Mittwoch, 6. März 2024

Erst mal sacken lassen muss ich ...

 ... die Erlebnisse des gestrigen Abends, auch wenn es unterm Strich wirklich schön war und deutlich anders als erwartet.

Von Anfang an stand alles unter einem guten Stern, den ganzen Tag hatte ich den Fieselregen beobachtet und überlegt, was ich mit einem nassen Schirm in M. und A.s Auto anfangen sollte, aber dann meinte Petrus es gut, denn genau in dem Moment, in dem ich losgehen wollte, hörte der Regen auf, so dass ich den Schirm daheim lassen konnte.

A. hatte den Wagen schon ausgeparkt, ich brauchte nur noch einzusteigen und schon ging es los.

Erstaunt war ich, dass sie beim Fahren unentwegt plaudern und sich trotzdem konzentrieren konnte, und dank der türkischen Stimme aus ihrer Navy-App fanden wir den Veranstaltungsort sofort, standen dann aber vor dem Problem, dass wirklich jede noch so kleine Lücke zugeparkt war.

Und noch einmal Glück, denn just, als wir vor dem Gebäude vorfuhren, stieg direkt gegenüber eine Frau in ihr Auto und fuhr weg - bequemer ging es wirklich nicht, auch wenn wir dann erst mal Mühe hatten, einen Parkscheinautomaten zu finden, weil rein gar nichts beschildert war.

A. hatte sich schick gemacht mit einem fast bodenlangen schwarzen Rock und kurz überlegte ich, ob ich in grauer, über den Boots gekrempelter Röhrenjeans und dickem Pullover mit weit ausladendem Kragen womöglich nicht feierlich genug gekleidet sein könnte, wurde aber schnell beruhigt, als ich die anderen Gäste sah, die vor dem Haus in kleinen Grüppchen beisammenstanden.

Afrikanerinnen in Landestracht, viele Türkinnen mit Kopftuch, aber auch viele deutsche Frauen sah ich, zudem sogar einige Männer, und zunächst bestätigte sich das Bild, das ich hier in der Stadt meistens wahrnehme, dass nämlich jede Nationalität unter sich bleibt.

Innen wurden wir sofort herzlich begrüßt von A.s Bekannten. 

Ahhh, ich sei also die xxx, meinten sie, sie freuten sich, mich endlich kennenzulernen, wo A. doch ständig so begeistert von mir erzählen würde. 🥰

Ein wirklich herzliches Willkommen war das und nachdem wir uns im Café-Raum einen kleinen Tisch gesucht hatten, wurden wir aufgefordert uns am Büffet zu bedienen und sogar meine Jacke nahm mir eine ihrer Landsmänninnen ab und ging sie für mich zur Garderobe bringen.

Was für ein munteres Treiben - während wir uns die kleinen Snacks schmecken ließen, unter anderem Köfte und Kuchenstückchen in Briefmarkengröße, setzte sich erst eine türkische Bekannte von ihr zu uns, später besabbelte uns ein älterer Herr, ein Deutscher, der bei A. mit seinem fließenden Türkisch Eindruck machen wollte.

Er sei Stahlarbeiter gewesen, erzählte er, und er und seine türkischen Kollegen hätten jeden Morgen auf der Arbeit damit begonnen, dass sie sich gegenseitig Sätze in der jeweiligen Sprache beibrachten.

Dann wurden wir aufgefordert in den Saal zu wechseln und nun verstand ich auch, warum man sich hatte anmelden müssen, denn dort war wirklich so gut wie jeder Stuhl belegt.

A. steuerte sofort die erste Reihe vor der Bühne an und pflanzte sich ganz an die Wand, ins Eckchen sozusagen, denn die ganze Veranstaltung wurde fürs TV gefilmt (keine Ahnung, welcher Sender) und sie wollte natürlich nicht im Vordergrund erscheinen.

Eigentlich hatte ich auf Diskussionen zum Thema Frauenrechte und vielleicht auch zum Kopftuchtragen in der westlichen Welt gehofft, dem ich ja deutlich skeptisch gegenüberstehe, aber darum ging es gar nicht, sondern eher darum, welch wertvolle Dinge von Frauen geleistet werden.

Schön fand ich, dass über der Bühne immer wieder der Ablauf der Veranstaltung eingeblendet wurde, denn drei Stunden nur Vorträgen lauschen zu sollen, fand ich keine berauschende Vorstellung, sah dann aber, dass nach jedem Beitrag etwas Musikalisches folgen würde.

Im rechten Winkel zu uns gab es unter den Fenstern noch vier Stühle für die Moderatorin, eine junge Frau, die sich per Laptop um die Technik kümmerte, eine weitere Helferin und dann lümmelte dort noch eine Frau, schätzungsweise ein paar Jahre älter als ich, herum, die mir durch ihr saloppes Äußeres auffiel, eine Mischung aus alternativ und Rockerin, so kam es mir vor.

Von Anfang an hatten wir beide immer wieder mal Augenkontakt, grinsten oder stellten fest, wie wir bei den gleichen Dingen nickten oder nachdenklich den Kopf schüttelten - irgendwie hatten wir einen Draht zueinander, ohne je ein Wort gewechselt zu haben, und erst etwas später stellte ich fest, dass es sich um die Musikerin handelte, die den Abend auflockern sollte.

Seltsam, dass ich sie aus meinen aktiven Zeiten gar nicht kannte, vielleicht ergäbe sich ja später noch eine Möglichkeit, zu erkunden, warum dies so war?

Dann wurde ein Dr. xxx auf die Bühne gebeten, ein türkischer Autor, der seit 45 Jahren in Deutschland lebt und sich in den Achtzigern der Friedensbewegung anschloss.

Ein wirklich sympathischer Mann, auch wenn ich nicht mit allem, was er sagte, konform ging, und als wir später auf der Rückfahrt über ihn redeten, mussten wir beide lachen, denn obwohl er ein nahezu perfektes Deutsch spricht, sogar fast aktzentfrei, kann er das "Z" genauso wenig aussprechen wie A., so wird dann immer ein "S" daraus. 😀

Ansonsten sprachen fast nur Frauen, eine Mixtur aus dem links-grünen Spektrum, türkisch, afrikanisch oder deutsch, kirchlich, muslimisch - es war recht breit gefächert und interessant zu hören, wie seit vielen Jahren daran gearbeitet wird, mehr Miteinander statt Nebeneinander aufzubauen, vor allem in den als prekär geltenden Stadtteilen.

Auch die zweite Bürgermeisterin, natürlich von der SPD, war da, sagte ein paar Worte, während eine andere Dame, deren Name auch mir etwas sagte, nicht erschienen war, und zwar aus einem heftigen Grund.

Just als sie aus ihrer Ausfahrt fahren wollte, blieb genau davor ein LKW stehen und ... der Fahrer starb in seinem Wagen, einfach so. 

Womit sie keine Chance mehr hatte, loszufahren, und da bei den Öffis ja Dauerstreik herrscht, war's das für sie gewesen.

Wobei mir der arme LKW-Fahrer bis jetzt noch nicht aus dem Kopf geht ... 

Hier sieht man die Musikerin bei der Arbeit, sie hatte eine wirklich tolle Stimme:

Und hier das große Finale, bei dem alle Teilnehmenden geehrt wurden:


Zum Abschluss bekam auch jede andere Frau eine Rose geschenkt, hier ist meine:


Auf dem pinkfarbenen Zettel steht der Spruch:

"Starke Frauen sind wie Sternschnuppen. Sie funkeln immer, auch wenn sie fallen." ✨

Schön fand ich übrigens, dass Deutsche aufgefordert wurden, sich zu melden, wenn sie Interesse hätten, dem abendlichen Fastenbrechen im Ramadan einmal in einer Familie beizuwohnen, denn es gäbe einige türkische Familien, die gern dazu einladen würden, zumal das auch für diese etwas Besonders sei.

Dabei sahen A. und ich uns zwinkernd an, denn wir haben das ja im letzten Jahr schon gemeinsam erlebt und für nächste Woche lud sie mich auch gleich wieder dazu ein, diesmal in ihren Kulturverein. 🥰

Alles in allem also ein wirklich gelungener Abend, nur die arme A. hatte ein wenig das Nachsehen, denn alles fand in deutscher Sprache statt und es ist klar, dass sie bei Weitem nicht alles verstand.

Ab und zu konnte ich ihr etwas zuflüstern, z.B. als die Musikerin ein Lied sang für ihre letzte Woche verstorbene Mutter, alles andere werden wir dann noch aufarbeiten.


Und nun werde ich mal gucken gehen, wie das mit dem Funkeln aussieht, wenn ich mich auf den Weg zu Aldi mache ... 😁


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉


9 Kommentare:

  1. Ein wundervoller Beitrag, liebe Rex-Mama! Danke! 💚

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    1. Danke, meine Liebe! 😊
      Es waren so viele Eindrücke gestern, einiges davon bewegte mich sehr und ich muss das tatsächlich erst einmal sacken lassen. Wenn ich es für mich sortiert habe, werde ich sicher noch das ein oder andere davon erzählen, denn es ist wirklich wichtig und gut, was diese Frauen machen - nationenübergreifend.
      Z.B. hatte ich die Tage mal überlegt, wenn die Männer sich so blöd anstellen und die Welt mit Krieg überziehen wollen, dann müssten es eigentlich die Frauen sein, die sich dagegenstemmen, so ähnlich sagte es dieser Dr. xxx auch und als dann die Sängerin auch noch den "Universal soldier" zum Besten gab, ganz spontan, weil sie über das Thema genauso nachdachte wie wir alle, passte das perfekt.
      Es war eine ungeheure Wärme, die mich den ganzen Abend umfing, wirklich einzigartig und ich freue mich schon auf den übernächsten Samstag, denn nun kenne ich ja schon einige aus A.s Verein.
      Ich hätte fast einen Block dabeihaben sollen, um mir Stichpunkte zu machen, aber nach und nach fallen mir nun auch so noch mehr Dinge ein, von denen die Frauen erzählten ...

      Liebe Grüße! :-)

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  2. Liebe, das hast du auch ungesackt gut beschrieben. So könnte, so muss eine Völkervermischung funktionieren. Am meisten hat mich die allgemein deutschsprachige Verständigung überrascht. Bin sehr gespannt auf deine Analyse.

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    1. Nein, ich denke, genau dazu wird es nicht kommen, denn was einst nach den ersten Anlaufschwierigkeiten bei den großen Einwanderungswellen z.B. aus Polen gut funktionierte - heute merkt man es nur noch an Nachnamen wie Schimanski -, dem steht nun eine sehr fordernde und tief ins Privateste eingreifende Religion im Wege, die gerade die Frauen auch noch demonstrativ nach außen signalisieren.
      Angela Merkel sagte mal sinngemäß, ja, wenn ihr scharenweise aus den Kirchen austretet, braucht ihr euch ja nicht zu wundern ..
      Das ist mir zu einfach, denn während die Menschen hier es zunehmend ablehnen, sich von Religionen Vorschriften machen zu lassen, kommt nun genau das auf diesem Wege zurück und spaltet die Gesellschaft.
      Das, was ich im Moment erlebe, ist ein Zeichen, dass man nicht nur komplett parallel zueinander leben muss, sondern durchaus viele Berührungspunkte haben kann, nur wirklich vermischen wird sich eher nix, weil man in der Regel beim Heiraten dann doch unter sich bleibt, schon der Religion wegen.
      Und wenn ich mir den Lauf der Geschichte ansehe, hängt es eigentlich immer von den Mehrheitsverhältnissen und natürlich davon ab, welche Sichtweise, welche Religion die Regierungen befürworten.
      Kaiser Konstantin bereitete es vor, Thedosius erhob das Christentum endgültig zur römischen Staatsreligion, und ab da war es eigentlich vorbei, dass die Christen eine angeblich so tolerante Minderheit darstellten, sondern für die nächsten rund anderthalb Jahrtausende verbreiteten sie im Namen ihres Gottes Tod, Elend und Unterdrückung, wobei es letztlich egal ist, ob der einzig Wahre Gott oder Allah genannt wird, denn es funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip, weil es letztlich um Macht geht.

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  3. Wir hatten heute den ganzen Tag immer wieder kleine Regenschauer. Wir waren bestens ausgestattet mit Regenjacken und Schirmen. Das Lokal bot zwei unterschiedliche Tagesessen an: Schweinefilet mit Sauce und Spätzle plus Beilagensalat. Oder Rindfleisch mit Meerrettich und Salzkartoffeln. Beim Lesen deinestrages wurden bei mir Erinnerungen wach. Meine Ex-Frau war einem Verein für Kamerunische Traditionen beigetreten und war an einem Wochenende ganztätig beschäftigt. Ich fuhr auch mal dort hin. Es gab kamerunische Gerichte und deutsches Bier, eine bestimmte Whisky-Sorte. Ich kannte auch schon einige Leute, wenn auch nur vom sehen. Und ja, die Leute mit der weißen Hautfarbe waren in der Minderheit. Deine Bilder spiegeln sehr gut die Stimmung wieder.

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    1. Ganz ähnlich funktioniert es, wenn mein Bruder und seine Frau zum Tempel fahren, wo die hier lebenden Thailänder zusammenkommen, die sich ansonsten aber sehr gut in die deutsche Gesellschaft integrieren.
      Für welches Gericht hast du dich denn entschieden?
      Ich hätte vermutlich das Rindfleisch mit Meerrettich genommen, mag diese Kombination ausgesprochen gerne.

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    2. Ich habe mich für das Schweinefielt entschieden. Ein Mitwanderer hat sich für Rindfleisch mit Meerrettich entschieden. Für Ihn war der Meerettich nicht scharf genung

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  4. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Der Eintrag funkelt gerade so vor Wärme, Freundschaft und Lust auf Kultur und Menschen.

    Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, irgendwie dachte ich diese Veranstaltung fände komplett auf Türkisch statt.

    Ich freue mich für dich - und somit auch für "A" - dass ihr so einen tollen Tag hattet.
    Vorträge, Musik, interessante Menschen, das klingt doch wie gemacht für die "Rex-Mama"?

    Außerdem bin ich gespannt wie viel "A" wirklich mitbekommen hat von der Veranstaltung?

    Auch staune ich, wie schnell sie das Autofahren verinnerlicht hat.

    Ich bin tief beeindruckt wie eure Freundschaft immer weiter wächst, das hätte ich vor einigen Monaten nie für möglich gehalten.


    Liebe - bleib so - Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Diese Befürchtung hatte ich ursprünglich auch gehabt, lieber lifeminder, aber sie war überflüssig, denn die türkischen Frauen waren fast alle hier geboren oder mindestens seit Jahrzehnten hier und da ja auch Afrikanerinnen anwesend waren, bot sich Deutsch natürlich an.
      A. war also eher die Ausnahme mit ihren noch nicht so guten Sprachkenntnissen.
      Das Autofahren musste sie übrigens nicht erst verinnerlichen, denn sie war ja in der Türkei schon viele Jahre gefahren, nur ihr Führerschein wurde hier nicht anerkannt, deshalb musste sie ihn neu machen.
      Und jaaa, wer hätte das vor gut einem Jahr gedacht, was sich daraus entwickeln würde, dass ich ja eigentlich nur bissl beim Erlernen der Sprache helfen wollte. Ist wirklich eine enorme Bereicherung, die mein Leben dadurch erfuhr. 😊
      Liebe Bleib-du-auch-so-Grüße zurück! :-)

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