"Hmmm, lecker ...", meinte A., die sofort in die kleine Dose packte, in der ich meine selbstgemachte Köfte mitgebracht hatte, und noch mehrmals griff sie zu, also schmeckte es ihr wohl wirklich.
Ob ich denn eigentlich auch eine zerdrückte Kartoffel mit hineingegeben hätte, so wie sie es letztes Mal gemacht habe?
"Nein, ich habe gar nicht mehr daran gedacht, außerdem habe ich im Moment gar keine im Haus, weil sie mir zu teuer sind", gab ich zu und Letzteres bestätigte sie mir, meinte dann allerdings, sie könne trotz der gepfefferten Preise nicht darauf verzichten, weil der kleine Sohn sie so gerne esse.
Auf diese Weise landeten wir neben dem Bearbeiten ihres Deutschbuches unweigerlich beim Thema Finanzen, über die sie sich offenbar etwas weniger Gedanken machen müssen als wir.
Wo ich zu No-Name- greife, stehen bei ihnen Markenprodukte auf dem Tisch und auch die Wohnung ist ja immer mehr als gut geheizt, selbst im Sommer teilweise.
In der Nacht zuvor allerdings war es andersherum gewesen, die Tochter jammerte, weil sie wegen der Hitze nicht schlafen konnte, und nun träumte A. davon, sich wie ihre Geschwister in der Türkei eine Klimaanlage einbauen zu lassen.
Klimawandel? Umwelt?
Automatisch hakte ich nach und ja, A. weiß, was die Wörter bedeuten, hat sich aber noch nie wirklich damit befasst, also versuchte ich es so auf den Punkt zu bringen:
"Wir können uns entscheiden, ob wir egoistisch sein wollen und es jetzt so fein wie möglich haben oder ob die heutigen Kinder auch noch ein erträgliches Morgen erleben sollen ..."
Sie nickte, aber ich habe das Gefühl, ihr ergeht es so wie den meisten: MAN muss sich kümmern, aber doch nicht ich persönlich ... 🙄
Dann erzählte sie von ihrer Mutter, die innerlich schon eine sehr alte Frau sei - tatsächlich ist sie nur wenige Monate älter als ich.
Das Patriarchat meinte es nicht gut mit ihr, zwang sie jahrzehntelang unter die Knute der Schwiegereltern, mit denen sie ganz selbstverständlich zusammenleben musste, während sie A. und ihre 6 Geschwister aufzog, und am Ende bleibt ein resignierter Mensch zurück, flüchtet sich in Depressionen.
Was für ein Zufall, dass ausgerechnet wir uns über den Weg liefen und sie nun in mir aufgrund der Altersgleichheit ja das krasse Gegenbeispiel vor Augen hat.
Dort die Frau, die sich - ihrer Kultur bzw. den Traditionen entsprechend -schon optisch dem Manne, dessen Familie und vermeintlich auch ihrem Gott untertan macht, der eigenes und vor allem kritisches Denken nie zugestanden wurde, und hier die, die sich von nichts und niemandem vorschreiben lassen würde, was sie anziehen oder denken darf.
(Wobei das Kopftuch und das ängstliche Beachten, dass ja niemand ein Haar oder mehr Haut als die von Gesicht und Händen sehen darf, für mich ein unbedingtes Symbol dieser Unterdrückung ist.)
Im Gegensatz zu ihrer Mutter durfte A. ja etwas lernen, hat 5 Jahre lang Pharmazie studiert und nun kamen wir darauf zu sprechen, als sie nämlich meinte, sie habe von einem Bekannten gehört, dass das Arbeitsamt eine dreijährige Ausbildung zum Heilpraktiker finanzieren würde.
"Nanu, warum denn das? Du hast doch einen Beruf, willst du denn nicht als Apothekerin arbeiten?"
"Ja nun ...", jetzt erzählte sie, dass sie zwar in der Türkei im Keller eines Krankenhauses für die Betreuung der Medizinvorräte zuständig war, aber niemals in einer Apotheke Menschen beriet, außerdem seien da die Sprachprobleme und ... vor allem habe sie mit Entsetzen vernommen, dass man hier in diesem Job den ganzen Tag stehen müsse. 😲
"Ja sicher ...", ich berichtete, dass ich es aus dem Einzelhandel gar nicht anders kenne. Als ich dort noch tätig war, war es uns sogar verboten, uns während der Arbeitszeit irgendwo anzulehnen - immer geschäftig wirken und wenn ausnahmweise mal gar nichts zu tun ist, dann muss man so tun als ob, z.B. indem man Regale auseinanderpflückt und neu sortiert.
Nein, so etwas gebe es in der Türkei natürlich nicht und das könne sie auf keinen Fall durchhalten!
Tja ... da ist dann guter Rat teuer und als ich fragte, was das Arbeitamt denn dazu sage, kam, dass sie damit noch überhaupt keinen Kontakt hätten, das käme erst, wenn die Deutschkurse alle fertig seien.
Und das irritiert mich jetzt wirklich, denn sie sind seit fast fünf Jahren im Lande und noch immer kommt keiner auf die Idee, dass sie auch selber etwas zu ihrem Lebensunterhalt beitragen könnten?
Mein Papa malochte damals neben seinem Studium auf dem Abriss, um die Familie zu finanzieren; wenn er abends heimkam, übernahm er uns Kinder und paukte, während dann meine Mutter loszog zum Kellnern.
Das Geld war knapp, aber wir kamen irgendwie durch, und das ganz ohne die Allgemeinheit zu belasten, genau wie U., die ja gerade voll arbeitet und ihr Fernstudium abends und an den Wochenenden "nebenher" durchzieht.
Auch ich selbst habe schon als Kind und Jugendliche immer Geld verdient, begann mit dem Tag des schriftlichen Abiturs in Vollzeit zu arbeiten, denn die Zeit bis zum mündlichen war ja schon unterrichtsfrei, und dann ging das nahtlos über in den Beginn der Aus- bzw. Weiterbildung.
Weiterbildung deshalb, weil ich nur die Hälfte der normalen Zeit bis den IHK-Abschluss benötigte, auf den dann noch eins draufgesetzt wurde, ganz ohne Berufsschule, dafür aber mit sehr viel Eigenstudium und vor allem Wochenendseminaren.
D.h. auch ich musste Lernen hauptsächlich in meiner Freizeit absolvieren und ansonsten halt arbeiten.
Nur frisch Einreisenden soll das nicht zuzumuten sein?
Warum kann nicht jemand, der morgens ein paar Stunden Deutsch lernt, nachmittags in einem Lager oder wo immer Hilfe gebraucht wird, arbeiten, selbst wenn es nicht der im Heimatland erworbenen Qualifikation und den späteren Berufswünschen entspricht?
Ehrlich, da komme ich nicht mehr ganz mit, wobei man den Leuten selbst gar keinen Vorwurf daraus machen kann, denn sie konsumieren keine deutschen Nachrichten und bekommen gar nicht mit, wie sehr die Kommunen unter dem finanziellen Druck japsen, wohingegen der communityinterne Funk bestens funktioniert und man sich austauscht, wo man welche Leistungen beantragen kann.
Irgendetwas läuft da doch nicht richtig oder sehe ich das falsch?
Wie dem auch sei, A. und ich hatten wieder jede Menge Spaß miteinander und je länger ich das mache, umso besser verstehe ich die Fallstricke der deutschen Sprache, die es für Ausländer wirklich gewaltig in sich hat.
Schön auch, wie eingespielt wir inzwischen sind. Ähnlich wie wir früher im Englischen "ES-Pie-Ou" lernten, also SPO und damit die Reihenfolge, in der Subjekt, Prädikat und Objekt in der Satzstellung aufeinander folgen müssen, hat auch sie solche "Regeln" präsent, sagt dann z.B.: "Ah, 'aber' muss also immer auf (Position) '0' stehen?"
"Manchmal, du kannst es ABER auch woandershin setzen ..." (Womit sich die 0 dann erledigt hatte.) 🤣
Beginnt sie einen Satz in einem unserer Rollenspiele, genügt es, wenn ich die Hände hebe und die Zeigefinger umeinander kreisen lasse, dann weiß sie schon, aha, die Reihenfolge war verkehrt und setzt neu an ... usw., das klappt immer besser.
Sehr gerne höre ich es übrigens, wenn sie Türkisch spricht, denn bei komplexeren Themen hält sie manchmal eine kleine Rede in ihr Smartphone hiein und die Übersetzer-App spuckt mir das dann schriftlich auf Deutsch aus - es klingt sehr viel dezenter und eleganter als das Türkisch, dass ich normalerweise auf der Straße mitbekomme - da spürt man den Bildungsunterschied.
Und noch etwas gefällt mir am Türkischen, nämlich dass es, genau wie wir ja bei Mutter und Schwiegermutter sofort wissen, um wessen Mutter es sich handelt, dort diesen Hinweis auch bei den Großeltern gibt.
Baba heißt Vater, Anne Mutter und Babaanne ist die Großmutter väterlicherseits, also Vatermutter, während die der Mutter Anneanne heißt, also Muttermutter.
Finde ich sehr übersichtlich und logisch so und sehe bei uns durchaus Nachholbedarf. 😉
Gleich wieder verabredet haben wir uns für den nächsten Dienstag und auch daheim wurde es nachmittags noch mal nett, denn schon am Sonntag war mir aufgefallen, dass ich ein Geschenk für F. übersehen hatte.
Mein Geheimversteck für so etwas befindet sich im Flurschrank, in dem die Mäntel und Jacken hängen, die aktuell nicht benutzt werden, und untendrunter lagere ich Taschen, von denen ich tatsächlich so einige habe, besonders nach dem Tod meiner Mutter.
Etwas unübersichtlich ist es dort unten, daher kann es schon mal passieren, dass ich ein Teil übersehe, doch gestern kam mir auf einmal: Wo sind denn eigentlich die neuen Hausschuhe geblieben? Ausgepackt hat er sie jedenfalls nicht am Geburtstag ... *stutz*
Flugs schaute ich nach und ... hihi, fand dann nicht nur zwei, sondern drei Geschenke, die mir irgendwie entgangen waren, wobei er aber eh schon genug bekam.
Grinsend ging ich daraufhin hin zu ihm und sagte:
"Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welche willste zuerst hören?"
"Die schlechte."
"Ich habe drei Geschenke vergessen, die du eigentlich hättest kriegen sollen."
"Boaaaahhhh!!!"
Er begann empört zu moppern, wollte dann aber doch auch die gute noch wissen:
"Du kannst jetzt schon mal anfangen dich auf Weihnachten zu freuen ..." 😁😂🤣😂
Was er ziemlich doof fand, er grübelte kurz und meinte dann, man sollte eigentlich grundsätzlich eine Nachbescherung für Geburtstage einführen, aber ich blieb hart. 😁
Habt einen schönen Tag (meiner begann wegen Gewitter schon um halb zwei) ... und bleibt bitte gesund! 😀
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenBei uns ist von Gewitter noch nichts zu sehen, obwohl diese bereits für gestern Nacht angekündigt waren. Hier ist Hochsommer mit Temperaturen zwischen 28 - 30 C.
Fünf Jahre und man hatte noch keinen Kontakt zum Arbeitsamt?
Wie kann das sein, trotz Sprachbarriere und allem anderen?
Da versteht man die Welt nicht mehr. Man braucht sich aber auch nicht wundern, wenn man so Menschen verliert, um sie bei uns zu integrieren.
Das ist schon auffällig, wie schwer sich Menschen, denen unsere Sprache neu ist, mit unserer Satzstellung tun.
A. & M scheinen schon "auf größeren Fuß" zu leben?
Ist A. denn nun schon alleine durch die Straßen gefahren, seit sie den Führerschein besitzt?
Schön, dass ihr euch gefunden habt, bin gespannt wie es weitergeht und welche Gedanken du vom nächsten Besuch mitbringst?
Der arme "F". Zumindest ein Geschenk hättest du ihm noch gönnen können. ;)
Liebe - unverhüllte - Grüße
Vom lifeminder
Bis jetzt sind noch andere Ämter für sie zuständig, lieber lifeminder, wo es dann nur um Leistungen geht, die sie bekommen.
AntwortenLöschenMich wundert das auch, dass sogar nach Jahren noch keiner auf die Idee kommt, auch mal etwas einzufordern, und letztlich ist es dann genau das, was einen ganz falschen Eindruck vom "Schlaraffenland" vermittelt, der sich natürlich in den Herkunftsländern auch herumspricht.
Um "Integration" bemüht man sich ja, indem ein Deutschkurs nach dem anderen finanziert wird, nur das Tragische dabei ist, hätte M. nicht selber per Internet nach deutschen Gesprächspartnern gesucht und dadurch mich gefunden, dann wäre diese Sprache für sie letztlich ähnlich tot wie seinerzeit Latein für mich, denn mit Ausnahme von mir reden sie ja mit niemandem deutsch, da ihr gesamtes Umfeld nun einmal türkisch ist.
(So muss es Deutschen gehen, die auf Malle Spanisch lernen und dann niemanden finden, der es spricht.)
Liebe "Der arme F. hat nun aber immerhin schon etwas, auf das er sich freuen kann"-Grüße zurück! 😂
Die Unterdrückung durch das Patriarchat finde ich auch unerträglich. Kommt aber auch bei uns in der EU noch immer vor. Die Generation unserer Mütter kann da noch ein Lied davon singen!
AntwortenLöschenLieben Gruß
Lach, meine Mutter hatte nicht mal einen Vater, schon meine Oma (Jahrgang 1907) war eine sehr emanzipierte Frau, die mehr als selbstbewusst mit drei unehelichen Kindern durchs Leben ging.
LöschenAnsonsten hast du natürlich recht, man hat ja in der EU Länder mit ganz unterschiedlichem Entwicklungsstand und Sitten unter ein Dach gepackt und durch die Zuwanderung gehts nun eh wieder rückwärts mit der weiblichen Freiheit, zumindest in vielen Bezirken.
Lieben Gruß zurück!
Ich beglückwünsche dich zur "bestandene" Prüfung für das Gericht Köffte. Vielen Dank für die Erklärungen zur türkischen Sprache. Und ja, auf Weihnachten werde ich mich auch freuen, denn ich kann mir ja überlegen was ich mir selbst schenke. Mein wochenende in Frankreich war sehr angenehm. Genossen habe ich die Abstinenz von dämlichen deutschen Politgesindel. Wenn ich dann lese, dass im Haushalt 2024 732 Millionen für das neue Bundesland Ukraine eingeplant sind und irgend so ein Militärfuzzi erklärt hat man werde diese verdammten Hunde um diesen Pausenclown noch bis 2032 unterstützen, dann kann ich nur dieses Land verlassen. Meine Stuern bekommen die NICHT mehr.
AntwortenLöschenJa, und wo willste nun hin, wo es so viel besser ist als in Deutschland?
LöschenSchön, dass du ein angenehmes Wochenende hattest. :-)
Rex-Mama, in Frankreich gibt es zum Beispiel nicht so viele Klima-Deppen. Und der Zulauf von Fachkräften aus der Ukraine hält sich in sehr engen Grenzen. Da gibt es auch keine so große Unterstützung wie hier.
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