Dienstag, 18. April 2023

Lass sie los ...

 Diesen Satz sagte meine Mutter zu mir, als meine geliebte Großtante am 14. März 1993 ihre Augen schloss und ich mich sehr schwertat, mit ihrem Tod umzugehen.

Und es wirkte bei mir, leitete einen Perspektivenwechsel ein, war ich doch bisher in meinem Kummer immer nur von mir ausgegangen, jammerte, wollte es nicht wahrhaben, wünschte mir vermutlich, sie hätte ewig weitergelebt.

Wie egoistisch von mir. Mein Kächen war alt und krank, Körper und Geist waren müde und nachdem sie mich so viele Jahre lang liebevoll umsorgt hatte, hatte sie nun das verdammte Recht, den Kreis zu schließen und Ruhe und Frieden finden zu dürfen, ohne dass ich versuchte, sie dort immer wieder herauszureißen.

Wobei natürlich keiner weiß, ob es nach dem Tod überhaut noch einen "Zustand" gibt, aus dem man irgendwie noch einmal herausgerissen werden könnte, oder ob nicht einfach alles zu Ende ist.

Ich selbst tendiere zu Ersterem, wobei sich das so entwickelte wie schon so vieles in meinem Leben - zunächst war da eine Ahnung von etwas, ganz vage nur, aber immer wieder fiel mir auf, dass ich meine vielen Verstorbenen nie wirklich als ganz weg betrachtete, sondern immer noch als irgendwie lebendig, nur eben nicht mehr hier bei mir.

Schwer zu beschreiben, aber falls ihr die Trilogie "Zurück in die Zukunft" gesehen habt, dann könnt ihr euch vielleicht vorstellen, worauf ich hinauswill.

Dem Protagonisten gelingt es, sich mit Hilfe einer Zeitmaschine in das Leben seiner Eltern einzuklinken, lange bevor er selbst geboren wurde, und auch wenn ich das, als die Filme herauskamen, für ein nettes Märchen hielt, hatte ich doch, seit ich als Kind "Jules Verne" las, auch zuvor schon oft und gerne über solche Zeitmaschinen nachgedacht.

Ob es sie jemals geben wird, keine Ahnung, aber spätestens seit Einsteins Relativitätstheorie wissen wir, dass Zeit relativ ist und vom jeweiligen Beobachter abhängt, und nun gibt es ja auch noch die Stringtheorie und nicht wenige Physiker beschäftigen sich inzwischen mit der Möglichkeit von Paralleluniversen, was nichts anderes besagt, als dass besagte Trilogie eben doch nicht nur Spinnerei sein könnte, sondern im Grunde alles, was einst geschah oder noch geschehen wird, in anderen Universen sozusagen jetzt gerade abläuft.

Hieße unterm Strich, den Tod, so wie wir ihn kennen, gibt es letztlich gar nicht und mit meinen vagen Ahnungen könnte ich gar nicht so danebenliegen, denn dann wären sie ja tatsächlich alle noch da, nur eben für mich im Jetzt und Hier nicht greifbar.

Für mich selbst eine wirklich angenehme Vorstellung und dementsprechend konnte ich auch meinen Papa vor nun schon fast 15 Jahren relativ einfach gehen lassen, was ich für Helmut noch einmal kurz erzählen möchte. 😉

Ganze 10 Minuten zu spät kam ich am frühen Morgen am Krankenhaus an und man bat mich, kurz vor der Tür der Intensivstation zu warten, bevor man mich zu ihm ließ.

Da lag er nun vor mir ... in seinem Bett mit über der Decke zusammengelegten Händen, das Gesicht ganz still, die Nase sehr spitz und ich setzte mich zu ihm, redete mit ihm, nur wir beide, ganz in Ruhe. Ob ich laut sprach oder die Worte nur dachte, weiß ich gar nicht, auf jeden Fall streichelte ich ihm noch einmal über die Hand, dann ging ich ... zurück in den Gang, wo F. auf mich wartete, den ich gebeten hatte, mich mit Papa allein zu lassen.

Dann hinaus in den gerade aufziehenden Morgen, 20. Dezember, am Himmel jagten sich düstere Wolken. Ich sah hinauf und genau in diesem Moment stob ein Schwarm Vögel auf und zog hinauf in die gerade aufkommende Helligkeit.

Jaaa, flieg, mein Papa, flieg - genau dieser Satz formte sich in meinem Kopf und ich werde diese Erinnerung immer in mir behalten, genau wie ... hm, beinahe ein Gefühl der Erleichterung, das mich in der gleichen Sekunde überkam.

Lass ihn los, lass ihn gehen - ich hatte es also verinnerlicht, was Muttern mir damals sagte, und seltsamerweise begleiteten die Vögel mich weiter, obwohl ich mit niemandem über diesen Moment geredet hatte.

Meine Schwester hatte alles mit dem Beerdigungsinstitut übernommen und was sah ich dann in der Todesanzeige und den Trauerkarten?

Genau, Vögel ... und dann kam noch dieses merkwürdige Erlebnis mit der Eule.

»Wenn du nachts den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. DU allein wirst Sterne haben, die lachen können! «

Saint-Exupérys kleinen Prinzen hatte ich schon als Kind verschlungen und dieser Satz kommt mir oft in den Sinn, wenn ich nachts die Venus leuchten sehe, jenen Stern, zu dem mein Papa so oft fasziniert hochschaute.

In dieser Nacht war ich mit meiner Püppi unterwegs, die noch einmal Gassibedarf angemeldet hatte, automatisch mein Blick zur Venus und genau in diesem Moment flog ein großer Vogel sehr niedrig über meinen Kopf hinweg und war wenige Sekunden später hinter den hohen Büschen am Wegesrand verschwunden. 

Völlig lautlos und daher fast gespenstisch war das, zumal seine enormen Schwingen von unten schneeweiß aussahen - nie zuvor hatte ich so etwas gesehen.

Am nächsten Tag sprach ich mit meiner Mutter darüber, die sofort sagte, das sei dann vermutlich eine Eule gewesen.

 (Die Tage sah ich eine Dokumentation über Eulen, in der erklärt wurde, dass ihr Gefieder weicher ist als das anderer Vögel, daher hört man nix.)

Wie seltsam ... Venus ... Papa ... Vogel ..., und dann auch noch ausgerechnet eine Eule, wo das doch mein Spitzname ist, es schon war, bevor ich überhaupt geboren wurde.

Ob nun alles bloße Zufälle oder nicht, ein sehr warmes Gefühl verschaffte es mir trotzdem und ..., lieber Helmut, ich kann dir nur von Herzen wünschen, dass auch du auf irgendeine Weise deinen Frieden machen kannst mit dem Tod deiner Mutter.

Und damit auch genug davon, denn nun muss ich hurtig in die Pötte kommen.

A. hätte doch gerne, dass ich sie noch in der Psychiatrie besuche, und ihr Therapieplan und die kruden Besuchszeiten erlauben das nur morgen, zum Glück der einzige Tag in dieser Woche, der noch nicht randvoll gepackt ist.

Also muss ich umbauen und heute schon losflitzen zum Drogeriemarkt, bevor mir nächste Woche meine Coupons verfallen würden, passt eh, da sie etwas von dort benötigt.

Bücher habe ich auch schon herausgesucht, nur auf Blumen muss sie verzichten, die habe ich ihr stattdessen per Foto geschickt, als kleinen Frühlingsgruß aus dem Garten, auch wenn dieser sich in diesem Jahr wahrlich sehr viel Zeit lässt, also der Frühling, nicht der Garten. 🤣


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😊

 

„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es Dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.“

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/124689-antoine-de-saint-exupery-wenn-du-bei-nacht-den-himmel-anschaust-wird-es-di/

 

4 Kommentare:

  1. Liebe Rex-Mama,

    hast du zu dem Thema seinerzeit das Buch "Die Frau des Zeitreisenden" gelesen?
    Zum Thema Trauerbewältigung gibts eine schwarze Komödie: "Nichts zu verlieren". Großartige Schauspieler:innen, großteils :)

    Lieben Gruß

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  2. Nein, liebe Sparköchin, habe ich leider nicht, aber könnte ich ja mal nachholen, denn das Thema fasziniert mich schon. :-)

    Lieben Gruß zurück! 🙂

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  3. Liebe Rex-Mama, danke für deine einfühlsamen Worte.Ich habe mich mal auf der Seite angemeldet und hoffe auf deren Unterstützung. Ich kann mich weiter dazu nicht äußern und bitte um Verständnis.

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    1. Alles Verständnis dieser Welt, mein Lieber, und gut, dass du dich dort mal angemeldet hast, denn es ist ganz wichtig, dass du deine Gefühle zulässt und die Trauer verarbeitest, statt alles in dich hineinzufressen, weil das auf Dauer krank macht.
      Ich wünsche dir, dass du dich dort mit anderen Betroffenen austauschen und auf diese Weise vielleicht etwas Hilfe finden kannst.

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