Samstag, 10. Juni 2023

Nickerchen, was'n das?

 Hihi, es soll einfach nicht sein, gestern auch wieder nicht, obwohl ich es mir so schön ausgerechnet hatte, dass ich einen Teil meiner noch zu erledigen Arbeit auf den späten Nachmittag verlegen würde, wenn ich von M. und A. zurück wäre, also könnte ich mir ein Stündchen gönnen, bevor ich loszöge zu ihnen.

Pustekuchen, denn gegen Mittag schrieb mir A. über WhatsApp, dass ihr "Bildungsverein" eine "kleine Kirmes" veranstalte und wenn ich Lust hätte, könnten wir dort zusammen hingehen. 

Na, und ob ich Lust hatte, ahnte ich doch schon, dass es sich dabei nicht etwa um die Schule handelt, wo sie Deutsch lernen, sondern eher um eine Art Moscheeverein (stellte sich später als richtig heraus, denn die Kinder gehen dort auch zum Religionsunterricht), etwas, zu dem man als Deutsche sonst ja eher keinen Zugang bekommt, und natürlich war meine Neugier geweckt.

Es lag auf der Hand, dass unser Beisammensein dadurch diesmal länger dauern würde als sonst, also strich ich die Mittagspause - Schlaf wird eh überbewertet 😁 - erledigte meinen Kram und machte mich dann zur verabredeten Zeit auf die Socken bzw. nackten Füße, nur in Schlappen, die ich diesmal sicher nicht würde ausziehen müssen. 😀

Bald darauf saßen wir in ihrem schicken Auto - durchaus moderner und neuer als unser eigenes -, A. hinten neben den beiden Kindersitzen und ich vorn bei M., der mich mit seinem souveränen Fahrstil überraschte und auch damit, dass er in der Lage war, trotz der um diese Zeit chaotischen Situation auf den Straßen nebenher unentwegt zu plaudern.

Er erzählte von ihrer "Flucht", die so mühsam gar nicht war, wie man es sich gemeinhin vorstellt, denn sie stiegen einfach in den Flieger, und zwar von Griechenland aus und ganz ohne Visa, weil bekannt sei, dass dort wie auch hier die Leute am Flughafen die Augen zudrücken und sie durchwinken würden.

Zuvor hatten sie sich schlaugemacht, in welchem mitteleuropäischen Land sie am besten versorgt werden würden, und natürlich fiel die Wahl auf Deutschland, so etwas spricht sich schnell bis in alle Winkel dieser Welt herum, natürlich auch in die Türkei.

Mit einer anderen Stadt hatten sie gerechnet, hätten gern dorthin gewollt, wo es schöner sei, und als sie dann ausgerechnet nach hier gesteckt wurden, hätten sie sich verwundert die Augen gerieben und sich gefragt, ob der Flieger sie nicht versehentlich  nach Istanbul gebracht hätte.

Nein, sagte er, hier brauchst du in vielen Stadtteilen tatsächlich kein Deutsch mehr, du arbeitest bei Türke, kaufst türkisch ein, gehst in türkische Fahrschule und auch die Kinder in der Schule reden türkisch und haben türkische Lehrer ... 

Wobei er dann mehr wusste als ich, denn er konnte mir genau aufzählen, welche Stadtteile von welchen Nationalitäten dominiert werden, so seien es z.B. in dem meiner Kindheit und Jugend neben der türkischen inzwischen vor allem afrikanische und arabische.

Seine Landsleute würden sich gern einen Spaß daraus machen, sich gegenseitig zu erzählen, an sich hätten die Deutschen die Türken gar nicht so gerne gemocht, aber seit der Zuzug aus Rumänien so rapide anstieg, seien sie im Ansehen sehr gestiegen. 

Interessant dabei finde ich, wie es mit dem Verdrängungseffekt bei Migration wohl immer schon lief und immer laufen wird, ganz egal, wer von wo aus wohin wandert, denn es kommt immer nur auf die Zahl an, so wie ja z.B. auf Mallorca sehr viel deutsches Flair herrscht, weil das ursprüngliche verdrängt wurde.

Hier waren es die Türken, die ihre Familien nachholten und in die klassischen Arbeiterstadtteile zogen, weil die Mieten dort am günstigsten waren.

Nach und nach verschwanden die Deutschen und nun sind es die Türken, die ebenfalls weichen, weil andere in großer Zahl nachkommen.

Während wir diese Dinge erörterten, bewunderte ich M. uneingeschräkt dafür, dass er im Verkehrschaos so sehr die Nerven behielt, denn die Leute standen kreuz und quer in den engen Straßen, hier versuchte einer, noch über den Bügersteig zu kurven, dort setzte einer wieder zurück, ein Tohuwabohu, das M. aber vermutlich aus seiner Heimat vertrauter ist, als es mir das jemals werden wird.

Irgendwann hatten wir es geschafft und fuhren vor einem etwas heruntergekommen wirkenden, langgestreckten Gebäude vor, gingen durch eine abschüssige Einfahrt und fanden uns dann auf einem leicht verwinkelten, aber sehr großen Gelände wieder, offenbar eine ehemaligen Firma mitsamt ihren Werksgebäuden und Freiflächen.

An zwei Stellen, weit auseinandergezogen, sah ich Tische und Bänke aufgestellt - das Wort Biergarnituren verbot sich in diesem Falle von selbst, auch wenn es natürlich welche waren - und unter einem Dach qualmte ein Grill vor sich hin, während auf Tischen Speisen angerichtet waren, nicht sehr viele, aber immerhin sehr türkisch, was mich natürlich neugierig werden ließ.

Offenbar fiel ich auf, denn es war nicht zu übersehen, wie sich viele Köpfe zu mir umwandten, erstaunt erschienen mir die Blicke ob "so viel Exotik", war ich doch die einzige Deutsche und vor allem die einzige Frau, die kein Kopftuch trug und sich sogar kurze Ärmel erlaubte.

Wie übrigens auch sämtliche anwesenden Männer, sie alle zogen es bei der Gluthitze vor, in leichter Kleidung herumzulaufen, nur die Frauen waren dick verpackt, auch A. trug neben dem Hidschab eine lange Hose, Socken und Sneakers und obenherum mehrere Schichten, die äußere bis zum Knie reichend.

Ziemlich laut war es, weil überall Kinder spielten, denen sich auch unsere beiden sofort anschlossen, ihre Freunde halt, denn die Familie scheint in diesem Verein schon ziemlich verwurzelt zu sein.

Ich sei selbstverständlich eingeladen, hatte mir M. schon unterwegs erklärt, meine Versuche, dies genau umzukehren, schlichtweg abgelehnt und der Erlös dieser "Kirmes" sei übrigens für einen guten Zweck.

Im Nu war ich umringt von älteren Damen, die, wie M. später erzählte, alle seit 40 oder mehr Jahren hier leben, aber kaum Deutsch sprechen, und so wurde es ein munteres Kuddelmuddel, als sie versuchten mir zu erklären, was ich unbedingt mal probieren müsste. 😂

Ein gefülltes Weinblatt, wie ich vermute, drückte mir die eine in die Hand, ich knabberte es weg und lobte sie überschwänglich dafür, dann packte mir A. einen Teller mit zwei Blätterteigdingern, in deren Innerem ich Hackfleisch vermutete, und zusätzlich entschied ich mich für ein Stück Puddig-Kirsch-Kuchen, der genauso lecker schmeckte, wie er aussah.

Und schon landeten wir an einem der Tische, wo - noch - nur dies hier vor mir stand:


Erst zwei würzige Häppchen, dann den Kuchen zum Nachtisch, so hatte ich es mir vorgestellt, wurde aber bald eines Besseren belehrt, als nämlich nun A., die ständig hin und her sprang, auf einmal auftauchte mit riesigen Dönern für jeden. 😮

Ob ich Zwiebeln möge, fragte sie.

Ja, aber hallo, immer her damit. M. mag sie übrigens in begrenztem Umfang auch, nur A. isst weder Zwiebeln noch Knobi oder überhaupt etwas Scharfes, sehr zu meinem Bedauern ...😉

Entgegen der hier kursierenden Meinung, der Döner sei in Berlin erfunden worden, erklärte mir M. nun, dies hier sei der originale, so wie man ihn bei ihnen seit Langem äße.

Was für ein Fleisch es war, keine Ahnung, ich tippe auf Hammel, außerdem befanden sich noch zwei Salatblätter in der Teigtasche und einige rote Zwiebelstreifen, sonst aber keinerlei Gewürze, anderes Gemüse oder gar Soße.

Geschmeckt hat es trotzdem und mein Bäuchlein begann sich schon mächtig zu füllen, aber da war ja auch noch der Teller, den ich für das komplette Menü gehalten hatte und den ich nun auch noch wegputzen musste.

Mit dem würzigen Hack hatte ich mich getäuscht, denn bei den Blätterteig-Dingern handelte es sich um Baclava und man spürte es sehr, dass das in Honig gewälzt wird, es war sehr, sehr süß.

Dafür war dann aber der Kuchen der perfekte Abschluss für mich, denn auch wenn ich eigentlich schon pappsatt war, putzte ich ihn bis zum letzten Krümel weg. 😀

So vergingen mehrere fröhliche Stunden, weitgehend war ich mit M. alleine, denn A. quatschte hier und quatschte dort ein Ründchen mit ihren Landleutinnen, leider, denn an sich hätte ich gerne ihre Reaktion gesehen, als wir auf "alte Männer" zu sprechen kamen, die einem vorschreiben wollen, wie man zu leben hat.

M. berichtete nämlich, dass die Jüngeren in der Türkei längst nicht mehr so streng nach dem Koran leben wie die Älteren, woraufhin ich mit diesem Argument kam und sagte: "Recht haben sie, ich selbst hinterfrage auch alles und lasse mir ganz sicher nix von alten Männern vorschreiben."

Sicherheitshalber kam ich dann noch auf den Papst zu sprechen ... 😉

Und immer wieder fällt mir auf, wie er fast staunend feststellt, Religion habe eigentlich nichts damit zu tun, ob jemand ein guter oder schlechter Mensch sei - so als habe er es früher so gelernt, dass eben nur strenggläubige Muslime gute Menschen sein könnten. 

Als wir dann wieder aufbrachen, kam es noch zu einem kleinen Tumult am Auto, denn obwohl wie alle gerade einsteigen wollten, zockelte A. mit dem Kleinen plötzlich noch mal von dannen.

Jaaa, er habe kacken müssen, erklärte mir M. die Situation, und da es so ganz gut noch nicht alleine klappe, müsse A. sicherheitshalber kurz nach dem Rechten sehen gehen.

Kicher, ich glaube, über das Thema werden wir doch auch mal reden müssen, denn ich war einigermaßen verblüfft über diesen Satz, ist M. doch sonst immer sehr um eine sorgfältige und überaus gewählte Sprache bemüht.

Sicher war es ihm nicht bewusst, dass "kacken", wenn überhaupt, doch höchstens umgangssprachlich oder ... ähm, auch von Leuten wie mir gelegentlich benutzt wird, weil mir ständiges Beschönigen mitunter schlicht uffn Geist geht. 😂🤣😂

Am Ende fuhren sie mich dann bis vor die Haustür, zu gerne hätte ich sie noch mit hineingebeten, aber wir hatten im Laufe des Nachmittags endlich auch mal ausführlicher über das Thema Hund gesprochen und es stellte sich heraus, dass nur M. angstfrei ist, die anderen drei aber dazu neigen, sich inne Büx ... zu kacken. 😂🤣😂😁

Zumindest eine kleine Möglichkeit habe ich mir aber überlegt, mich mal wenigstens ansatzweise bissl revanchieren zu können, denn Ende des Monats haben die beiden ihren 10. Hochzeitstag und dann könnte ich ja vielleicht eine Ladung Herzkekse backen und Blumen besorgen, oder?


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😊


PS: Beim Schornsteinfeger habe ich es übrigens den ganzen Tag und auch heute weiterversucht, nix, da läuft nur das Band und keiner ruft zurück! 😣



5 Kommentare:

  1. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Das war nun eine Menge Eindrücke aus zwei Welten.
    Dir mir große Freude beim Lesen machten.
    Ich mag, sehr gerne, wie du alles von M. und A. aufsaugst und vergleichst und wie unendlich gut auch hier dir der Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Humor gelingt. Es erinnert mich ein wenig an die zwei, drei Bücher von Ustinov, die ich las und mochte. Aber bitte frage nicht warum? - Ich weiß es nicht, es fühlt sich eben so an.
    Ich nehme speziell aus diesen Einträgen selbst eine Menge mit und versuche, mit noch offeneren Augen durch die Straßen zu laufen oder meine türkische bekannte "F" zu sehen.
    Das ist wirklich ansteckend.

    Wie nimmt den "F" deine Freundschaft zu M und A wahr?

    Was du für den 10. Hochzeitstag planst von M. & A. finde ich eine tolle Geste. Die zwei müssen dir ja wirklich nach diesen wenigen Wochen schon arg ans Herz gewachsen sein?

    Liebe - wachsame - Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Ich glaube, lieber lifeminder, ich weiß, was du meinst, denn ob Ustinov, Wilhelm Busch, Kerkeling oder manchmal auch Jürgen von der Lippe und andere, ihnen allen ist eine Tiefgründigkeit zu eigen, man merkt, dass sie nicht nur auf, sondern auch hinter die Dinge schauen, und bewundert sie dafür, dass sie es trotzdem schaffen, sich ihren Humor zu bewahren.
      Solche Menschen rühren mich an, inspirieren mich und ich bin stets neugierig darauf, mit welchen Augen sie auf die Welt schauen, während andere, die Letzteres auch tun, dadurch eher in Leidensdruck verfallen und allzu oft zu sehr um sich selbst und "ihr Leid" kreisen.
      Wozu ich Hesse zumindest bis zum momentanen Stand des Steppenwolfes auch zähle, und dann kann es schnell ein wenig ermüdend werden, sich ihnen zu widmen, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie bei denen, die es vorziehen, jar nüscht zu denken. 😅
      Gerade habe ich mal nachgeschaut, am 6. Februar traf ich mich erstmalig mit M, gute vier Monate sind es also inzwischen und in dieser Zeit hat sich so einiges bewegt zwischen uns.
      Ich finde es spannend, in ihre Kultur hineinzuschauen und den Spagat mitzubekommen zwischen moderner Welt und der strengen und stark reglementierenden Religion, in die sie ganz selbstverständlich hineingeboren wurden.
      Man merkt es eben doch, dass am Islam die Zeit der Aufklärung eher spurlos vorüberging, ähnlich wie an manchen Christen, egal ob sie nun Freikirchen anhängen, Evangelikale oder gar Zeugen Jehovas sind.
      Für mich selbst ein Rätsel, wie man so etwas nicht in Frage stellen kann, umso interessierter schaue ich nun hin. ;-)
      F. hat die Familie ja beim Fastenbrechen kennen gelernt, von daher findet er es in Ordnung, wenn ich diesen Kontakt pflege, und ist sogar ziemlich neugierig darauf, was ich nach einem Treffen zu erzählen habe.


      Liebe Wachsam-ist-immer-gut-Grüße zurück! :-).

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    2. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

      Wie die Zeit vergeht. 4 Monate ist das nun schon so.
      In meiner Welt fühlte es sich an wie gute acht Wochen.

      Dennoch ist es insgesamt eine kurze Zeit, doch habt ihr euch deutlich angenähert.

      Diese Antwort von dir ist so schön, das ist ja fast ein Blog im Blog :)

      Mir geht es wie "F" ich freue mich bereits jetzt darauf, was du demnächst berichten wirst.



      Liebe - neugierige - Grüße
      Vom lifeminder

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  2. Ich kann die Leute durchausverstehen, wenn sie auf mallorca so viel deutsches Flair entdecken. Schließlich ist es ja auch das 17. Bundesland. Und das neue 18. Bundesland liegt irgendwo im Osten, da reisen alle Mitglieder der Hampelpamelregierung gerne hin. Sie übertreffen sich dabei gegenseitig. Der demente Kanzler Scholz hat da auch einen neunen Freund gefunden, den Pausenclown Selenskij. Ich würde sagen Scholz geht dort hin, gehe nicht über Los und ziehe keine 4000 Euro ein. Ich habe ein Bekannte aus Wien, die Ausländern die deutsche sprache beibringt, die sagte mir, dass sie von Muslimen angesprochen wurde, dass die Deutschen und Österreicher bald in der Minderheit sind.... und sie das Ruder übernehmen werden.

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  3. Das ist nicht von der Hand zu weisen, Helmut, denn immer schon übernahm das Ruder, wer eben in der Mehrheit ist - so ist das nun einmal bei großen Migrationsströmen.
    Und natürlich gilt das auch für Religion - einst merzten die Christen alles aus, was sie für ungläubig hielten, und die Muslime stehen ihnen in nichts nach.
    Übrigens ein Gedanke, der auch M. und A. umtreibt, nicht umsonst überlegten wir vor einiger Zeit gemeinsam, ob uns auch nur ein einziges muslimisches Land einfiele, in dem Demokratie funktioniert.
    Tat es nicht ...

    Ach, und noch einmal, mein Lieber, bitte keine Diffamierungen und Beleidigungen in meinem Blog.
    Meinungen sind mir sehr recht, auch wenn sie nicht dem politisch korrekten Mainstream entsprechen, aber bitte doch in sachlichem Ton, ja? ;-)

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