht weit verbreitet ist.

      Löschen
  2. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Ich meine sogar schon einmal die hübsche Geschichte über "Die Launen am Morgen" gehört zu haben. Was sie nicht weniger eindrucksvoll macht.

    Das über deine Schulzeit ist mir allerdings komplett neu.
    Es erklärt auch ein wenig, warum ihr Schwestern euch nicht so oft gesehen habt über einige Jahre hinweg.

    Wo gibt es heute noch sowas, dass man mal Dampf aneinander ablassen kann, dann verträgt man sich wieder und alles ist gut. - Ich finde das bei "F" und dir großartig.

    Deine Großmutter ist auch zu bewundern, sie scheint ja trotz des Verlustes in frühen Jahren, doch vieles weitergegeben zu haben?



    Liebe - wir sind, wer wir sein wollen - Grüße
    Vom lifeminder

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das vermute ich auch, lieber lifeminder, aber da ja alle Erinnerungen, die ich im alten Blog festgehalten hatte, verschwunden sind, halte ich zumindest einen Teil davon hier noch einmal fest.
      Meine Schwester - als ich zum ersten Mal auszog, war sie gerade 10, dann kam ich noch einmal für einige Monate zurück, bevor es mich dann vollends in die Fremde verschlug.
      Da war sie 12 und das heißt, von da an bekam ich von ihrem Aufwachsen nur noch sehr wenig mit. Wir sahen uns zwei- oder dreimal im Jahr, ansonsten hörte ich nur von meiner Mutter, was daheim so los war, und als ich endgültig zurückkehrte, hatte sie längst ihren eigenen Hausstand mit ihrem heutigen Mann. Man sah sich zu Familienfesten und dann waren sie es ja, die von hier wegzogen.
      Und lach, das mit meiner Oma hast du irgendwie missverstanden, oder? 😉
      Sie hat viel weitergegeben, aber leider nur das Negative, das meine Mutter 1:1 von ihr abkupferte.
      Beide verstanden es sich als den Maßstab aller Dinge darzustellen, als Kind fiel ich darauf herein und bewunderte sie pflichtschuldigst, bis mir später klar wurde, dass sie beide nur um sich selbst kreisten.
      Sagen wir es mal so, sie war ein ziemlich eiskalter Besen, ihre Launen ließ sie mit Vorliebe an anderen aus, was meine Mutter so übernahm und noch "perfektionierte".
      Das Fatale dabei war die Missgunst: Omas Leben wäre ohne die Pleite ihres Vaters sicher ganz anders verlaufen und es machte sie permanent unzufrieden, dass aus ihr nicht das geworden war, was sonst möglich gewesen wäre.
      Ihre eigenen Kinder brauchten dann auch nicht mehr zu erreichen, also musste Muttern nach der mittleren Reife runter von der Schule und sofort Geld verdienen, um es daheim abzuliefern.
      Sie suchte trotzdem nach Auswegen, weiterzukommen, ging von der Ostsee aus mit in die Familie meines Vaters, um bei dessen Vater eine Lehre als Sprechstundenhilfe zu beginnen, aber dann kam frecherweise ich ihr in die Quere, indem ich es mir erlaubte, mich in ihrem Bauch einzunisten.
      Das hat sie mir nie verziehen - ich lese es heutzutage in alten Briefen nach - z.B. war auch ich "schuld" an ihren dentalen Problemen, weil ich ihr vom Bauch aus das Kalzium geraubt hatte usw.
      Und nun war sie es, die nach unten trat und dabei noch einen draufsetzte.
      Ihrer Meinung nach hätte ihr Kopf sehr viel mehr hergegeben als nur für Hausfrau- und Mutterdasein nötig war, und ganz unverschuldet (haha) geriet sie in diese für sie so traurige Lage, während sie mir nun ständig einredete, wie minderwertig, dumm und hässlich ich doch sei.
      Ich denke, das hing zum einen mit dem Übernehmen der Verhaltensweisen zusammen, zum anderen aber auch mit ihrer unehelichen Geburt, damals noch ein erheblicher "Makel".
      Im Gegensatz zu ihr war ich (unverdient) ehelich, d.h, sie hatte sich dafür quasi aufgeopfert und das reichte aber auch an "Wohltaten", fortan war ich das Aschenputtel für sie und ich bekam die geballte Unzufriedenheit ab, wo immer es nur ging, und leider ohne dass sie das jemals reflektiert hätte.

      Ist schwer, in ein paar dürre Worte zu kleiden, aber ... zu bewundern gab es da wirklich nicht viel. ;-)

      Und ja, das mit dem Dampfablassen klappt bei F. und mir wirklich sehr gut, nachdem ich es von ihm erst einmal gelernt hatte, denn bei uns daheim gab es so was natürlich nicht. Um Gottes Willen, Muttern wäre dann sofort zur Strafe krank geworden ...

      Es ist eine verdammt gute Mischung bei uns, wir können uns richtig fetzten, lachen auf der anderen Seite aber auch so viel miteinander, wie ich es bei anderen Paaren selten sah.

      Liebe "Genau, auf das Wollen kommt es an"-Grüße zurück! 😉

      Löschen