Sonntag, 21. April 2024

Mehrfach hinsehen kann nie schaden

 Schon auf der Hinfahrt traf ich gestern im Bus auf die Frau, mit der ich mich vor ein paar Tagen so verbunden fühlte, als wir beide noch unter dem unmittelbaren Schock des so unerwartet Erlebten standen.

Diesmal nahm ich sie jedoch völlig anders wahr, zum einen schimpfte sie wie ein Rohrspatz auf die Intensivstation - noch nie habe sie so unfreundlches, inkompetentes Personal erlebt, aber sie würde sich nichts gefallen lassen und habe denen schon ordentlich Bescheid gestoßen.

Wie man in den Wald hineinruft, dachte ich nur, denn obwohl es sich um die gleiche Station handelt, erleben wir die Mitarbeiter durch die Bank als sehr hilfsbereit und wirklich lieb.

Dann begann sie zu jammern, es sei angedacht, ihren Mann in eine Reha zu stecken - was für eine Frechheit, er sei doch ein Bär von Mann und noch jung, er könne doch direkt wieder zurück ins Leben.

"Moment", wandte ich ein", sagten Sie nicht, er ist 58? Sooo jung ist das ja nun auch nicht und nach diesem Warnschuss sollten Sie froh sein, wenn er die Chance zur Reha bekommt und sich richtig auskurieren kann."

"Ja, aber ..."

Nun hub sie an, mir ihre eigenen Leiden zu schildern, sie habe schließlich "Fibromyalgie", seufz, also einen eher diffuser Befund für Menschen, bei denen es ständig an allen Ecken ziept und mir aus dem Bekanntenkreis recht vertraut.

Wie ich dann heraushörte, nimmt ihr Mann ihr wohl weitgehend alle Beschwernisse des Lebens ab und nun fühlt sie sich schon allein mit den beiden Hunden überfordert, während die 14-jährige Tochter dauerhaft bei der Schwägerin lebt, weil sie auch das nicht packt und diese Tochter eine sehr unruhige sei ...

Und dann brachte sie mich zum Grinsen, jammerte, sie würde sich oft fühlen wie 75, habe mit dem Alter zu kämpfen, aber das könne ich sicher nicht nachvollziehen, wo ich doch jünger sei als sie.

Kicher, sie ist 48 ... 😁

Als ich sie dann über mein wahres Alter aufklärte, machte sie runde Augen und so plauderten wir weiter, marschierten vom Bus zum KH und ab in den Warteraum, wo sich eine weitere Frau zu uns gesellte, die wir schon vom Vortag kannten.

Nun erfuhren wir auch, dass die türkische Großfamilie, die später auch wieder in voller Besetzung auftauchte, den abgestochenen Sohn, Bruder, Enkel, Neffen besuchte, und als wir vorbeieilende Rettungssantäter von Personenschutz reden hörten, wurde mir einen Moment mulmug zumute.

Endlich war es 15 Uhr, blitzeschnelle war ich ins gelbe Plastikmäntelchen gehüllt und begab mich zu F., der mir ausnehmend gut gefiel.

Immer länger hält er es ohne die Atemmaske aus und als das Abendbrot kam, brachte ich ihn gemeinsam mit dem Pfleger in die Senkrechte, damit er auf der Bettkante sitzend essen konnte.

Nicht, dass es ihm an Kraft gemangelt hätte, sich eigenständig hinzusetzen, aber während ich ihn sicherheitshalber von vorne stützte, sortierte der Pfleger von hinten das ganze Strippengedöns, das noch an und aus ihm heraushängt, damit da nichts durcheinanderkam.

Er aß anstandslos und futterte auch die Banane, die ich ihm mitgebracht hatte, gleich auf, dann drehten wir das tägliche Video, das ich abends immer seiner Schwester schicke, da ja Videotelefonate im Moment nicht möglich sind, und ruckzuck war es schon wieder so weit, dass ich mich auf den Heimweg begeben musste.

Diesmal ging es außerhalb der Intenivstation sehr laut zu, überall in den Fluren und Hallen hielten sich größere Gruppen ausländischer Menschen auf, die in hoher Lautstärke miteinander kommunizierten, was für mich durchaus bedrohlich klang.

Unten auf dem Besucherparkplatz löste sich gerade ein ganzer Pulk Sinti oder Roma, wie ich vermutete, auf und zwei von ihnen, ein Mann und eine Frau, gingen ebenfalls zur Bushaltestelle.

Wo ich dann noch ins Gespräch mit ihnen kam und mir wurde bewusst, dass die Lautstärke, die ich eben noch als so bedrohlich empfand, ganz einfach zu ihrem normalen Lebensstil gehört.

Sehr nette Menschen, zumindest kam es zu einem netten, kleinen Austausch und dann kam der Bus auch schon.

Leider sollte meine bisher positive Öffis-Erfahrung dann beim Umsteigen einen deutlichen Dämpfer erhalten, denn der Bus, der mich über den Rhein bringen sollte, fiel aus, so das ich eine halbe Stunde auf eine andere Linie warten musste, inmitten von mindetens 40 oder 50 anderen Wartenden, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sie in allen Sprachen dieser Welt redeten, nur nicht in Deutsch.

Der lange Gelenkbus war dann entsprechend überfüllt, Sitzplätze gab es nicht mehr, aber immerhin konnte ich auch nicht umfallen, so dicht gedrängt standen wir und neben drei Sikhs, vielen Afrikanern, einigen Südostasiaten und Afghanen konnte ich Türkisch, Arabisch und natürlich Russisch ausmachen, so dass ich in einem munteren Sprachengewirr gefangen war, denn entweder quatschten sie miteinander oder in ihre Handys hinein und am vertrautesten klang mir dann noch das Dauergeschrei eines Babys, konnte ich da doch ausmachen, dass es entweder Hunger hatte, vollgeschissene Windeln oder vielleicht auch einfach unter langsam hinauswollenden Zähnen litt.

Ob an den Haltestellen oder später auf dem Fußweg nach Hause, der dank der anderen Buslinie weiter war als sonst, stets geriet ich mitten in Regen- und Hagelschauer und es war affenkalt.

Übrigens etwas, das mit gerade ganz schön zu schaffen macht.

Meine Jacke muss ich immer im Warteraum der Intesivstation hängen lassen, öffentlich zugänglich, d.h, natürlich nehme ich da nicht die gute dicke, sondern nur ein etwas einfacheres Exemplar, um das es nicht allzu tragisch wäre, sollte es mir geklaut werden.

Normalerweise würde ich zum Ausgleich einfach etwas Dickeres untemdrunter ziehen, aber das geht leider nicht, weil ich ja in das gelbe Platikmäntelchen passen muss, also friere ich mir nun täglich unterwegs das Ärschle ab, aber ... da muss ich halt durch.

Heute wird es eh noch etwas komplizierter, da die Busse sonntags nur stündlich fahren, starten werde ich sicherheitshalber von der etwas weiter entfernten Haltestelle und hoffe inständig, dass es dann nicht auch noch zu Aufällen kommt, denn mein armes haariges Büble leidet eh schon genug unter dem vielen Alleinsein.

Und dann gab es gestern Abend noch einen Moment, der mit den Blutdruck nach oben jagte.

"Bei meinem Handy stimmt die Uhrzeit nicht", schrieb mir F. auf einmal, "das zeigt abends an."

Huch?

"Wir haben doch abends, das ist also völlig korrekt", antwortete ich, machte mir aber sofort riesige Sorgen. Er würde doch nicht wieder abkacken ...?

Schon war ich drauf und dran, auf der Station anzurufen, die sollten schleunigst gucken, ob alles okay sei, aber dann merkte ich, dass er ansonsten völlig klar schrieb, erreichte ihn dann auch selbst telefonisch und bekam heraus, dass er kurz zuvor geschlafen hatte und als er aufwachte, davon ausging, es sei bereits der nächste Morgen.

Ist mir auch schon passiert, also konnte ich das Adrenalin wieder zurückfahren und den Stein, der mir damit von der Seele plumpste, konnte man vermutlich bis Timbuktu hören. 

So, und nun werde ich mich noch ein Stündchen dem Wiederzusammenbau unserer Heia widmen, alles frisch gewaschen und duftend und nur darauf wartend, dass wir gemeinsam wieder dort einziehen können. 

 

Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉



4 Kommentare:

  1. Liebe, klingt alles wie eine Reise nach Timbuktu und zurück. Freu dich auf den Tag an dem ihr gemeinsam die Rückreise antreten könnt. Wäre das auch auf dem Rhein möglich? -ohne Stau und Busausfällen.

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    1. Na klar, zur Not paddle ich meinen F. auch nach Hause, wenn es denn endlich so weit ist.
      Obwohl ich glaube, dass wir dann doch ein Taxi vorziehen werden. 😉

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  2. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Wow, ein Blog, wie ein Film.
    Ich hatte beim Lesen stets das Gefühl ich wäre versteckt an deiner Seite gewesen und hätte deine Erlebnisse mit Menschen, Wetter und Co. aus einem geheimen Winkel beobachtet.

    Wenn die Tochter bei der Schwägerin lebt, da kann ja auch nicht alles stimmen innerhalb dieser Familie. - Wenn die Tochter unruhig ist, vielleicht sollte man sich dem Problem mal annehmen.
    Teenager sind meistens ein wenig unruhig. Das ist eben so.

    Die Fortschritte von "F" erfreuen auch mich sehr, ich hoffe, er darf wirklich demnächst schon in euer Heim zurückkehren.



    Liebe - pass neben deinem "F" und Rex auch besonders gut auf dich auf - Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Irgendwie kommt mir das selber fast vor wie Filme, die an mir vorbeilaufen, lieber lifeminder.
      Hier verlässt man nach einer einsamen Nacht den etwas traurigen Hund, braust kurz darauf inmitten babylonischen Sprachgewirrs über die Autobahn, wundert sich nach einer Zitterpartie am Bahnhof im nächsten Bus, wie nur fünf Teeniegören einen derartigen Lärm vollführen können, um kurz darauf im Warteraum der Intensivstation mit ganz schlimmen Schicksalen konfrontiert zu werden. Noch einen Moment später befasst man sich mit Bettpfannen und Atemfrequenzen und am Ende wird das Ganze wieder rückwärts abgespult ...
      Ich denke übrigens, dass in dieser Familie nicht die Tochter, sondern die Frau selber das Problem ist, aber das bekomme ich echt nur am Rande mit, weil wir uns auch heute wieder gemeinsam auf die Rückreise begaben.

      Liebe "Jawoll, aufpassen ist Pflichtprogramm"-Grüße zurück! :-)

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