Dienstag, 23. April 2024

Kontraste

 Ich entsinne mich noch gut, wie dieses Krankenhaus gebaut wurde und wie ich selbst vor fast 35 Jahren einmal dort operiert wurde. Extra von Stuttgart waren wir dafür angereist, denn meine Mutter legte Wert darauf, dass ein enger Freund meiner Eltern, seines Zeichens Chefarzt der Anästhesie, mich flachlegte, also mir die Narkose verpasste, meine ich.

Piccobello war damals alles, kein Vergleich zu heute, wo alles etwas schäbig und heruntergekommen wirkt und man sich mitunter fragt, ob man sich überhaupt in Deutschland befindet.

F. wurde am Morgen auf die Normalstation verlegt, zum Glück in ein Zweibettzimmer, denn nebenan liegen sie zu viert, wie ich vom Gang aus sehen konnte.

Der Fenstervorhang hängt halb abgerissen herum, die Wände könnten einen neuen Anstrich vertragen und als ich ihm etwas ins untere Fach seines Nachttisches legen wollte, meinte F.: "Besser nicht dorthin, guck mal, wie dreckig das ganze Ding ist."

Womit er recht hatte, aber immerhin machte das Bad einen sauberen Eindruck, das er - unter meiner Begleitung - gleich zweimal benutzte.

Wie bescheiden man doch wird, da freut man sich tatsächlich Löcher in den Bauch, wenn einer alleine aufs Klo gehen kann, und F. genoss es über die Maßen. 

Den kleinen Nasen-Sauerstoff-Zuführer hatten wir so lange entfernt, natürlich mit Genehmigung, ansonsten ist er gar nicht mehr verkabelt - ein ganz neues Freiheitsgefühl.

Und natürlich gibt es einen Fernseher, zwar überwiegen arabische und russische Sender, aber zumindest das Erste kann er sehen und freut sich schon auf den Abend.

Der Stationsarzt ist Asiate, spricht sehr schlecht Deutsch, ist im Grunde kaum verstehbar und wie viel er selber versteht, wage ich nicht zu beurteilen, aber immerhin schlug die Lungenärztin während meiner Anwesenheit auf.

Eine etwas bärbeißige Dame, viel Neues gab es von ihr nicht, nun heißt es abwarten, was die nächsten Tage bringen werden.

Und dann ging es auch schon an die Heimfahrt - Teil 1 klappte gut, doch dann vermeldete die Anzeigetafel am Bahnhof, dass genau mein Bus schon wieder entfallen würde.

Es ist mir ein Rätsel, andere Linien fahren pünktlich jede Viertelstunde, kommen und gehen, man kann die Uhr danach stellen, aber ausgerechnet die Linien zur anderen Rheinseite, die eh nur halbstündlich fahren, lässt man ständig ausfallen. 

Wie gestern nahm ich wieder diese andere Linie, so konnte ich die Wartezeit auf 25 Minuten reduzieren, musste dann aber hinterher wieder ein ganzes Stück laufen.

Als wir losfuhren, bekam ich gerade noch gegenüber ein großes Polizeiaufgebot mit und heftiges Geschrei. Offenbar hatte man eine Kinderbande gestellt, die jungen Herren höchstens 14, 15 Jahre alt, teilweise sogar deutlich jünger. Alle wurden durchsucht und ich fragte mich, wozu denn überhaupt? Hinterher liest man doch eh wieder im Internet, die Tatverdächtigen wurden ihren Erziehungsberechtigten übergeben ...

Ach ja, auf dem Hinweg hatte ich mich übrigens auf eine Klappbank im Kinderwagenbereich gesetzt, dann stieg eine alte Dame mit Rollator zu und schaute sich unsicher um, wo sie hinsollte mit dem Ding.

"Kommen Sie zu mir", lud ich sie ein, ich nehme meinen Sack (darin war eine dickere Kapuzenjacke für F.) auf den Schoß, dann passe wir hier beide locker hin.

Während sie sich setzte, kam eine weitere, deutlich jüngere Frau mit Rollator hinein und bat eine Frau, ihr ihren Sitzplatz abzutreten, da sie nicht stehend fahren könne.

Die so Aufgeforderte machte mächtigen Terz, pampte herum, ließ sie dann aber doch widerwillig sitzen und nun meinte "meine Omi" zu mir: "Da waren Sie aber sehr viel freundlicher, was habe ich doch für ein Glück gehabt."

"Ach, das war doch selbstverständlich", antwortete ich, "ich weiß selbst, wie es sich anfühlt, wenn man nicht gut laufen kann", und schon waren wir mitten im Gespräch.

Sie sei 90 Jahre alt, erzählte sie, und jetzt leider allein, seit ihr Mann, mit dem sie 74 (!) Jahre lang verheiratet war, starb.

"Ich habe so früh geheiratet, dass es noch früher eigentlich gar nicht mehr gegangen wäre", fügte sie augenzwinkernd hinzu und anhand ihres ganz leicht hörbaren Dialektes tippte ich darauf, dass sie vielleicht aus Schlesien stammte.

Ein kurzer, aber irgendwie inniger Austausch war das gewesen und nun - der Bus war rappelvoll, aber ich hatte das Glück gehabt, den Fensterplatz einer Zweierbank zu erwischen - näherte sich mir auf einmal ein junges Mädel, sah mich fragend an, ich nahm meine Handtasche hoch, sie die ihre auch und schon saßen wir nebeneinander und lächelten uns kurz zu.

Irgendwie erinnerte sie mich an meine Nichten, vom Alter, aber auch vom Aussehen her, nur dass es in ihrem Falle nicht Thailand, sondern vermutlich Russland oder die Ukraine war, denn nun leuchtete auf ihrem Smartphone "Mamutschka" auf und sie unterhielt sich mit ihr auf Russisch.

Und dann passierte das, was man inmitten großer Menschenmengen gar nicht gebrauchen kann, ich bekam einen Hustenanfall - keine Ahnung, ob ich auf zu viel Nähe allergisch reagiere oder ob es an meiner Austrocknung lag, denn wenn ich so viele Stunden unterwegs sein muss, traue ich mich vorher nix zu trinken.

Wie unangenehm ... und je mehr ich versuchte, die Bölkerei zu unterdrücken, umso mehr kratzte es, immer weiter drückte ich mich in mein Eckchen, hätte mich am liebsten unsichtbar gemacht und hustete doch immer weiter.

Auf einmal kam von rechts: "Entschuldigung?"

Ich sah auf und gleich auch ihre Hand: "Möchten Sie vielleicht ein Bonbon?"

"Ohh, das ist aber lieb, vielen Dank", keuchte ich, schob es mir in den Mund und ... hustete erst mal weiter.

An jeder roten Ampel, an jeder Haltestelle schaltete der Fahrer den Motor ab und es herrschte nicht wie sonst immer ein lautes Stimmengewirr, sondern ... Totenstille, so als würden sich nun alle auf mein Husten konzentrieren ... 😲🙄

Nach und nach wurde es aber besser, das Bonbon zeigte Wirkung und nun sprach mich das liebe Mädel noch einmal an: "Gehts wieder?"

"Ja, ich glaube, das Schlimmste ist überstanden", sagte ich lachend, bedankte mich noch einmal und schon waren auch wir im Gespräch.

Restlos begeistert war ich von ihr, so höflich, so wohlerzogen, vor allem aber so offen und lieb, einfach so, zu einer wildfremden Person - das erlebt man nicht alle Tage, und das sagte ich ihr auch.

Leider näherten wir uns dann meiner Haltestelle ...

"Oh, schade", meinte sie bedauernd und ich schloss mich ihr an, sagte, "ja, das finde ich jetzt auch richtig schade, hätte gerne noch bissl weitergequatscht mit dir, aber ... ich werde unsere Begegnung auf jeden Fall in meinem Blog festhalten."

Nun bekam sie runde Augen: "Ein Internetblog, öffentlich womöglich?"

Ich bejahte, sie fragte, wo sie ihn finden könne, was ich ihr noch kurz zurief, denn die Türen waren bereits geöffnet.

Bin gespannt, ob sie den Weg nach hier findet, wage es aber zu bezweifeln, denn mir schwebt vor, dass ich ihn selbst über Suchmaschinen auch nicht fand.

Sollte sie es allerdings trotzdem schaffen, würde mich das sehr freuen, denn sie ist so ein Mensch, den ich gerne ein zweites Mal treffen würde. 🥰


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉

4 Kommentare:

  1. Liebe, ich freue mich für euch beide, dass F. auf einem guten Weg der Besserung ist. Das berühmte Licht am Ende des Tunnels schimmert schon mal. Hoffe dann mal, dass du die doch meist interessanten Begegnungen auf den Reisen zu Franz nicht zu sehr vermisst. Du bist schon eine Kommunikationsheroin und tust deinen Mitmenschlein gut, gut, gut.

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    1. Gut gesagt, lieber Faradei, es beginnt zu schimmern - danke fürs Mitfreuen. 😉
      Mit dem Franz bringst du mich immer wieder zum Lachen, zumal er eigentlich ein M. ist, aber wie alle bei uns mit Spitznamen durchs Leben wandelt - seiner beginnt halt mit F., wobei ich aber auch noch etliche andere für ihn habe. 😅

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  2. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Alles rund um den lieben "F" klingt doch recht aufbauend.
    Hoffentlich setzt sich diese Zuversicht auch durch und schon baldigst ist "F" wieder bei dir zu Hause, wo er ja auch hingehört.

    Du bist eine Menschenfängerin und das auf ganz liebe Art und Weise. - Egal welches Alter, sie verfallen nach und nach der "Rex-Mama" und ihrem Charme.

    Ja, die junge Dame war wirklich ausgesprochen nett.
    Mal sehen, ob sie noch hierher findet, das wäre toll. Ansonsten bleibt dir immerhin das Erlebnis.

    Ich kenne das auch, diese Hustenwellen, man hat das Gefühl der ganze Bus konzentriert sich nur auf einen. - Gerade, jetzt, wo ich etwas wieder erkältet bin, bin ich gespannt, ob ich meinen Husten und schniefen unterdrücken werden können?


    "Rex" hat diesmal noch gar nichts angestellt, war nicht auf der Couch, hat nicht gegen Wände uriniert, kein Kissen zerlegt oder sein Bett. - ... der "Rex-Bubi" wird doch nicht erwachsen? ;)

    Dir weiterhin viel Kraft und Ausdauer für die kommenden, sicher weiterhin sehr anstrengenden Tagen.



    Liebe - kontrastreiche - Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Von der Menschenfängerin merke ich grad nicht viel, lieber lifeminder, sonst säße ich nicht so ganz alleine hier und das Interesse, wie es mir, vor allem aber F. geht, wäre vielleicht etwas größer.
      Selbst mein eigener Bruder hat sich letzte Woche nur ein einziges Mal per WhatsApp erkundigt, ob F. schon wieder zu Hause sei.
      Mehr kommt nicht, kein Anruf, keiner von den Nachbarn schaut mal vorbei, nichts, nur M. und A. haben mir Hilfe angeboten, die ich aber gar nicht benötige, ich komme ja klar. (Auch wenn es sicher nicht hätte schaden können, wenn einen mal jemand in den Arm genommen hätte.)
      Ziemlich ernüchternd alles, doch letztlich wohl ganz gut, nun klipp und klar zu wissen, wo man steht.
      Der Husenanfall - nur ich selber wusste ja, dass es nichts Ansteckendes war, und andersherum geht es mir gerade selber so, dass ich Panik schiebe, dass jemand trotz Erkältung in den Öffis unterwegs ist - eine Horrorvorstellung, du bist auf dem Weg zur Intensivstation, wo jemand um sein Leben kämpft, und schleppst ihm dann auch noch einen Virus hin.

      Liebe Danke-für-die-guten-Wünsche-Grüße zurück! :-)

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