Pünktlich um fünfe trafen wir vor dem Haus zusammen, A., die Kinder, ich und dann tauchte auch noch G. auf, die junge Ärztin, die ich vor einigen Monaten schon bei ihr kennen lernte.
Hatte sie damals ein wenig, hm, "teigig", etwas fad auf mich gewirkt, musste ich diesen Eindruck nun gleich revidieren, denn sie hat inzwischen eifrig Deutsch gelernt und schon unterwegs - sie saß mit den Kindern hinten, ich vorn neben A - stieg sie sofort in unsere Gespräche mit ein, mit Temperament Pfiff und sogar Witz.
Der gülenistische "Bildungsverein" besitzt ein riesiges Areal, so hatten wir kein Problem mit der Parkplatzsuche und wieder gab es vor dem Haus ein großes Hallo, fast ein bisschen wie Nachhausekommen für mich, denn nun kenne ich ja schon etliche von den Frauen, schon von Weitem strahlten sie mich an, kamen auf mich zu, begrüßten mich freudig, umarmten mich teilweise sogar.
Offenbar war das Büffet wieder eine Gemeinschaftsarbeit und auch A. lud nun aus dem Kofferraum eine große Platte mit in Würfel geschnittener Süßsspeise aus.
Innen waren in einem Saal sechs Tischblöcke festlich dekoriert worden, jeweils für acht Menschen, schneeweiße Tischdecken und vor jedem Platz lag neben Besteck ein kleines Beutelchen, das getrocknete Plaumen und Aprikosen enthielt:
(Später zu Hause geknipst.)
A. war immer wieder durch die Lütten abgelenkt und sprang auch öfter mal hin und her, aber besonders mit G. unterhielt ich mich sehr angeregt, qeer Beet von Medizinischem über Kochrezepte bis hin zum Spaß am Fotografieren, den wir beide haben, gingen unsere Themen und irgendwie wirkte sie ungeheuer "westlich" auf mich. Sie trägt kein Kopftuch, kam ganz locker in Jeans und Sweatshirt daher und abgesehen von den natürlich immer noch vorhandenen Sprachschwierigkeiten merkt man ihr die Ausländerin kein bisschen an.
Sie wird absolut keine Integrationsprobleme haben, da bin ich mir sicher, und wie auch bei A. fiel mir auf, welch großen Wert sie darauf legt, unsere Sprache so korrekt und umfassend wie möglich zu erlernen.
Immer wieder die Frage: "Wie sage ich richtig, kann ich das besser ausdrücken ...?"
Dann auf einmal Flötenspiel, die Gespräche verstummten und ich sah vorn einen Mann, der voller Inbrunst in sein langes Gerät hineinblies, keine orientalischen Klänge, sondern etwas Getragenes, Schweres, das meine Ohren nicht unbedingt erfreute.
Einige Minuten lauschten wir ihm, dann teilte uns der Moderator mit, dass wir nun zu den Vorträgen kämen.
Ein Mann stellte sich als Pfarrer einer evangelischen Freikirche vor und hielt dann wohl 10 Minuten lang eine Rede über das biblische Fasten mit der Kernaussage, dass Jesus es nicht mögen würde, wenn sich jemand mit seinem Fasten brüstet, damit angibt, wie sehr er bereit ist, für seine Glauben zu leiden.
Danach wieder Flötenspiel, dann kam das muslimische Gegenstück, ein junger Mann berichtete über die Tradition des Fastens und die Quintessenz war die Gleiche - keiner soll damit auf den Putz hauen.
Man war sich also einig, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind, was meinen Erfahrungen zumindest mit Freikirchen entspricht, denn ihre Angehörigen leben oft genauso auf den Glauben konzentriert wie viele Muslime.
An der Stirnseite des Raumes hing eine große Uhr und ich bekam mit, wie A. immer wieder hinsah, nicht nur, weil sie Kohldampf hatte, sondern auch, weil sie zu bestimmten Zeiten wohl immer wieder ein kleines Pflichtgebet absolvierte, so wie der Ramadankalender es vorschreibt.
Sehr innig wirkte sie dabei, sehr entrückt, erst recht als es nun fast so weit war und vom Band der Ruf des Muezzins ertönte, nachdem zuvor noch ein Gebet gesprochen war.
Für mich kein angenehmer Moment, in etwa so, als würde ich unvermittelt in einem Saal mit lauter Nackten landen, was aber ausschließlich mit mir selbst zusammenhing, denn die Atmosphäre war durchaus angenehm und wirklich freundlich.
Schon als Kind erging mir das so, wenn ich an Gottesdiensten teilnehmen musste, egal, ob katholisch, evangelisch oder freikirchlich. Es war mir nie ganz geheuer, schon immer war da ein tiefes Gefühl der Fremdheit in mir, das Wissen, da gehörst du nicht zu.
Allzu gut erinnere ich mich an die Ratlosigkeit, die mich dann immer packte, was stimmte mit mir nicht, warum bin ich so anders? Ich wollte es ja gar nicht sein, hätte so gern emfpunden wie die anderen und doch konnte ich es niemals ...
Später sollte ich verstehen, warum, dazu waren einige Jahrzehnte und intensives Beschäftigen mit der Materie und mir selbst nötig, und doch war das Gefühl jetzt das Gleiche wie einst - diese Fremdheit, die aber genauso schnell wieder vergehen sollte, als es nun nämlich endlich losging.
Hier einige Bilder vom türkischen Büffet:
Und das war mein Teller, den ich bald darauf mit Nachschub versorgte, denn besonders die mit Hack gefüllte Aubergine, die in Olivenöl gebratenen Bohnen und der Kichererbsen-Reis hatten es mir angetan:
Hinten sieht man diese Köfterolle, die wie schon letzte Woche die "Chefin" angefertigt hatte, die sich irgendwann auch mal zu uns setzte.
"Ich habe wieder gemacht", rief sie zu mir herüber und ich antwortete, "schon gesehen, zwei Stücke hatte ich davon, weil es sooo lecker ist."
Und nun haute mich diese liebe Frau fast aus den Paninen, als sie nämlich sagte:
"Ich habe extra für dich mitgebracht, nimmst du nachher mit", dabei deutete sie mit den Händen ein Paket an.
Boah ...
Von meinem Platz kam ich wegen des regen Treibens gerade schlecht weg, deshalb benutzte ich nun auch die Hände, legte sie über Kreuz auf die Brust und strahlte sie an. Sie verstand genau, was ich meinte, strahlte zurück vollführte dabei die gleichen Armbewegungen üder dem Herzen - es geht eben auch ohne Sprache.
Später erwischte ich sie, bekankte mich, es folgte ein festes und überaus herzliches Drückerchen, dass wir auch später noch einmal wiederholten.
Auch ihr Mann war da, A. zeigte ihn mir, erklärte, dass er Sportlehrer sei und nun wurde mir einmal mehr bewusst, was der Islam vor allem mit den Frauen macht.
Das Alter der "Chefin" konnte ich bisher kaum abschätzen, denn das weit ausladende Kopftuch und die Brille lassen nicht viel von ihrem Gesicht frei und wie fast alle trägt sie sackartige, lange Oberteile, was keinen Rückschluss auf die Figur zulässt.
Mitte fuffzich hätte sie gut und gern sein können, aber dank der Optik ihres Mannes muss ich da wohl mindestens 10 Jahre abziehen, denn er wirkt sportlich-durchtrainiert und sah in Jeans und kariertem Hemd verdammt flott aus.
Schon ungerecht, welchen Zwängen dagegen die Frauen ausgesetzt sind bzw. sich ihnen sogar freiwillig unterwerfen und nach wie vor habe ich mein Tun mit den Namen, denn ich kann ja nicht einmal A. danach fragen.
Wie sollte ich ihr erklären, wen ich meine, wenn ich nach dieser oder jener Frau frage, wenn sie doch mehr oder weniger alle gleich aussehen und es keine individuellen Merkmale gibt?
Irgendann erkundigte sich A. bei mir, ob nicht vielleicht jemand aus meiner Nachbarschaft mal Interesse haben könnte, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, und nun erfuhr ich auch, warum die Deutschen an diesem Abend fast in der Überzahl waren, denn viele hatten einfach ihre Nachbarn eingeladen, um diese so besser kennen zu lernen.
Finde ich toll, ein ganz wichtiger Schritt in Richtung Integration - einfach mal hineinschnuppern bei den anderen, nur so können die Barrieren fallen.
Übrigens wurde mir auch mehrmals ein Mikrophon unter die Nase gehalten, denn der Moderator ging immer wieder mal von Tisch zu Tisch und befragte die Leute nach ihren Eindrücken.
Und gleich sorgte ich für allgemeine Heiterkeit, denn ich prötete erst mal so laut hinein, dass es ein Glück war, dass die Uhr nicht von der Wand fiel. 😂🤣😂
"Ohhh...", fuhr ich lachend fort, "das ist ja viel lauter als gedacht, aber ich kann auch leiser."
Dann erzählte ich kurz, dass ich mit A. dort war, um ihre Kultur und ihre Freunde etwas besser kennen zu lernen, und mich wie immer sehr herzlich aufgenommen fühlte, und schon war er wieder weg.
Als er das nächste Mal kam, kaute ich noch und teilte der Allgemeinheit nur kurz mit, dass ich den Mund zu voll hätte, um viel sagen zu können 😁, und fand es fast schade, dass er nicht später noch einmal auftauche, denn nachdem ich nun wusste, wie es zu den zahlreichen deutschen Besuchern gekommen war, hätte ich dazu durchaus noch einiges zu sagen gehabt.
Auf jeden Fall war es wieder ein wunderbarer Abend, wenn auch für mich mit etwas zu viel Religion.
Auf dem Rückweg - man hatte mir zuvor auch für F. noch etwas zu essen eingepackt - erfuhr ich dann von A., dass sie zu Weihnachten doch tatsächlich in ihrem Mietshaus herumgegangen war und an jeder Tür ein Beutelchen mit Selbstgebackenem abgeliefert hatte.
Tolle Geste, oder?
Daheim stellte ich die Gabe der "Chefin" auf den Tisch:
... und öffnete sie:
Unter Tomaten und Salat Köfte, die ich ja so sehr lieben gelernt habe, da werde ich heute Abend nach Herzenslust schmausen können und nun überlege ich, was ich zum Dank in bzw. auf die Schale packen kann, wenn ich sie nächste Woche mit zu A. nehme, damit sie sie der "Chefin" zurückgeben kann.
So lieb, da fehlen mir echt die Worte ... 🥰
Jetzt werde ich mich mal dem Staubsauger widmen, da morgen ja die andere A. zu uns kommen wird, so sie es sich denn nicht noch einmal anders überlegen sollte.
Habt einen schönen Sonntag und ... bleibt bitte gesund! 😉
PS: Fast vergessen, mir war den ganzen Abend aufgefallen, dass ein guter Teil des Saales durch Stellwände vom Rest abgetrennt war, und den Sinn erfuhr ich erst, als wir im Gehen begriffen waren, als A. mir nämlich erklärte, dass nun noch gemeinsam gebetet würde, die Männer im Saal, die Frauen hinter der Abtrennung.
Für die Christen gab es nix und auch A. durfte nicht teilnehmen, denm Frauen, die ihre Tage haben, ist das nicht gestattet.
Wieder eine Parallele, denn einst durften Menstruierende keine Kirche betreten, was zum Glück zumindest bei den Christen inzwischen überholt ist.
Als Objekte, in denen man Kinder ansetzt, simmer gut genug, aber das, was nun einmal die Voraussetzung dafür ist, macht uns zu unreinen Ausgestoßenen?
Ich sage jetzt mal lieber nichts weiter dazu, was ich darüber denke ... 🙄