Mittwoch, 29. März 2023

"Da spricht man nicht drüber ..."

 Dieser Satz geht mir schon seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf.

Was darf, was kann, was sollte, gibt es Dinge, die tatsächlich unausgesprochen bleiben sollten und kann man dazu überhaupt etwas Allgemeinverbindliches sagen?

Nein, selbstverständlich nicht, das wird in jeder Familie anders gehandhabt, jeder empfindet es individuell verschieden, auf der anderen Seite bin ich mir aber ziemlich sicher, dass so mancher darunter leidet, also unter dem Schweigen, und das oftmals womöglich sogar, ohne es sich bewusst zu machen.

Diese Gedanken turnten in mir herum und dann geriet ich auch noch zufällig in den Ausschnitt einer Reportage über Hans und Sophie Scholl, wo es darum ging, wie ihre Eltern, Geschwister und Freunde mit ihrer Ermordung klarkommen mussten.

Wie so oft verquickte sich das alles in meinem Gehirn und so landete ich gestern Mittag auf einmal mitten in der Familie. Nicht anders, als ich es einst kannte, ging es recht turbulent zu, man aß, man trank, man redete und ich wunderte mich, dass das anstehende Urteil über meine Schwester so gar nicht zur Sprache kam, obwohl es doch wie ein Damoklesschwert über uns allen hing.

Irgendetwas Falsches hatte sie gesagt/getan (was es genau war, ist mir leider verloren gegangen) und dafür drohte ihr nun die Todesstrafe - warum zum Teufel redeten sie da nicht drüber, sondern taten ganz normal, so als wäre überhaupt nichts?

Anbrüllen wollte ich sie, aufrütteln, bekam aber die Zähne nicht auseinander und so kam, was kommen musste:

Auf einmal befand ich mich alleine im Nebenraum, wusste aber genau, dass die anderen alle direkt nebenan waren und dass dort meine Schwester nun, genau in diesem Augenblick, hingerichtet wurde.

Die Türe wurde geöffnet, ich durfte hinein, sah auf einer Bahre ein Bündel liegen, fürchtete mich davor, den abgetrennten Kopf sehen zu müssen, aber ... das Bündel blieb diffus, auch wenn ich wusste, dass es sich dabei um meine ermordete Schwester handelte.

Und wieder taten sie alle so, als sei gar nichts, als liege sie nicht dort unter Tüchern - nein, sie aßen, tranken und plauderten.

Wiiiiie kann das sein???

Ich muss es träumen? So etwas kann es doch unter Menschen nicht wirklich geben????

Alles war doch seinen Gang gegangen, im großen Ganzen in Ordnung, wie konnte es möglich sein, dass sich jemand das Recht herausnahm, sie umzubringen, nur weil ihm nicht recht war, wie sie sich verhalten hatte?

Dieses maßlose Entsetzen, diese Ungläubigkeit, absolut fassungslos war ich und wieder das abgrundtiefe Entsetzen. Das konnte doch alles gar nicht sein, so hilflos fühlte ich mich, hin und her gerissen zwischen Nicht-begreifen-Können und der Gewissheit, dass es trotzdem geschehen war.

So müssen sich die Menschen im Iran oder anderswo fühlen, wenn ihre Angehörigen von  gewissenlosen Diktatoren hingerichtet werden, und sie haben nicht wie ich das Glück, aus diesem Entsetzen wieder aufwachen zu können, wie es mir kurz darauf vergönnt war.

Seltsamerweise mit trockenen Augen, obwohl mir in diesem Traum die Tränen geströmt waren wie noch nie zuvor in meinem Leben, die durchlebte Fassungslosigkeit war noch sehr präsent in mir und auch die Frage, die ich mir die ganze Zeit gestellt hatte:

Warum zum Teufel reden sie nicht darüber?

Warum ich selber auch nicht? Weder mit meiner Schwester selbst angesichts dessen, was sie bedrohte, noch mit den anderen ..

Stattdessen nur Blabla und ... ich hatte mitgemacht, obwohl es so viel zu sagen gegeben hätte.


Mit hineingespielt hatte da sicher der Tod meines Papas.

Drei oder vier Jahre zuvor lag er bei uns im Stadtteil im Krankenhaus, hatte sich einer schweren Operation unterziehen müssen und war zunächst noch sehr schwach.

Täglich war ich bei ihm und wusch ihm unter anderem auch die Haare, etwas, das er vermutlich nie meine Mutter hätte machen lassen, so wie sie ihn auch niemals ohne Zähne sehen durfte, vermutlich die Reaktion darauf, dass sie ihrerseits streng vor ihm geheimhielt, wie sie sich z.B. die Beine rasierte.

Möglichst perfekt wollte man offenbar für den anderen sein, passend zum wilden Sexualleben, mit dem sich Muttern so gerne brüstete - da gehörten solch kleine "Makel" nicht ins Bild, also spielte man sich gegenseitig vor, was das Zeug hielt ... *kopfschüttel*

Bei einer dieser Gelegenheiten sagte Papa den Satz: "Ja, xxx, ich muss ja nun wohl auch davon ausgehen, dass mein letztes Jahrzehnt womöglich schon angebrochen ist."

Gerade mal über 70 war er, ich wollte es nicht wahrhaben und war vermutlich auch viel zu überrascht über das, was er sagte, eigentlich über den Zipfel, den er mir da zuwarf, um ihn zu ergreifen, also speiste ich ihn ganz banal ab: "Na, das wollen wir doch mal gar nicht hoffen ..."

Nein, es war bei uns nicht üblich, über Ängste, über tiefergehende Gefühle zu sprechen, und so sehr mir das auch bewusst war, so wenig war ich nun in der Lage, die Hand, die er mir ausstreckte, zu ergreifen.

Dann kam die verhängnisvolle Weihnachtszeit 2008. Am 11.12. kam er ins KH, eigentlich nur wegen einer besonders hartnäckigen Erkältung, die sich nicht zur Lungenentzündung auswachsen sollte.

Ich steckte mitten im Weihnachsmarktgeschehen, versuchte irgendwie Zeit herauszuholen, um ihn besuchen zu können, und als er dann zu mir sagte, "xxx, ich habe das Gefühl, ich bin wirklich sehr krank", versagte ich erneut.

"Ach was, das kommt dir nur gerade so vor, wirst sehen, morgen fühlst du dich schon viel besser", mehr fiel mir nicht dazu ein und statt meinen Job sofort an den Nagel zu hängen und fortan jeden Tag mit ihm zu verbringen, machte ich weiter, als sei nichts.

Dann ging es Schlag auf Schlag, jeden Tag weitere Verschlechterungen, meine Mutter war nicht fähig, sich der immer ernsteren Lage zu stellen, zog die Flucht in den Alkohol vor und auch ich selbst war nicht besser. Obwohl mir die Situation bewusst war und ich auch noch mehrfach mit dem KH telefonierte, um denen Beine zu machen, wollte ich die letzte Konsequenz nicht wahrhaben und zog immer noch durch.

Bis ich dann am 20.12 morgens um achte an seinem Totenlager saß, einige Minuten zu spät, um ihm wenigstens beim Ableben beistehen zu können, und grundsätzlich zu spät, denn den "Austausch", der schon vor Jahren hätte stattfinden müssen, musste ich nun allein vornehmen, nur für mich und tief in mir drin "redete" ich immer wieder mit ihm.

An Heiligabend saßen wir dann mit der ganzen Familie zusammen, tauschten die Geschenke aus, die ja längst vorher besorgt worden waren, als noch keiner ahnen konnte, dass Papa nun fehlen würde, und wieder begnügten wir uns mit Blabla - bis heute. 

Auf der Trauerfeier kam ich ins Gespräch mit meiner Cousine, der Tochter des Zwillingsbruders, der bereits einige Jahre vorher nach langer Krankheit verstorben war.

Im Gegensatz zu uns hatten sie lange Zeit gehabt, sich mit dem Kommenden auseinanderzusetzen, wir dachten gemeinsam über das Für und Wider nach und dann sagte meine Cousine einen Satz, den ich nie mehr vergessen werde:

"Weißt du, wir hatten wirklich viel Zeit und am Ende ist nichts unausgesprochen geblieben, aber auch wirklich gar nichts ..."

Darum beneide ich sie ehrlich gesagt, wenn auch völlig ungerechtfertigt, denn ich hätte es ja selber in der Hand gehabt, etwas zu ändern, und leider ist mir dabei ziemlich klar, dass ich es vermutlich auch in Zukunft nicht tun werde, denn ... darüber spricht man nicht, noch nicht einmal darüber, ob die anderen Familienmitglieder diese Dinge womöglich ähnlich sehen wie ich. 

So werden wir uns also weiter aufs Blabla beschränken und den Rest jeder mit sich selber ausmachen, aber immerhin half mir mein Traum, das mal so richtig zu erkennen, und immerhin bleibt mir die Erinnerung an den Tag der Beisetzung im Schwarzwald.

Wir hatten Papa wohlbehalten, na ja, wenn man es denn so nennen mag, in seinem Kämmerlein in der Urnenwand untergebracht, der Kaffeeklatsch lag auch hinter uns, als die Familie beschloss, nun hoch zur nahegelegenen Burgruine kraxeln zu wollen.

Häh?

Nee, das war ja nun gar nicht das, wonach mir jetzt der Sinn stand, also entschied ich, mich vom Rest zu trennen, wollte viel lieber eine Kerze in der wunderschönen alten, wenn auch katholischen, Kiche anstecken gehen.

Erstaunlicherweise schlossen sich mir dabei die Kinder meiner Schwester an, damals 10 und 15 Jahre alt, auch sie hatten das Bedürfnis, nun nicht gleich zur Tagesordnung übergehen zu wollen, also zogen wir zu dritt los, ich spendierte eine Runde Kerzen, wir setzten uns auf eine Bank in der ansonsten leeren Kirche, beboachteten die Lichter und redeten über den Opa und ob er wohl die Wärme der Kerzen fühlen würde, dort, wo er jetzt war.

So sollte es sein, genauso hätte es auch am Heiligabend sein sollen und genauso hielt ich es auch mit den Töchtern meines Bruders, die noch sehr klein waren, als gute sechs Jahre später meine Mutter starb.

So oft redeten wir drei über sie, darüber, wo sie jetzt wohl sein könnte, und wie sie ihr auch nach dort nun noch das mitteilen könnten, was ihnen auf den Herzen lag.

Kinder sind da anders, noch nicht so im allgemeinen Schweigen gefangen wie wir Erwachsenen,  wobei ich aber immer wieder feststelle, dass solche Gespräche mit mir nicht so nahestehenden Menschen wesentlich einfacher sein können, mit U. z.B., mit der ich wirklich über alles quasseln kann und mit der ich gestern Abend noch ein nettes Erlebnis hatte.

Die erste Hausarbeit im Rahmen ihres Studiums steht demnächst an und sie brütet über der Themenwahl. Einige Möglichkeiten hatte sie sich mal notiert, schickte mir ihre Aufzeichnungen und nun tauschten wir uns darüber aus, was die einzelnen hergeben könnten.

Bis dann mein Handy klingelte. Nein, das sei ihr jetzt zu viel mit der Tipperei, meinte sie, da doch lieber auf diesem Wege und während wir nun fröhlich plauderten, bimmelte es auf einmal bei ihr im Hintergrund.

"Huch, ein Handy? Ich bin doch ganz alleine hier in der Hütte ...", sagte sie ratlos und machte sich auf die Suche.

"Oh, das ist L., ich sehe ihr Bild aufleuchten, dann muss das ja H.s Handy sein, was hier herumliegt. Verdammt, wie kriege ich das geöffnet ...?"

Gar nicht, doch als es eine Minute später erneut schellte, kriegte sie es gebacken  und da sie auch gleich den Lautsprecher einschaltete, bekam ich mit, wie sie L. erklärte, wer da am Apparat sei, die zunächst nicht schlecht staunte, dass sich eine Frau am Telefon ihres Mannes meldete. 😂🤣😂

Ach, da sei das Ding also, sie hätten schon das ganze Haus auf den Kopf gestellt, dann könnten sie damit ja nun aufhören - L. klang beruhigt und nun lachten wir zu dritt und alberten herum.

Schon beachtlich, was die moderne Technik so auf die Beine stellt - da sitzt eine Person an einer Theke, ganz allein und doch unterhalten sich zwei weitere mit ihr und auch noch miteinander. 😁

Reichte aber eh noch nicht, denn nun mischte hier bei mir auch noch F. mit und bei U. tauchte währenddessen H. leibhaftig auf, um sein Handy einzusammeln, bis wir dann so ein Stimmengewirr hatten, dass U. meinte, es sei wohl besser, wenn sie jetzt erst mal eine Runde mit H. quatschte, der dringenden Redebedarf hatte, um sich dann später noch einmal bei mir zu melden.

So machten wir es dann, alles in allem eine vergnügliche Geschichte, besonders auch für F., der nebenher völlig unbehelligt das Fußballspiel gucken konnte - keine Frau, die meckerte oder sich grummelnd ins Bett zurückzog.

Also Ende gut, alles gut. 😁

 

Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😊



7 Kommentare:

  1. Ja, leider gibt es viele Themen, über die "man" nicht spricht. Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, gehört ganz sicher dazu, auch über Sexualität oder Geld/Vorsorge spricht man nicht. Oder sprach man nicht....

    Dann gibt es noch die Themen, über die WIR (heute) nicht sprechen. Das sind weniger die gesellschaftlichen Themen, sondern persönliche Dramen.
    "Darüber sprechen wir nicht" beschlossen wir, als wir neulich den Geburtstag meiner Schwägerin feierten und das Thema Krebs bei der Nichte eben an diesem Tag nicht thematisieren wollten.

    "Darüber sprechen wir nicht" hörte ich oft von meiner Mutter, wenn es um Krieg, Vertreibung, Deportation, Suche nach dem Kind ging. Wir wussten, dass die Eltern meiner Mutter, ihr Mann, ihre Schwiegermutter und etliche andere ihrer Familie "im Krieg umgekommen sind" und dass sie fast 7 Jahre lang nichts über den Verbleib, ob lebend oder tot, ihres Söhnchens wusste.

    Eines Tages erzählte sie mir wie ihr Vater umgekommen war und nahm mir das Versprechen ab, das niemandem zu erzählen. Warum? Weil die Deutschen die Bösen waren, für die keine Strafe zu gering war, und weil man so etwas eh nicht glauben würde.
    Oder mein so lange verschollener Halbbruder, der richtig, richtig wütend wurde, als seine Tochter über diese Jahre im Lager mehr erfahren wollte. Für sich hat er diese Zeit in einer strahlungssicheren Kapsel eingeschlossen, und das muss man einfach so hinnehmen.

    Die Themen, die so lange Zeit tabu waren, werden und wurden im Lauf der Zeit ans Licht geholt. Ja, heutzutage nimmt man Kranke ernst, heutzutage weiß man, dass man über alles reden muss. Aber schwer ist es trotzdem :-)
    Der Gatte hat es vorgezogen, mich ans Bett seiner sterbenden Mutter zu setzen (von Frau zu Frau ginge das leichter, meinte er), und ich zog es vor, an meinen Socken weiterzustricken statt ihre Hand zu streicheln. Woher sollte ich wissen, dass sie ein paar Minuten später nicht mehr atmen wird????

    Du hast mich mit deinem Beitrag heute mitten ins Herz getroffen, liebe Rex-Mama. So viel Hadern mit sich selbst, so viele unbeantwortbare Fragen....

    Lieben Gruß :-)

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    1. Genau so, liebe Hermine, habe ich es auch mit F. erlebt, als unsere geliebte Püppi begann abzubauen. Mehr und mehr zog er sich zurück vom Geschehen, war wohl einfach hilflos, wie ich im Grunde ja auch, nur dass ich mich dem eben stellte und sie wirklich zu ihrer letzten Sekunden ganz intensiv begleitete.
      (Und nein, sie war nicht "nur" ein Hund, sondern unsere Gefährtin, ein Lebewesen, das sehr, sehr wichtig für uns war, besonders für mich selbst. ;-))
      Als man mich im KH endlich zu meinem einige Minuten zuvor gestorbenen Papa ließ, wollte er mich aber sogar begleiten, das muss ich ihm lassen. Nur bat ich ihn, draußen zu warten, denn zumindest dieser Moment sollte nur uns beiden gehören.
      F., wie natürlich auch meine Eltern wurden ebenfalls von dieser Generation "Da spricht man nicht drüber" erzogen, die Mutter hatte aus Oberschlesien fliehen müssen, der Vater war bei der Waffen-SS und ging nach langer russischer Kriegsgefangenschaft ebenfalls in den Westen, wo sie sich dann kennen lernten und in reiferem Alter noch eine Familie gründeten.
      Bei beiden weiß man nichts über ihre Erlebnisse, genauso wenig wie ich bei meiner Familie, nur dass Opa bei der Geburt der Zwillinge 1933 eine Anzeige aufgab: Zwei stramme Hitlerjungs geboren.
      Beide haben wir keine Ahnung über eventuelle Schuld, über Täterschaft, genauso wenig wie über das Leid, das viele von ihnen ertragen mussten, wie z.B. meine Großtante, als der siebenjährige einzige Sohn bei der Talsperrenbombardierung ertrank.
      Ich glaube, die "strahlungssichere Kapsel" trifft es ganz gut, irgendwie hüllten sie sich in einen Kokon, waren in vielen Dingen verhärtet, vielleicht die einzige Möglichkeit, mit dem Erlebten umgehen zu können.
      Zumindest dachten sie das wohl, denn andererseits hätte es so manche sicher geholfen, einfach mal darüber reden zu können.
      Vielleicht sollten wir alle ein wenig aufmerksamer sein?
      Wenn ich z.B. jemanden frage, wie es ihm geht, dann meine ich das tatsächlich niemals als Floskel, sondern ich möchte es wirklich wissen und wenn dann so eine Antwort kommt wie "Ach, eigentlich ganz gut", dann hake ich gleich nach, und wie sieht es uneigentlich aus?
      Dann merkt man schon, ob da mehr ist und ob derjenige vielleicht reden mag.
      So geht es mir ja auch oft mit diesen "Omis" beim Einkaufen. Wegen einer Nichtigkeit quatschen sie einem an, Brille vergessen, kann Preis nicht lesen ... oder so, und wenn man dann mit ein paar mehr Worten reagiert, als nur den erfragten Preis zu nennen, prasselt es mitunter regelrecht aus ihnen heraus.
      So manche Lebensgeschichte im Schnellverfahren erfuhr ich schon bei solchen Gelegenheiten und immer wieder denke ich, meine Güte, so viel Einsamkeit, so vieles brennt ihnen auf der Seele und dann ist offenbar keiner da, mit dem sie sich mal darüber austauschen können.
      Wie du sagst, so viele offene Fragen, das Hadern mit sich selbst, aber ... ganz wichtig finde ich bei allem, dass man sich diese Fragen überhaupt stellt, darüber nachdenkt und sich nicht am Ende so wie ich bei Papa Vorwürfe machen muss, hätte ich es doch bloß nicht beim Blabla belassen.

      Oder? ;-)

      Liebe Grüße zurück und fühl dich mal gedrückt! :-)

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  2. PS: Was mir gerade noch einfällt zu deinem ersten Absatz, ist, dass wir wohl auch viel zu wenig hinterfragten, warum "man" denn eigentlich über dies oder das nicht spricht.
    Oft höre ich "Das geht doch niemanden etwas an" und denke mir dann oft, ja, wenn du meinst, dann nimm es halt irgendwann mit ins Grab, dann ist es allerdings so, als hätte es das nie gegeben, was dich jetzt bewegte.
    Und warum z.B. über Einkommen nicht gesprochen werden "darf", ist klar, das nützt in erster Linie den Chefs.
    Hätte ich damals gewusst, dass mein (männlicher) Kollege für die gleiche Tätigkeit - obwohl ich eigentlich sogar den größeren Verantwortungsbereich hatte, mehrere Hundert Mark mehr verdiente als ich, na, dann wäre ich schön auf die Barrikaden gegangen, aber sooo - man spricht halt nicht drüber, und wem hat es dann was gebracht?
    Der dumme Deutsche ist halt schön brav und folgt diesen "Geboten", ausgesprochen schade, denn in Frankreich würden sich die Rentner wohl ein derartig niedriges Niveau kaum gefallen lassen, wie es einem hier zugemutet wird.
    Aber sagt man was?
    Nein, natürlich nicht, da steht man lieber an den Tafeln Schlange und sammelt verschämt Flaschen, ist doch viel zu peinlich, um drüber zu reden.
    Krankheit oder gar Tod?
    Pfui Deibel, was sind das denn für Themen?
    Wo doch die Werbewirtschaft für alles ein Mittelchen parat hat und wir eh ständig gezeigt bekommen, dass wir auch bis ins hohe Alter perfekt auszusehen und zu funktionieren haben.
    Einstweilen gibt es ja kleinere oder größere "kosmetische" Korrekturen, die wir an uns vornehmen lassen können, und auch noch Photoshop, bis unser Bild dem entspricht, was wir gerne hätten, und wenn alles nichts mehr hilft, ja, dann ab ins Heim, schnell weg damit, natürlich auch jetzt, ohne drüber zu reden.
    Anstatt dessen können wir uns doch lieber dem allgemeinen Tenor anschließen und mit beklagen, wie sehr doch die armen Jungen unter den schrecklichen Alten zu leiden haben, und ansonsten immer schön das Mündchen halten. 🙄

    Wobei mir zum Thema Reden grad noch eins einfällt:

    Neulich traf ich eine Nachbarin, die bei Kik arbeitet.
    Sie war dabei, Kartons auszupacken, ich ging mit einem "Mooooin" hinter ihr vorbei, hörte von ihr das Gleiche, ohne dass sie aufsah, schnappte meinen Kram und tippelte wieder an ihr vorbei, diesmal mit einem "Tschööö", das sie ebenso zurückgab.

    Beim Weggehen drehte ich mich dann noch mal zu ihr um und sagte: "Schön, dass wir mal drüber geredet haben.", was sie laut auflachend bestätigte.

    So gehts natürlich auch ... 😂🤣😂

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  3. Gewiß gibt es oder gab es auch bei mir Themen über die ich icht geredet habe. Sicher gehört der Tod nicht zu der schönsten Angelgenheit, vor allen Dingen, wenn man selbst davon betroffen ist
    Nun versuche ich so viel wie möglich zu veräußern. Die Hinterlassenschaft, die es bei meiner Mutter gab will ich nicht haben.
    Außerdem wer soll bei mir denn mal den ganzen Mist entsorgen. Ein Altenheim möchte ich auch nicht auf suchen, also wohin mit dem alten Kerl? Meine Überlegungen mag man für bescheuert halten. Ich will mich einfach auch über solche Dinge unterhalten. auch , wenn dieses Thema gerne ausgeklammert werden.

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    1. Das ist es ja mit dem Tod, lieber Helmut, er betrifft uns alle, und zwar ohne Ausnahme, trotzdem machen wir einen riesigen Bogen um das Thema und tun gerne so, als würde er uns gar nichts angehen. ;-)
      Und ich finde es völlig normal, dass man sich Gedanken darüber macht, wie es im Alter einmal laufen sollte, und dann auch darüber spricht, denn erstens merkt man dann schnell, dass andere sich mit den gleichen Fragen plagen, und mitunter kann man ja auch Glück haben und einen guten Tipp bekommen.
      Das mit dem Reduzieren finde ich sehr gut, denn irgendwann sollte es einem bewusst werden, dass sich das Ansammeln von immer mehr Zeugs nimmer lohnt. ;-)

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  4. Liebe Rex-Mama,
    ob Familien drüber reden oder nicht, ist wirklich sehr unterschiedlich. Bei uns ist es auch innerhalb der Familie unterschiedlich (gewesen).
    Zum Thema Nationalsozialismus und Täterschaft oder Opfer gibt es bei uns das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Dort kann man nach Personen suchen (lassen) und erste Infos einholen. Dann wird man im Ernstfall weitergeschickt ans Landesarchiv. Den ersten Schritt hab ich schon gemacht, aber ob ich die Akten wirklich im Detail durcharbeiten will, muss ich noch mit mir selbst ausmachen ...
    Lieben Gruß

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    1. Liegt ja eigentlich auf der Hand, liebe Sparköchin, denn jeder Mensch hat ja zwei Seiten, von denen er abstammt, und dort wurde es vermutlich unterschiedlich gehandhabt mit dem Reden.
      Die Frage ist halt, inwieweit man bei diesen "Gepflogenheiten" mitspielt oder ob es sich nicht lohnt, die ein oder andere auch mal zu durchbrechen.

      Dieses Archiv klingt interessant, wobei ich ebenfalls nicht sicher wäre, wie genau ich es würde wissen wollen.
      Allerdings ging es mir ja jetzt auch mehr darum, dass sie alle nicht drüber sprachen, egal, was sie erlebt hatten.

      Lieben Gruß zurück! 🙂

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