Sonntag, 11. Juni 2023

Und wieder kaum Schlaf

 Irgendwie ist es vertrackt im Moment, aber zunächst noch einmal kurz zu vorgestern und meinem Eintauchen in die türkische Lebenswelt.

Ich könnte fast darauf wetten, dass auch die kleine Tochter von M. und A. beizeiten anfangen wird, sich zu verschleiern, und versuche nun mich da einmal hineinzudenken, statt immer nur verständnislos den Kopf zu schütteln, was ich im Grunde meines Herzens mache, da ich niemals bereit war und sein werde, mich dem zu unterwerfen, was alte Männer sich für mich erdachten, weil es angeblich im Sinne irgendeines Gottes wäre.

Ich selbst hatte das - in meinen Augen - große Glück, als Kind im Elternhaus nicht in eine Religion hineingedrängt zu werden, vermutlich zwei Umständen geschuldet.

Zum einen war Papa evangelisch und meine Mutter ursprünglich katholisch, konvertierte dann aber bei der Hochzeit, damit sie "zusammenpassten", nur auf dem Papier allerdings, denn im Herzen blieb sie immer katholisch, wie sie mir später einmal sagte.

Hinzukam, dass ich ja beim Gespräch mit dem Pastor für Papas Trauerfeier erfuhr, dass unsere Familie traditionell wohl zu den Hardcore-Christen gehört, vermutlich etwas in Richtung Evangelikale.

Genaueres weiß ich nicht und sollte endlich daran denken, diesen Pastor anzurufen, sofern er noch lebt, denn interessieren würde es mich schon.

Mein Vater war zwar gläubig und ging durchaus ab und zu in die Kirche, aber bei ihm war es sehr gemäßigt und uns Kinder ließ er damit in Ruhe. Zwar erzählten sie uns ab und zu mal vom "lieben Gott" und dass der dies oder jenes tun würde, wenn wir uns nicht wunschgemäß verhielten, aber ich nahm das in in etwa so ernst wie die Figuren aus meinen Märchenbüchern, war also immer schon skeptisch.

Ein weiteres Glück war, dass ich den größten Teil meiner Schulzeit in den Siebzigerjahren erlebte, in meinen Augen das freigeistlichste Jahrzehnt überhaupt, wir durften alles denken und auch aussprechen, es gab keinerlei Tabus, und vielleicht gerade deswegen wurde jeder so akzeptiert, wie er war, ohne dass wir von einem "Moraldiktat" dazu gezwungen wurden, das heute ja über allem schwebt und dadurch die Unterschiede zwischen den Menschen erst so richtig aufs Tableau bringt, also völlig kontraproduktiv ist.

"Modern" wollten auch die Kirchen damals sein und so gab es keinen wöchentlichen Konfirmandenunterricht, sondern wir fuhren alle zwei Monate für ein Wochenende weg und erarbeiten uns dort viele ehtische Erkenntnisse, wobei "Gott" höchstens am Rande einmal eine Rolle spielte.

Dann geriet ich unversehens und nur, weil Jutta P. sich für dieses Gymnasium entschieden hatte, mitten hinein in eine katholische Welt, denn Träger der altehrwürdigen und bis vor Kurzem noch von Nonnen geleiteten Mädchenchule war das Bistum Essen und hier war "Gott" dann durchaus etwas präsenter, auch wenn man - noch einmal zu meinem Glück - das Hauptaugenmerk auf eine excellente humanistische, sprachliche und naturwissenschaftliche Ausbildung legte.

Meine Klassenkameradinnen, bis auf wenige Ausnahmen natürlich alle katholisch, waren daheim anders geprägt worden als ich und manchmal beneidete ich sie glühend um das Gemeinschaftsgefühl, das sie dank ihres Glaubens zu verbinden schien, besonders wenn sie am Aschermittwoch vom wöchentlichen Messegang vor der Schule (von dem ich als Evangelische befreit war und daher immer erst um neune Schule hatte 😁) zurückkehrten mit Aschekreuzen auf der Stirn, die sie stolz umhertrugen, während meine eigene in jungfräulichem Weiß leuchtete.

Meine Freundin A. (die, die nun wieder auftauchte) zog mich mit in das katholische Jugendheim, in dem sie ihre Abende verbrachte und das sich im Keller der Zweigstelle eines Klosters befand.

Pater und Brüder mischten sich in ihren Gewändern gerne unter uns Jugendliche, wir tranken gemeinsam Bier, diskutierten uns die Seele aus dem Leib, spielten Billard, kickerten, hörten Musik, eine wunderschöne Zeit und natürlich schloss ich mich Gruppen an, leitete auch selbst Kindergruppen und sang im Kirchenchor mit.

Schon als Minifuzzi hatte ich dazu geneigt, die Erwachsenen um mich herum mit den unmöglichsten Fragen zu traktieren - meine Tante jammert heute noch darüber 🤣 -, daran hat sich bis jetzt nix verändert und trotzdem schaffte es damals niemand, mir irgendetwas zum Thema Gott zu sagen, das mich überzeugt und meine Zweifel hätte mindern können.

Mehr intuitiver Art waren sie und es sollten Jahrzehnte intensivster Beschäftigung mit dieser Thematik nötig sein und noch eine lebensbedrohliche Krankheit, bis ich mich davon endlich befreien und aus tiefster Überzeugung zum Atheisten erklären konnte, denn dieses "wenn du nicht dies oder jenes tust, wird der liebe Gott dich bestrafen" hatte natürlich Wirkung gezeigt und mich tief in mir lange vor dieser endgültigen Abnabelung zurückschrecken lassen. 😉

Mit diesen eigenen Erfahrungen im Hinterstübchen schaue ich nun auf die kleine B., die natürlich ebenfalls komplett vom Elternhaus geprägt wird, und nicht nur von diesem.

Die Familie landete in einer Stadt, deren Einwohnerschaft zu einem Fünftel aus ihren Landsleuten besteht, d.h. die Kleine ist in der Schule von muslimischen Kindern umgeben und die Freizeit wird im türkischen "Bildungsverein" verbracht, in dem selbstverständlich auch noch zusätzlicher Religionsunterricht erteilt wird.

Als wir vorgestern das Gelände betraten und die Kinder sofort lossprangen, um sich unter ihre Freunde zu mischen, erinnerte mich das an unseren Schwimmverein, denn auch dort lief es ähnlich.

Wir kamen an und flitzten sofort los, wussten wir uns doch unter unseresgleichen und fühlten uns in dieser Welt geborgen, nicht anders als diese Kinder nun, nur dass ihre Welt sich eben in einer Parallelgesellschaft zur ursprünglichen deutschen befindet.

Vermutlich wird die kleine B. den Moment herbeisehnen, zu dem auch sie endlich das Kopftuch aufsetzen darf, so wie es alle Frauen in ihrer Welt tun, wenn sie das richtige Alter erreicht haben.

Ein Zeichen fürs Erwachsenwerden eben, so wie es bei uns damals der erste Schuh mit einem etwas höheren Absatz war und natürlich die erste heimliche Zigarette.

Zu schade, dass sich diese Welten so wenig miteinander vermischen, denn wie gesagt war ich der einzige nichttürkische Mensch dort und gestern Abend sollte ich noch einmal über dieses Thema stolpern.

Irgendwie läuft hier gerade nichts so, wie es das eigentlich sollte, sprich, ich komme mit meiner Arbeit kaum hinterher und immer noch kein Gedanke daran, dass ich mit der Teichumrandung auch nur hätte anfangen können.

Stattdessen sitzt mir nun sogar drängender das Esszimmer im Nacken, denn nachdem F. bei seiner vergeblichen Suche nach den Sparbüchern dort doch endlich mal ein wenig Luft in seine gesammelten Werke brachte, könnte ich vorwärtskommen und die noch ausstehenden Stücke von Zimmerdecke und -wänden schrubben.

Die Sonne steht nun morgens so, dass mich das richtig anguckt und dringend erledigt werden sollte.

Geplant eigentlich für gestern, doch dann fing die große Regentonne an zu spinnen, d.h. sie war verstopft, es kam nichts mehr heraus und so musste ich meine Zeit dann auf einer Leiter verbringen, immer in Sorge, ich könnte hineinkippen, während ich mit allem Möglichen darin herumstocherte und versuchte, Schlamm und Blätter herauszufischen. 🙄

Mittags war ich dementsprechend k.o., doch mit einem Schläfchen gestaltete es sich eher unkomfortabel, dann statt der 6° im Schlafzimmer, an die wir uns in den langen Wintermonaten gewöhnen mussten, ist es dort nun mehr als mollig bei über 30° unterm Dach - nein, wirklich erholsam fühlt es sich nicht an.

Abends verwöhnte ich uns - eigentlich für das Wetter völlig falsch - recht üppig mit Backofenpommes (mit sehr viel "Rot-Weiß" drauf), gebratenem Huhn und Salat und just, als ich danach mit vollem, runden Bäuchlein auf dem Sofa einzunicken drohte, piepste WhatsApp und meine liebe U. war es.

Na, watt'n? Schlafen wird eh überbewertet, also schwang ich mich in ganz leichte Rübergeh-Klamotten, ich brauchte ja wirklich nur die Straße zu überqueren, weil sie, seit ihr Ex-Mann die Partyhütte, wo wir uns sonst trafen, mit alleinigem Beschlag belegt hat, sich nun wieder auf dem Hof ihres Hauses eingerichtet hat.

Sehr schön übrigens, mit einer großen Rattan-Sitzecke mit dicken, weichen Kissen darauf und so saßen wir alsbald zu zweit dort, brüteten über ihrer nächsten Hausarbeit und quatschen über Gott und die Welt.

Und dann wurde das Thema Kopftuch bzw. die Parallelwelt wieder präsent, denn das Nachbarhaus, das bis vor zwei Jahren von U.s Nichte bewohnt wurde, gehört nun einer syrischen Familie.

ER ist vermutlich hier geboren, spricht perfekt deutsch und ist auch beruflich integriert, aber seine Frau scheint noch nicht lange hier zu sein, spricht unsere Sprache kaum und ist mindestens so streng verschleiert wie A., nur dass das, was sie um Kopf und bis weit über die Schultern trug, mir in Leopardenmuster entgegenleuchtete, als sie ständig irgendetwas in ihrem kleinen Hof zu wurschteln hatte und hinein und hinaus sprang, während ER Ähnliches oben auf der Terrasse verrichtete.

Gar nicht unfreudlich, man grüßte kurz, nickte sich zu, aber das war's dann auch, kein Schwätzchen am Zaun, wie man es mit anderen Nachbarn vermutlich gehalten hätte - jeder lebt sein Ding für sich, auch wenn man direkt aufeinanderklebt.

Und dabei fiel mir dann auch wieder einmal auf, wie gut wir es hier drüben auf unserer Straßenseite doch haben, denn während ich bei U. auch den übernächsten Nachbarn und den danach immer noch klappern hörte, ständig irgendwo Licher an- und wieder ausgingen, eines uns sogar ständig mit einer Art Staccato beleuchtete, haben wir hier vergleichsweise kaum Nähe, sowohl wegen des größeren Grundstücks als auch wegen des weiteren Abstandes zu den Nachbarn, egal wie sehr ich manchmal über das Heim fluche. 

Fast halb drei in der Nacht wurde es, bis ich nach einem noch angehängten Gassigang endlich ins viel zu warme Bett fiel, und ... um sechse war die Nacht dann eh schon wieder herum für mich.

So viel zum Thema Schlafen und nun werde ich hurtig die Wäsche aufhängen, nachdem ich bereits in der Früh die Pflanzen mit Wasser versorgt habe, auch den Tomaten/Gurken/Paprika-Urwald, der hier allmählich entsteht:



Habt einen schönen Sonntag und ... bleibt bitte gesund! 😊

5 Kommentare:

  1. Gratuliere zum Gemüse-Urwald, liebe Rex-Mama,
    dir hilft wohl die Wärme und dein regelmäßiges Gießen. Auch bei uns wächst das Gemüse ordentlich. Die Bewässerung kommt derzeit reichlich von oben, und es hat knapp über 20 Grad, also ideale Bedingungen.
    Immer dran bleiben, fleißig gießen und auf Schnecken kontrollieren!

    Lieben Gruß

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  2. Genau, liebe Sparköchin, ich schleppe zur Zeit viele Gießkannen durch die Gegend, nach Möglichkeit früh am Morgen, weil es später unerträglich heiß wird, und Regen ist nach wie vor keiner in Sicht, nicht mal ein winziges Tröpflein. 🙄

    Lieben Gruß zurück!

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  3. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Ich gehört ja zur Fraktion "Glauben" und nicht "Wissen".
    Nach wie vor finde ich das sehr beruhigend, dass da vielleicht etwas ist, dass zumindest hier und da für ein Wunder sorgt.

    Wie nun zum Beispiel die 4 Kinder, die im Dschungel 40 Tage überlebten und heil geborgen werden konnten.

    Jede Kultur hat so ihre eigene Sitten.
    Sollten sich Frauen freiwillig verschleiern wollen, sollen sie es doch tun.
    Aber sich verschleiern müssen aufgrund einer Religion finde ich nicht besonders berauschend.

    In Worms begegnen mir wenig verschleierte türkische Frauen. Im Gegenteil, die wirken doch meist sehr aufgeschlossen und modern. Früher sah man gefühlt ein vielfaches an Kopftüchern wie heutzutage in Worms.

    An Aschermittwoch und zwei Stunden später in die Schule zu müssen, kann ich mich auch noch bestens erinnern.
    Der Begriff: "Hardcore-Christen" ist mir zuvor noch nie begegnet.
    Wobei mir das gerade heute irgendwie passen erscheint, ging doch heute auch der Kirchentag mit mehr als 70 000 Besuchern zu Ende.

    Deine Tomaten und Co. werden sich auch in diesem Jahr ein Erfolg.

    Genau wie bei der Sparköchin hoffe ich, dass du es in dieser Woche mal etwas langsamer angehen lässt, dir einige Stunden Zeit zum Schlafen und für dich herausnimmst,



    Liebe - mit viel Schlaf in den Montag - Grüße
    Vom lifeminder



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    1. Das ist ja merkwürdig, lieber lifeminder, denn weltweit geht der Trend im Islam dank des wahabitischen Einflusses ja in der Regel hin zum Fundamentaleren, so auch in der Türkei, wo Erdogan das mächtig unterstützt.
      Bei uns in der Stadt ist laut M. ein Fünftel der Einwohner türkisch, hinzu kommen noch viele Muslime aus anderen Ländern und laut unserer Innenministerin beträgt das Verhältnis ausländischer zu deutschen Schülern vielerorts 95:5%.
      Das heißt, die Gruppe der - im Gegensatz zu den christlich geprägten - praktizierenden Muslime ist riesengroß und dadurch entsteht natürlich auch ein Gruppenzwang, so wie ich es ja im "Bildungsverein" auch sah. Die Frauen verschleiern sich, auch die, die es früher nicht taten, und womöglich reden sie sich sogar noch ein, sie täten es ausschließlich, weil sie persönlich Lust darauf haben.
      Mag sein, dass sich das auf die Großstädte bzw. Ballungsräume konzentriert, aber hier springen inzwischen schwarzhaarige Frauen ohne Kopftuch oder Hidschab schon ins Auge, weil man sie immer seltener sieht.
      Hardcore-Christen, lach, den Begriff hatte ich einfach mal eben konstruiert, aber er passt ja eigentlich auf alle, die ihre Religion oder auch andere Ideologien sehr fundamental ausleben und sich davon ihr Leben bestimmen lassen.
      Für mich ist das die (geistig) bequeme Alternative zum Selber-Denken und ganz sicher nicht dafür geeignet, für mehr Frieden auf der Welt zu sorgen.
      Es langsamer angehen zu lassen, noch mal lach, ist eine schöne Idee, nur nicht sehr weiterführend, wenn man dadurch alles Anstehende nur vor sich herschiebt, da doch lieber Pobäckle zusammenkneifen und immer munter durch, oder? ;-)))

      Liebe Immer-was-los-Grüße zurück! :-)

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    2. Ganz vergessen, lieber lifeminder, das Wunder ...
      Ja, ich denke auch, dass man die Kinder fand, das grenzt wirklich an ein Wunder, doch dass sie so lange überleben konnten, ist wohl eher ihrer Erziehung zu verdanken, sie wussten, wie sie sich in dieser Umgebung verhalten mussten, während Kinder bei uns wohl völlig aufgeschmissen wären, allein in der Natur.
      Und selbst die meisten Erwachsenen hätten wohl kaum eine Chance, sind sie doch schon ohne Handy oft aufgeschmissen und können ohne Navy nicht mehr von A nach B finden.
      Wir machen uns viel zu abhängig ...

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