Donnerstag, 16. März 2023

Afiyet olsun

 Dieser Ausdruck verzierte die Fleischtheke eines türkischen Supermarktes, den wir gestern Abend im TV sahen, und sofort sagte ich zu dessen großer Verblüffung zu F.:

"Ach, das finde ich ja nett, dass die ihren Kunden einen guten Appetit wünschen ..."

Da soll mal einer sagen, der neue interkulturelle Austausch, in den ich so unvermittelt hineingeriet, würde nichts bringen. 😀

Tatsächlich war es gestern wieder sehr schön, nein, nicht nur schön, sondern auch wirklich anrührend mit M. und seiner Familie.

Der kleine Bub, der im Februar erst drei Jahre alt wurde, taut zusehends auf, drückt sich nicht mehr so verschämt an seine Mutter, sondern winkte mir zwischendurch und später zum Abschied sogar zu, nachdem er sich beim letzten Mal noch geweigert hatte und dies ja die bislang einzige Verständigungsmöglichkeit zwischen uns ist, denn er spricht noch kein einziges Wort Deutsch.

Unter anderem beschäftigte uns das Thema Zeit, nicht nur in physikalischer Hinsicht - kurz hatten wir es über Einstein & Co -, sondern auch in Hinblick darauf, wie unterschiedlich schnell wir ihren Ablauf empfinden.

Vier Jahre seien sie nun schon in Deutschland, erzählte M., und doch komme es ihm vor wie gerade erst, obwohl doch so viel geschehen sei seitdem.

Da konnte ich natürlich noch einen draufsetzen und berichtete nun meinerseits von den 37 Jahren, die gestern genau ins Land gegangen waren, seit wir vor dem Traualtar standen, und die mir doch fast vorkommen wie nur ein Wimpernschlag.

So sehr waren wir in ein angeregtes Gespräch vertieft, dass ich kaum mitbekam, wie auch die nächste Stunde im Nu verging. M. hatte vor zwei Wochen einen leichten Auto-Crash, Unfallgegnerin war ausgerechnet eine Polizistin und nun bleibt abzuwarten, wie das mit der Schuldfrage ausgelegt wird, obwohl ich der Meinung bin, dass ihn selbst eindeutig keine trifft, so wie er mir den Hergang schilderte.

So viele Wörter gab es abzuklären, heißt es nun gestoßen oder doch eher angefahren und was mag gemeint sein mit "das Auto hat gezittert"? 😂

Irgendwann fiel mir auf, dass seine Frau sich noch gar nicht zu uns gesellt hatte, stattdessen hörte ich sie mit dem Kleinen in der Küche und obwohl es von dort verführerisch duftete, hatte ich ein kleines Fünkchen Hoffnung, mein Intervallfasten diesmal durchziehen zu können.

Doch ... weit gefehlt, denn auf einmal ging es rund und A. fuhr für jeden von uns einen Teller auf mit einem Glas Tee und kleinen würzigen Teigbällchen zudem trug sie einen Kuchen herbei, ganz frisch gebacken offenbar.

Und nun verstand ich auch, als sie jetzt nämlich nachhakte: "Hochzeitstag heute?"

Ach du je, hätte ich mal meinen Mund gehalten, denn unbemerkt von mir hatte M. ihr davon erzählt, sofort hatte sich die Gute ans Werk gemacht und verzierte es nun auch noch mit Kerzen, die ich gemeinsam mit dem lütten Akin ausblies, während seine Eltern ein Glückwunschlied für F. und mich anstimmten.

Was mich fast umhaute und noch immer bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment zurückdenke. Unfassbar, wie lieb diese Menschen sind ... 🥰


 (Die Rosen waren ein Geschenk ihrer Freundin zum Weltfrauentag gewesen, erzählte A.)

Auch über Religion sprachen wir übrigens, ich erklärte, dass ihr Stellenwert im Westen infolge des Zeitalters der Aufklärung deutlich zurückgegangen sei, dass sie eben nicht mehr den Einfluss auf die Politik habe wie früher, was M. sehr befürwortete,  auch in seinen Augen sollte beides voneinander getrennt sein.

Wieder staunte ich darüber, wie viel Deutsch auch A. inzwischen versteht, denn sofort schaltete sie sich in die Diskussion ein, als wir gemeinsam überlegten, ob uns ein muslimisches Land einfiele, in dem es eine funktionierende Demokratie gäbe, was nicht wirklich der Fall war.

Dann auf einmal eine kurze Aufregung, als ihnen nun einfiel, dass nächste Woche ja der Ramadan beginnt, die Frage war nur, wann genau?

Mittwoch?

Dann würde das auf unseren inzwischen eingebürgerten Treff-Tag fallen - egal, meinte ich, denn ich würde ja sowieso immer intervallfasten, auf einmal hieß es dann Donnerstag, der Mittwoch könne also noch ganz normal stattfinden. 

Wovon ich allerdings nicht ganz überzeugt bin, denn im Internet finde ich nur den 22.3., also den Mittwoch.

Egal, für mich isses eh wurscht und ich richte mich da natürlich ganz nach ihren Bedürfnissen, wobei wir auch da ins Diskutieren kamen, als es nämlich darum ging, dass gläubigen Muslimen wärend des Fastenmonats nicht nur Essen über den Tag verboten ist, sondern auch jegliche Flüssigkeitszufuhr.

Das könne aber nicht gesund sein, meinte ich. M. wiedersprach, doch, das sei gut für den Körper und überhaupt vertraue er darauf, dass Allah ja am besten wisse, was gesund für seine Geschöpfe sei.

Was ich natürlich so stehen lassen musste, trotzdem frage ich mich aber, was um alles in der Welt die Menschen veranlasste, sich in der Zeit, als die monotheistischen Religionen entstanden, solche Gebote zu erdenken, gerade in solch heißen Gegenden, in denen regelmäßige Flüssigkeitszufuhr doch noch viel wichtiger ist als in unseren Breiten.

Dann erkundigte ich mich, ob sich eigentlich auf seine damalige Anzeige außer mir noch jemand gemeldet habe.

Was auch tatsächlich der Fall war, ein italienischer Musiker, hier geboren und viel unterwegs, mit ihm sei er hauptsächlich über "Zoom" in Kontakt, nachdem man sich ein einziges Mal persönlich getroffen habe.

Finde ich toll, wie vielseitig M. sich orientiert bzw. sich orientieren zu wollen in der Lage ist, und nun kam er noch einmal auf das Thema Religion zurück, denn ihm sei aufgefallen, dass bei Weitem nicht alle Muslime gute Menschen seien, sie lögen oder seien sonstwie schlecht.

"Na, das hast du doch in allen Religionen", wandte ich ein, "und nicht nur dort, es gilt für alle Ideologien, Völker oder was auch immer, überall gibt es so ne und solche, manche glauben aufrichtig und leben auch danach, andere glauben an gar nichts, sind trotzdem gute Menschen oder ... eben auch umgekehrt."

Da waren wir uns völlig einig, auch nachdem wir noch einmal auf evangelisch und katholisch und meine buddhistische Schwägerin eingegangen waren, und auf einmal kam dann der nächste Gänsehautmoment für mich, als nämlich M. mal kurz den Raum verließ und so, als wolle man mir zeigen, dass man sogar Atheisten, wie ich ja schändlicherweise einer bin 😉, durchaus wertschätzen kann.

"Wir möchten einladen zu Ramadan abends zum Essen, dich und deine Mann", sagte A.- zum Fastenbrechen also, das mir aus Tunesien noch gut in Erinnerung ist.

Am späten Nachmittag hatten wir ein Taxi angehalten und wunderten uns nicht schlecht, als der Fahrer mit uns in völlig überhöhtem Tempo durch die Stadt raste.

"Klar, der hat Kohldampf", sagte einer aus unserer Gruppe grinsend und so war es auch, denn um diese Uhrzeit wollten sie alle nur noch nach Hause, wo dieses tägliche Fastenbrechen wohl mehr als üppig im Kreise der Familie regelrecht gefeiert wird.

Umso mehr fühle ich mich geehrt, dass man dieses Ritual nun mit uns, eigentlich ja noch fast völlig Fremden, teilen will, und als auch M. kurz darauf diese Einladung noch einmal wiederholte, zeigte ich den beiden meine Freude ganz deutlich und bedankte mich wirklich gerührt. 

Inzwischen habe ich mich ein wenig umgehört, was man zu diesem Anlass am besten mitbringt.

Ein Strauß Blumen wird sicher nicht verkehrt sein, denke ich, nur für F.s Füße müssen wir noch eine Lösung finden.

Zwar ist der Weg gar nicht weit, für ihn aber wohl trotzdem etwas zu anstrengend, also müssen wir mit dem Auto bis zum Markt-Parkplatz fahren, wofür er aber festes Schuhwerk benötigt.

Das er dann zum Schuhe-Ausziehen im Treppenhaus aber gar nicht gebrauchen kann, also wird er vermutlich beim Aussteigen gleich den Wechsel vollziehen müssen und dort - immerhin noch im Sitzen - in Clogs steigen, die er dann vor der Wohnungstür rasch loswird. 

Alles nicht so einfach ... 😂🤣😂, aber trotzdem war das gestern wieder ein sehr erfüllendes Erlebnis und ich freue mich richtig auf diesen Abend, zumal ich dann endlich auch die kleine Tochter kennen lernen werde, die bisher ja immer in der Schule war, während wir uns trafen.

Und nun werde ich mal losspringen zu verschiedenen Erledigungen, bevor ich mich dann F. widme, der morgen seinen Termin beim Lungenfacharzt hat.


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 🙂





8 Kommentare:

  1. Das ist doch wirklich toll, liebe Rex-Mama, welche Gastfreundschaft dir da begenet. Ganz schnell wird da der Kuchen mit Kerzen verziehrt. Hier gibt es auch einen türkischen Supermarkt in dem ich schon mal eingekauft habe. Ja, die sind auch hier sehr freundlich, das kann ich bestätigen. Hast du von den Plänen gehört die der Kinderbuchautor vor hat, hinsichtlich der Gebäudesanierungen? Da wird wohnen zum Luxus !!! 1 Billion soll der ganze Spaß kosten. Und was soll bittesehr mit den Fachwerkhäusern geschehen? Abreißen? Ach ich weis, die leeren Wohnungen gehen in das Eigentum der Asureisepflichtigen über. Ich suche mir eine Unterkunft beim Nachbarn jenseits des Rheins. Dort regieren keine Deppen.

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  2. Wenn du dich da mal nicht täuschst, Helmut, denn dieser Sanierungswahn kommt ja von der EU, d.h. er müsste dann Frankreich genauso betreffen.
    Sie alle scheinen nur noch im Sinn zu haben, die Bürger zu ruinieren, es ist eine Frechheit ohnegleichen. ☹
    Ansonsten, jaaa, ich bin auch fasziniert von so viel Gastfreundschaft und wenn man das Glück hat, auf die richtigen Leute zu treffen, macht es wirklich Spaß, gegenseitig mehr über die jeweilige Kultur zu erfahren. :-)

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  3. Liebe Rex-Mama,
    vier Jahre sind M und A schon in Deutschland? Ich dachte, sie sind relativ frisch eingewandert. Vor allem wundert mich (oder auch nicht?), dass A noch so wenig deutsch spricht. Ist sie immer nur im Haus? Schade finde ich das, aber immerhin tut die Familie jetzt etwas gegen die "Isolation". Bin gespannt, wie gut die Tochter deutsch spricht.
    Das Fasten im Ramadan wird vor allem im Sommer als schwierig empfunden, wenn die Zeitspanne, in der man essen, trinken und feiern darf, so unglaublich kurz ist. Kein Wunder, dass in der Stadt dann um Mitternacht noch so viel los ist ...
    Lieben Gruß

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  4. Ich glaube, liebe Sparchköchin, das ist ähnlich wie bei Deutschen auf Mallorca, die Herkunftscommunity ist riesig, man findet sämtliche Dienstleister der eigenen Abstammung vor und M. beklagte ja gleich bei unserem ersten Treffen auch, dass es hier doch ziemlich wenig Deutsche gäbe.
    Isoiert sind sie also absolut nicht, nur fehlt es eben am deutschsprachigen Umgang und natürlich ist A. noch relativ ans Haus gebunden, da sie ja nun einmal den gerade erst dreijährigen Sohn haben.
    Die Tochter geht in die zweite Klasse, kam ohne jede Sprachkenntnis in die Schule, aber hat sich wohl schon zur Klassenbesten gemausert, deshalb bin ich auch wirklich gespannt auf sie.

    Lieben Gruß zurück! 🙂

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  5. Wieso soll sie mit einem Dreijährigen ans Haus gebunden sein? LG

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  6. "Relativ" sagte ich ja, weil sie mit dem Kleinen eher nicht arbeiten gehen kann, und das wäre so ziemlich die einzige Chance, mehr Kontakt zu Deutschen zu bekommen.
    Ihr gehts da wohl ähnlich wie meinem amerikanischen Schwager, der seit über 30 Jahren hier lebt und nach wie vor ziemlich schlecht deutsch spricht, weil fast jeder, auf den er so trifft, mit ihm in seiner eigenen Sprache redet.
    Das lief bei meiner thailändischen Schwägerin anders, weil ihre Herkunftscommunity hier deutlich kleiner ist und auch keine Hemmschwelle bezüglich Glaube oder Tradition besteht, die einem lockereren Miteinander oft doch ziemlich im Wege steht.

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  7. Hm. Natürlich weiß ich nicht, wie das bei euch ist, aber in Wien gibt es einiges an Mutter-Kind-Veranstaltungen, Spielgruppen. Auch auf dem Spielplatz gibt es Möglichkeiten zu Kontakt.
    Wenn sie als Reinigungskraft oder an einer Supermarkt-Kasse arbeitet, hat sie auch wenig Kontakt ...
    Ich habe eher den Verdacht, dass es an ihrem Mann liegt, dass sie ans Haus gebunden ist, wenn der von früh bis spät versorgt werden will :)

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  8. Lach, zu Spielgruppen oder Mutter/Kind-Veranstaltungen kann ich natürlich nix sagen, aber auf den Spielplätzen ist es schon auffällig, dass die Leute, so man denn überhaupt welche sieht, wie eigentlich überall mehr innerhalb der eigenen Ethnie bleiben, da würde es also wohl nichts mit Deutschlernen.
    Ich denke allerdings nicht, dass ihr Mann da eine Rolle spielt, denn sie ist immerhin Apothekerin und hat auch vor, wieder in diesem Beruf tägig zu werden, sobald Sprache und Situation es zulassen.
    Sie haben nun einmal beide studiert und immerhin war sie es, die mich auf den internationalen Frauentag hinwies und die genau zu diesem Anlass ja auch Blumen von ihrer Freundin geschenkt bekam.
    Ich merke immer wieder, wie hellwach sie auf Themen wie Archäologie, Geschichte, Kräuterkunde oder Poltik reagiert, regelrecht darauf anspringt und bei Bedarf auch sofort Suchmaschinen bemüht, und ich denke, nicht umsonst erwähnte sie neulich, dass Kochen und Backen eine Leidenschaft von ihr sei, denn irgendwie klang das für mich wie ein Hinweis, dass es nichts mit etwaiger Unterwerfung zu tun habe.
    Ich sagte ja schon mal, sie kommen mir beide irgendwie suchend vor, was ich auch gut nachvollziehen kann, denn auf der einen Seite sind da die offenbar sehr traditionell lebenden und im Glauben verhafteten Famlien, auf der anderen aber ihre Bildung und die doch etwas andere Welt, in der sie nun gelandet sind.

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