Dienstag, 10. Oktober 2023

Tickende Zeitbombe

 Mit dem Besuch lief es dann doch etwas anders als erwartet, denn kurz bevor wir losfahren wollten, fragte mich A. über WhatsApp nach meiner Schuhgröße.

Sie müsse ihre Turnschuhe dringend waschen und bräuche Ersatz, bis sie getrocknet seien, am besten auch Socken.

Als ich ihr antwortete, dass ich Größe 38 habe, nahm sie von der Idee Abstand - ihre Füße seien größer, aber bei ihr im Flur stehe noch ein Paar Turnschuhe.

Okay, dann hole ich dir die eben, schrieb ich und blieb zunächst einmal ratlos zurück mit der Frage, warum jemand nur ein Paar Turnschuhe mitnimmt ins Krankenhaus, wenn er doch genau weiß, dass sich der Aufenthalt dort über Wochen hinziehen wird.

Ich selbst würde Allzwecklatschen vorziehen, die man immer wieder schnell von den Füßen hat, wenn man sich mal bissl hinlegen will zwischendurch.

Wobei mir diese ganze KH-Geschichte eh ein Rätsel ist.

Letztes Mal war ich mit oben - sie war gemeinsam mit einer anderen Frau in einem riesigen Zimmer untergebracht - ein langgestreckter, recht düsterer Schlauch, ohne jeden Komfort. Nicht einmal Fernseher gibt es, stattdessen einen Gemeinschafts-TV-Raum mit harten Holzstühlen.

Was sie dort den ganzen Tag mache, fragte ich und erfuhr von Malgruppen, in denen die Patienten beschäftigt würden.

Visite finde nur einmal in der Woche statt - von daher habe ich nicht wirklich eine Vorstellung davon, ob dort mehr mit ihr geschieht als Einstellen auf Tabletten, die dann teilweise wohl Suchtcharakter haben.

Immerhin waren nun die Weichen so gestellt, dass ich doch in ihre Wohnung musste, was mir einigermaßen wichtig war.

Nein, nicht, weil ich etwa Spaß daran hätte, zu gucken, ob und wie aufgeräumt es bei jemandem ist, sondern es ging mir darum, zu sehen, ob sie das noch im Griff hat, denn würde ich Verwahrlosungstendenzen erkennen, hätte natürlich Handlungsbedarf bestanden.

Als wir ankamen, stand sie schon vor dem Haupteingang mit dem Schlüssel bereit, so dass wir gleich weiterfahren konnten, was sich dann allerdings als recht schwierig herausstellte, denn es endete wie kürzlich bei der Beerdigung: Ich musste sehr weit laufen.

Überall Baustelle, und bevor wir uns restlos in dem Straßengewirr verfransten, stellte sich F. kurzerhand auf einen freien Platz, meinte: "Den Rest wirst doch wohl so schaffen?"

Hm, ich hatte schon eine gute Vorstellung davon, wie weit das noch wäre, und hätte es vorgezogen, näher heranzufahren, andererseits war ich aber ja schon dankbar, dass er sich überhaupt bereiterklärt hatte zu helfen und wollte das nun nicht überstrapazieren.

Also machte ich mich auf den Weg - vermutlich waren es noch rund 2 Kilometerchen, die ich latschen durfte, aber dann war ich endlich da.

Der Briefkasten war bis auf ganz wenige Werbung völlig leer und die Wohnung tipptopp in Ordnung.

Gott sei Dank, zumindest diesbezüglich brauche ich mir keinen Kopf zu machen und die Schuhe waren schnell gefunden. Sicherheitshalber schickte ich ihr schnell ein Foto und vergewisserte mich, dass es die richtigen waren, und schon trabte ich wieder los.

Am KH schrieb ich ihr, dass wir wieder da seien und als sie nun ... ganz langsam ... ins Freie trat, fiel es mir so richtig auf: 

Wie eine ganz, ganz alte Frau wirkt sie, das Gesicht so runzelig, wie ich es vielleicht bei einer Hundertjährigen erwarten würde, aber auch ihre Bewegungen kamen mir nun so vor, saft- und völlig kraftlos, wirklich Anlass zur Soge.

F. hatte sich auf einen verwaisten Taxiplatz gestellt und war sicherheitshalber im Wagen geblieben, so konnten wir uns allein auf eine Bank setzen und ungestört reden.

"Der Blutfleck muss weg", meinte sie, zeigte auf ihren Turnschuh und als ich nun wissen wollte, wie der überhaupt dorthin gekommen sei, ...


Just an diesem Punkt musste ich gestern aufhören zu schreiben, denn nachdem ich mich morgens mit Saugen und Möbelrücken im Esszimmer vielleicht etwas überanstrengt hatte, überkam mich plötzlich eine neuerliche Kreislauf- und Schwindelattacke.

Die dritte nun schon innerhalb von fünf Tagen, diesmal wurde mir mehr als unheimlich, wie alles in mir selbst bei geschlossenen Augen Kaurssell fuhr, wie mir der kalte Schweiß am ganzen Körper in Strömen zu rinnen begann und mir dann auch noch übel wurde.

Verdammte Scheiße ist das ohne warmes Wasser, denn hätte ich mich sauberer gefühlt, hätte ich vermutlich zugestimmt einen Arzt kommen zu lassen.

Nun muss ich schauen, wie ich das hinbekomme, denn irgendwie sollte ich nach Wasserschleppen und Baden dann ja auch noch fit genug sein für den Marsch zur Praxis, an die man dank Autofeindlichkeit der Städte gar keine Chance mehr hat, mit dem Wagen zu gelangen. 


Zurück zu A.

Sie gestand mir nun, dass sie aus Wut über eine Krankenschwester in die Stationsküche geeilt sei und nichts Besseres zu tun wusste, als sich ein Messer zu schnappen und an ihrem Handgelenk herumzuschneiden. 

Nicht sorgfältig genug, als dass es lebensbedrohlich hätte werden können, aber getan hat sie es eben doch.

Was ihr zunächst eine Woche in der Geschlossenen einbrachte ... 

"Eigentlich sollte der Fleck ja bleiben als Mahnmal", sagte ich zu ihr, "und jedes Mal, wenn du hinguckst, sollte eine Hand rauskommen ..."

"... und mir eine kleben ...", setzte sie selber meinen Satz fort und wir waren uns einig, wie doof sie sich verhalten hatte.

Nach vielleicht einer Viertelstunde hatte sie genug, ich merkte, wie sie innerlich wieder auf Rückzug stellte, also verabschiedete ich mich mit dem Hinweis, dass sie sich melden soll, wenn es irgendwo hakt und ich helfen kann

Aber nun sollte ich wohl erst mal schauen, wie ich mir selber helfe ... 🙄


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund!




8 Kommentare:

  1. Ach herrje, du Arme! Drei Schwindelattacken innerhalb von fünf Tagen! Und heute willst du erst Wasserschleppen und Baden, bevor du zum Arzt gehst? Ich kann da nur mit dem Zeigefinger wackeln und mich über deinen F. aufregen. Der gute Mann wird von dir 365 Tage im Jahr gepampert, und er schnappt sich nicht mal das Telefon, um zumindest in der Hausarztpraxis anzurufen und Rat einzuholen, egal ob gebadet oder nicht??? Wie hart du zu dir selbst bist, sollte er nach 40 gemeinsamen Jahren wissen....
    Es muss ja wirklich nichts Ernstes sein, aber das sollte ein Arzt abklären.
    Ich wünsche dir von Herzen alles Gute! 💚

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    1. Danke dir meine Liebe! :-)
      Ich hab beides gemacht, also Wasser geschleppt und war auch in der Praxis, denn nach diesem Rundumschweißausbruch wäre es ohne Baden echt nicht gegangen. War schon tapfer von uns, die Nacht mit so was Müffeligem zu überstehen. ;-)))
      Zu F.s Verteidigung - er saß gestern die ganze Zeit neben mir, holte mir dies und jenes und fragte immer wieder, ob er einen Arzt rufen solle.
      Er hat sich vorbildlich benommen und ließ mich auch den Rest des Tages nicht mehr aus den Augen.
      Beim Arzt lief leider gar nix, schon telefonisch hatte ich eine halbe Stunde lang keinen erreichen können und vor Ort erfuhr ich, dass die Totalausfall bei der Technik hatten.
      Ich erzähls morgen genauer, auf jeden Fall wurde ich wieder heimgeschickt.
      Unfassbar, wie das heutzutage läuft ...

      Liebe Grüße 💜

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  2. Liebe Rex-Mama, dein Eintrag macht mir deutlich, dass du eine sehr sensible Person bist. Solche Menschen sind leider sehr selten. MEIN, ich möchte dir keinen Honig ums Maul schmieren, das ist nicht mein Ding. Und ich lese, dass du noch immer nicht aufm Damm bist. Deshalb bleibt mein Wunsch für dich : GUTE Besserung die wichtigste Botschaft für dich!!!! Heute hatte ich Gelegenheit mit einer Frau an der Kasse bei mein real zu sprechen. Sie haben weiterhin KEINE Information wie es bei ihnen weiter geht. Sie wurden am gleichen Tag informiert als es in den Medien kam. Viele sind verzweifelt. Die Frau sagte: Wenn niemand kommt und kauft sie auf, dann ist Schluß. Das wäre auch für die Leute die Kunden sind blöd.

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    1. Danke dir, lieber Helmut, und wie man mit den Real-Mitarbeitern umgeht, das ist schrecklich.

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  3. Uups, Liebe, tickende Zeitbombe !? Wen meint sie damit? Klar, auf nachlesen, A.
    Doch, so denke ich, sind wir nicht alle tickende Zeitbomben? Jedem seine Bombenuhr tickt vor sich hin. Ein klein wenig haben wir Zugriff auf diese Uhr und können sie mit Glück und Achtsamkeit ein wenig manipulieren. Bei dem Gedanken und dem äußeren und inneren Zeitgeschehen kann es einem schon schwindlig werden. Dabei hoffe ich sehr, dass du schnellstens deine Schwindligkeit wieder in den Griff bekommst. M.E. liegt die Ursache hochwahrscheinlich in der Aufarbeitung deines grippalen Infektes. Gib dir Zeit und v.a. Schonung.
    Dieser Tage las ich, dass das Pendant von Longcovid neuerdings Longgrippe sei.

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    1. Lach, mein Lieber, da zeigt es sich wieder mal, wie aufmerksam du liest.
      Diese Zeitbombe hatte sich natürlich auf meine Freundin bezogen, bei der ich noch nicht abschätzen kann, inwiefern sie aufgrund ihrer Krankheit womöglich mutwillig mit ihrem Leben umgeht.
      An sich wollte ich da auch noch näher drauf eingegangen sein, aber dann kam mir mein Kreislauf dazwischen und heute früh ein wenig Zeitmangel, weil ich mich dann ja auf den Weg machen wollte, wenn auch vergeblich.
      Longgrippe klingt nicht sehr fein, also werde ich nun einfach mal darauf hoffen, dass sich das bei mir ganz schnell wieder gibt. ;-)

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  4. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Diese Schwindelattacken wirken echt sehr beunruhigend. Ich hoffe, man kann und will dir helfen?!

    Ich verstehe gar nicht, wie man damit drohen kann, sich was anzutun. Damit versetzt man nicht nur sich einen bösartigen Adrenalinstoß, sondern auch gleich seiner gesamten Umgebung und davon betroffenen Menschen auch mit.
    Wer so was macht, gehört auch zumindest vorübergehend auf die geschlossene.

    Ich hoffe, A. weiß das zu schätzen, was du da für sie tust?

    2 Km hin und 2 Km zurück sind schon vier. Wo du in deinem Zustand marschiert bist. Hm :(

    Das mit dem Wasser. Sag mal, das kann und darf doch nicht wahr sein?
    Da muss was passiere! Gibt es denn da keine Stellen, wo ihr euch hinwenden könnt?
    Die müssen alle mal in die Gänge kommen.
    Wo gibts denn sowas, dass Menschen ohne warmes Wasser in unserem Land auskommen müssen?




    Liebe - heftig schüttel mit dem Kopf und wünsche euch möglichst bald heißes Wasser - Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Hilferufe, Bestrafen und Erpressen, lieber lifeminder, so kann man das wohl zusammenfassen. Wenn die böse Welt mitsamt ihren Menschen nicht so mitspielt, wie man es gerne hätte, dann versucht man es halt auf diese Weise.
      Was eigentlich immer mit einem gestörten Verhältnis zu sich selber zu tun hat.
      Mir ist es ein Rätsel, warum man mit "Malgruppen" an so etwas herangeht, anstatt sich die Mühe zu machen, gemeinsam mit den Betroffenen ihr Innenleben genauer zu untersuchen, also zu versuchen, die Mechanismen zu erkennen, denn nur wenn man sie selber beginnt zu verstehen, kann man sie im besten Falle auch durchbrechen, wenn man es denn möchte.
      Ob es wirklich 2 km waren, weiß ich gar nicht, womöglich auch weniger, jedenfalls kam es mir sehr weit vor. ;-)
      Und unsere Heizung, lach, an welche Stelle sollte man sich da wenden können?
      Habeck hat ganz viele kleine Hausbesitzer in Panik versetzt, alle versuchen noch schnell eine neue Therme zu bekommen, so lange die Grünen das noch gestatten, und entsprechend groß sind nun die Lieferengpässe.
      Noch funktioniert dieser Notbehelf mit dem Baden ja auch, aber schwierig wird es mit zunehmender Kälte werden, denn egal, wie viel kochendes Wasser man schleppt, in einem eiskalten Haus in die Wanne zu steigen, ist nicht wirklich ein Vergnügen.

      Liebe Kopfschütteln-wärmt-einen-ja-vielleicht-auch-ein-wenig-auf-Grüße zurück! :-))

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