Das war irgendwie nix

 Wie eine Blöde hatte ich gestern früh Wasser geschleppt, um uns eine heiße Badewanne herzurichten, und nachdem ich mit einem Affenzahn durchgeflutscht war - auch für F. sollte es ja noch heiß sein -, fühlte ich mich endlich wieder reinlich genug und beschloss, gleich Nägel mit Köpfen zu machen und den Arzt aufzusuchen, denn so ganz geneuer sind mir diese Kreislaufattacken wirklich nicht.

Rund eine halbe Stunde lang orgelte ich am Telefon herum, nichts, es war einfach niemand errichbar, weiter als bis in ein Band kam ich nicht, das einen nach etlichen Minuten dann einfach hinauswarf.

Also auf gut Glück einfach hinmarschieren?

Sehr wohl war mir bei dem Gedanken nicht, denn nun hat sich etwas die Angst in mir festgefressen, dass es jeden Moment wieder geschehen könnte, nicht auszudenken, wenn das auf der Straße der Fall wäre.

Aber es half ja nix und irgendwie schaffte ich den Weg, war aber mehr als froh, als ich wohlbehalten dort ankam, nur um dann allerdings schon unten im Treppenhaus von oben laute erregte Stimmen zu hören.

Als ich den Aufzug verließ, sah ich die Bescherung, das ganze Treppenhaus voller Menschen und die Praxistür fest verschlossen

Oh?

Man habe kompletten Technikausfall, wurde ich aufgeklärt - ratlos klammerte ich mich an der einzig freien Stelle des Treppengeländers fest, hatte Angst, nun jeden Moment doch noch umzukippen, und dann steckte eine Mitarbeiterin den Kopf aus der Tür, um allen zu sagen, sie sollten mal besser wieder gehen, das würde nix mehr.

"Hörn se mal, ich habe ein akutes Kreislaufproblem und kann jetzt nicht nach Belieben hin und her marschieren", sagte ich zu ihr und ein Mann rief, er habe starke Schmerzen in rechten Unterbauch - was er denn nun machen solle?

Nicht lange, dann zeigte sich der Kopf eines der drei dort residierenden Ärzte, aber auch er konnte nur vermelden, dass gar nichts ginge.

Ob er denn nicht auch so in der Lage sei, dem Mann neben mir den Bauch abzutasten und bei mir vielleicht mal das Stethoskop zu benutzen, wollte ich wissen, aber er verneinte rigoros, ohne Technik seien ihm komplett die Hände gebunden.

Wehmütig dachte ich an meinen Opa zurück, der über all diesen technischen Kram ja noch gar nicht verfügte und trotzdem als hervorragender Arzt galt. Bis heute ist sein Name den Alteingesessenen im betreffenden Stadtteil ein Begriff und nun beschlich mich der Gedanke, dass man im Grunde zur Diagnostizierung auch gleich KI benutzen kann, wenn die menschlichen Ärzte ohne Technik eh zu nichts mehr in der Lage sind. 

Ob er mir nicht wenigstens eine Art Notfalltropfen aufschreiben könne, fragte ich nun noch, doch ein Rezept per Hand auszufüllen, auch das ist heute offenbar ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich solle viel trinken, empfahl er mir und damit stand ich dann geauso dämlich da wie der schmerzgeplagte Mann und es blieb mir nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge nach Hause zu trotten.

Wo ich immerhin heile ankam und auch den Rest des Tages wurde ich von einem neuerlichen Anfall verschont. Toitoitoi ...

Und nun noch mal kurz zurück zur "tickenden Zeitbombe", mit der ich gestern natürlich A. gemeint hatte, die ja auf eine Auseinandersetzung mit einer Krankenschwester damit reagierte, dass sie die Stationsküche aufsuchte, sich ein Messer schnappte und sich damit an den Pulsadern herumschnitt.

Bestrafen, erpressen, ob nun mit bei nicht wohlgefälligem Verhalten plötzlichen Erkrankungen oder mit Suizidversuchen, egal ob halbherzig oder sogar ernst gemeint, meine Mutter quälte damit die ganze Familie, besonders aber Papa und mich bis zum Gehtnichtmehr und ganz sicher lasse ich mich auf solche Spielchen nie mehr ein, denn das kann zu ähnlichem Co-Verhalten führen, wie es auch rund um Suchtkranke oft der Fall ist, wobei gerade Letzteres bei suizidalen Anwandlungen mitunter auch noch mit hineinspielt.

Und gerade diese "Co-Abhängigkeit" führt dazu, dass man sich völlig falsch verhält.

Mein Leben lang kannte ich es nicht anders, als mich diesen Erpressungen zu fügen - wie oft verbrachte ich schon in frühester Kindheit Nächte mit Muttern, in denen ich sie bewachte und Pillen und Rasierklingen verschwinden ließ.

Wie sehr bekam sie Papa und mich immer wieder dazu, ihr nach dem Mund zu reden und uns so zu verhalten, wie es ihrer Laune am förderlichsten zu sein schien, immer waren unendliche Geduld und ... hm, Fingerspitzengefühl vonnöten, dabei war gerade das verkehrt.

In den Jahren, wo ich mich auf dem Weihnachtsmarkt abmühte, trieb sie es schließlich mal auf die Spitze. Irgendetwas hatte Papa zu ihr gesagt, was sich mit ihrem Selbstbewusstsein nicht vereinbaren ließ, und wieder einmal wurden ihre Brüste zum Knackpunkt.

Schon mit Mitte 30 hatte sie sich nach der komplizierten Geburt meiner kleinen Schwester einer Totaloperation unterzogen und auch die Brüste ließ sie "sicherheitshalber" aushöhlen und mit Plastik auffüllen.

Eigentlich war sie recht stolz auf diese Dinger, weil ja beim besten Willen nichts hängen konnte, aber nun setzte sie sie als Waffe gegen Papa ein - wenn er mit dem, was er "Dramatisches" zu ihr gesagt hatte, nicht umschwenke, dann würde sie sie sich ganz wegmachen lassen - so ganz habe ich es nicht verstanden, was sie mit dieser Drohung überhaupt bezwecken wollte, aber bei den beiden spielten Äußerlichkeiten eh immer eine recht große Rolle.

Der ganze Knatsch zog sich wie so oft über Wochen hin - abwechselnd Erpressung und dann wieder tödliches Schweigen, das wir alle so fürchteten. Sonntags saß Papa verzweifelt bei mir am Küchentisch, er wisse nicht mehr, was er noch machen solle ...

"Mensch, hau doch mal richtig mit der Faust aufn Tisch, lass dir das nicht ständig gefallen", schlug ich vor und verschlimmerte es damit noch, denn die Woche darauf erzählte er dann, dass nun gar nichts mehr ginge.

Abends - egal, wie fertig ich aus der Kälte nach Hause kam, rief ich sie immer noch an und auf einmal begann sie dann vollends abzudrehen - das habe alles keinen Sinn mehr, sie würde sich nun umbringen ...

Die Engelszungen hatte ich wahrlich oft genug durch und nun reichte es mir ganz einfach und ich sagte knallhart: 

"Weißte was? Dann mach es doch endlich, tu, was du nicht lassen kannst, dann hat es endlich Ruhe!"

Dann legte ich einfach den Hörer auf und siehe da, das zeigte Wirkung, denn nun setzte der Mechanismus ein, den ich so oft miterlebt hatte. Sie switchte innerlich sofort um, tat am nächsten Tag völlig normal, als sei nie was gewesen, was sie immer schon perfekt beherrschte.

Und das war's tatsächlich, nie wieder kam sie uns mit solchen Androhungen - hätte ich doch bloß schon viel früher so reagiert. 

Natürlich sitzen mir diese Erfahrungen (nicht nur mit ihr, sondern auch bei anderen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, und immer waren es Frauen) sehr tief drin und so erklärt es sich auch, dass ich relativ ungerührt wirkte, als A. mir nun mit der Messer-Schote kam.

"Ach so, wolltest die arme Krankenschwester mal kurz bestrafen, weil sie so bös zu dir war?", fragte ich, sie bestätigte genauso ungerührt, irgendwie galgenhumorig sogar und als ich ihr nun sagte, dass der Blutfleck auf dem Schuh eigentlich als Mahnmal bleiben solle und am besten immer wieder mal eine Hand für ne kurze Backpfeife herauskommen sollte, schloss sie sich mir auch da an, mit einem etwas schiefen Grinsen, und genau da wollte ich sie in diesem Moment eigentlich haben. 

Schwierige Sache, eine Gratwanderung halt, auf der einen Seite müssen die Betroffenen natürlich das Gefühl haben, ernstgenommen zu werden, auf der anderen Seite sollte man sie aber nicht auch noch mit überschäumendem Mitgefühl in ihrem "Leid" bestätigen, das sie selbst mitunter schon eine Stunde später gar nicht mehr nachvollziehen können.

Mal abwarten, wie nah sie mich überhaupt an sich heranlässt, auf jeden Fall sollte ich mich wohl wappnen, bei hörbarem Ticken den Zünder direkt deaktivieren zu können ... 

So, unnu überlege ich, ob ich mich fit genug fühle, mit Rex zum Impfen zu gehen.

Vermutlich ist es besser, damit noch zu warten, denn dafür sollte ich wirklich sicher auf den Beinen sein, wenn ich doch schon unterwegs damit rechnen muss, unzähligen seiner "Feinde" zu begegnen und es auch kein Leichtes ist, ihn überhaupt ins Sprechzimmer zu bekommen. 🙄

 

Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉.