Dienstag, 21. Februar 2023

Tag der Muttersprache

 Gerade Salman Rushdie weiß, warum er es tut, wenn er die Freiheit der Sprache so verteidigt und gegen ihre linksidentitäre Verhunzung ankämpft, deshalb würde ich ihn am liebsten küssen für diese Replik, wie man sie hier im "Tagesanbruch" nachlesen kann!

Und auf das Thema Muttersprache stieß ich auch, als ich mich wie geplant an die Kiste mit den Schätzen meiner verstorbenen Mutter machte, denn offenbar hielt auch mein Urgroßvater nicht allzu viel davon bzw. auch er benutzte vor weit über 100 Jahren schon Anglizismen, wohl weil er es als schick ansah und für umsatzfördernd hielt. (Was auch funktionierte, denn bei ihm ließen die "Oberen Zehntausend" ihre Kleidung anfertigen, wie man mir öfter erzählte.)

So weit ich weiß, hatte er seiner Schneiderlehre noch drei weitere hinzugefügt, u.a. eine Kürschner-Ausbildung in Kanada, von wo er den Ausdruck "Ladies Tailor" mitbrachte, der fortan sein Firmenschild an erster Hamburger Geschäftsadresse zierte:


Kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende dürfte das Foto entstanden sein und munter sprang ich nun hin und her durch längst vergangene Zeiten, las etliche Briefe, die meine Oma mit ihrer Tochter, also meiner Mutter, ständig austauschte, und war írgendwann sehr dankbar dafür, dass es zu ihrer Zeit noch kein Internet gab.

Nun muss ich kurz ausholen: Die Familie meines Vaters verbrachte traditionell mindestens die Sommerurlaube an der Ostsee (ein Großonkel von ihm besaß direkt an der Steilküste einen riesigen Gutshof, vermutlich war die Liebe zur See dadurch entstanden) und dort hatte er auch meine Mutter kennengelernt, die von Oma in ganz jungen Jahren losgeschickt worden war, um als Saisonkraft Geld nach Hause zu bringen.

Es lief dann anders als geplant, denn nun entdeckte der Opa väterlicherseits sein Interesse an dem Mädel, nahm es mit zu seiner Familie, wollte Muttern eigentlich zur Sprechstundenhilfe ausbilden.

Auch da kam es anders, weil ich mich frecherweise ankündigte, also wurde geheiratet und Muttern arbeitete ohne Ausbildung in der Praxis mit, wodurch sie aber trotzdem einiges an medizinischen Kenntnissen mitnahm.

Und nun kam ihre eigene Mutter hinzu, die ebenfalls ihr Interesse an Krankheiten entdeckte.

Was muss diese Frau an Zeitungen und Zeitschriften durchforstet haben, immer auf der Suche nach möglichen Erkrankungen und meist alternativen Heilungsmethoden.

Unmengen an Artikeln schnitt sie aus und klebte sie auf ihre handschriftlichen oder auch mit der Maschine getippten Briefe, hier ein "Guru", ob sie nun Köhnlechner oder wie auch immer hießen, dort einer, der tolle Ideen hatte, was angeblich gut für den Körper sei, was man lassen oder befolgen solle, und immer wieder erzählte sie von Zeugs, das sie sich bestellt hatte und von dem sie auch meiner Mutter etwas abgeben wolle.

Ganz schwindelig wird einem da und eigentlich wundert es mich nun nicht mehr, was mein Papa einst im Vertrauen über meine Mutter zu mir sagte, die voll auf den Zug aufsprang: 

"Weißte, wenn sie abends etwas im Fernsehen sieht über eine Krankheit, kannste dich fast drauf verlassen, dass sie die am nächsten Tag dann auch hat ..." 🙄

Irgendwann landete ich dann beim Herumkramen wieder an der Ostsee, kein Wunder, denn einige der sieben Kinder meines Opas führten die Tradition fort und verbrachten später ebenfalls die Sommerurlaube mit ihren eigenen Familien dort - für uns Kinder wunderbar, wenn wir dort auf etliche unserer Cousins und Cousinen trafen.

Hier ein Bild, auf dem man gut erkennen kann, warum ich es so liebte, wenn, wie damals üblich, jeder eine Burg rund um seinen Strandkorb anschaufelte:


Im Schatten des Strandkorbes konnte meine kleine Schwester ihr Mittagsschläfchen halten ohne die Gefahr, dass jemand auf sie treten würde, überhaupt boten einem diese Burgen ein Refugium, das von allen respektiert wurde, die ja das Gleiche für sich hatten.

Kleine Kinder wussten, hier ist die Grenze, man musste nicht jede ihrer Bewegungen ängstlich im Auge behalten und ganz nebenher war das Errichten auch ein Riesenspaß.

Die Schaufeln gab es kostenlos bei den Strandkorbvermietern, meist waren es die Väter mit den Kindern, die dann schüppten, was das Zeug hielt, und mache machten sich sogar richtig viel Mühe, bauten Zinnen oder Figuren in ihren Wall, manchmal noch hübsch geschmückt mit Muscheln und Steinen und natürlich flitzten sie ständig los mit der Gießkanne, um ihre Kunstwerke feucht zu halten. 

Schön war das und wir alle genossen ungeheuere Freiheit, durften den ganzen Tag durch die Gegend springen, wie wir Lust hatten, holten uns ab und zu eines der Brötchen ab, die Papa am Morgen in großer Zahl geschmiert hatte, und Sorgen, wenn wir immer wieder ins Wasser gingen, musste sich auch keiner machen, denn dank des heimischen Schwimmclubs (ebenfalls Familientradition) waren wir ja alle ganz geübte Schwimmer.

Und dann war da noch dieser Strandfotograf, heute vermutlich aus Datenschutzgründen undenkbar.

Einen Fotoladen hatte er auf der Promenade und ständig waren seine Leute unterwegs und knipsten, was das Zeug hielt.

Jeden Tag standen wir neugierig vor dem Schaufenster, in dem die Ausbeute des Vortages ausgehängt wurde. Erkannte man sich und befand das Bild als gut, konnte man hineingehen und es kaufen, für uns Kinder mit dem bescheidenen Taschengeld natürlich gar nicht so einfach.

Aber einmal schaffte ich es doch, Papa zu überreden, dass ich zuschlagen durfte, nämlich bei diesem Bild:


So erwachsen fühlte ich mich in dem dunkelblau-altrosafarbenen Badeanzug, dessen Unterteil so schlecht trocknete, dabei kann ich nicht älter als 12 gewesen sein. 🤣

Und dieses hier fand ich auch niedlich, die große mit der kleinen Schwester, in inniger Liebe vereint:


Hach ja, nun habe ich fast das Gefühl, diesen Badeanzug gleich von der Leine holen zu können, und wenn ich's recht überlege, meine ich nun auch den Sand zwischen den Zähnen knirschen zu spüren, so sehr kommt es mir vor, als sei das alles eben gerade erst gewesen. 😊

Bin schon gespannt aufs nächste Kramen, heute aber leider nicht, weil ich mich gleich erst mal um eine Backup-Sicherung kümmern sollte, und morgen steht dann die nächste Deutsch-Stunde mit M. an.

Vielleicht am Wochenende, mal sehen ...


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😀

8 Kommentare:

  1. Liebe Rex - Mama, du schaffst es wieder einmal mit deinem heutigen Eintrag erinnerungen bei mich wach werden zu lassen. Ganz in der Nähe meines ersten Wohnortes lebte ein Schneider und es war für uns Kinder immer sehrspannend ihn in seiner Werkstatt zu besuchen. er saß dabei auf dem Tisch, seine Beine gekreuzt und arbeitete so an einem Kleidungsstück. ich bin weder ein befürworter von Gendern noch von emglischen Sprachfizzerln in unserer Sprache. Allerdings weis ich auch, dass ich da sehr alleine stehe. Doch wie sagte der Kaberetist Martin Frank lieber Bayrisch stat englich.

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  2. Nun muss ich lachen, Helmut, denn zwar kannte ich meinen Uropa nie persönlich, trotzdem fällt es mir schwer, ihn mir auf dem Tisch sitzend vorzustellen.
    Wobei ich tatsächlich aber gar nicht weiß, ob er oder seine Mitarbeiter es nicht doch machten? 😂
    Mit deiner Ablehnung bist du nicht alleine, denn der weitaus größte Teil der Bevölkerung lehnt Sprachvorschriften ab.
    Sprache sollte sich von allein entwickeln und tut es auch. Solche Versuche, wie sie hier grad ablaufen, kennt man sonst nur von Diktaturen, und denen sollten sie auch vorbehalten bleiben.

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  3. Deshalb heißt er ja auch Schneidersitz, liebe Rex-Mama :)
    Vor einiger Zeit hatten wir eine Jugend-Theater-Vorstellung vom "Tapferen Schneiderlein", die haben dieses Detail natürlich auch übernommen.
    Was euch die Strandkörbe, waren uns die Sonnenschirme samt Liegestühlen, in Reih und Glied aufgestellt. Burgen bauten wir entweder im eigenen Schatten (aber nicht rundherum) oder, mehrere gemeinsam, in der Nähe der Uferlinie ... Jessas, ist das lange her!
    Lieben Gruß

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  4. Na klar, liebe Sparköchin, spätestens seit ich das Tapfere Scheiderlein immer wieder las, war es mir vertraut, nur eben nicht in Verbindung mit meinem Uropa. 😅
    Mit Liegestühlen am Strand habe ich überhaupt keine Erfahrung und das Schöne am Strandkorb war ja, dass man ihn gleich für die ganzen drei Wochen mietete.
    Einmal gebaut beschützte uns unsere "Burg" die ganzen Ferien über, höchstens bissl nachschippen musste man noch mal, wenn es zu arg gerieselt war, denn natürlich benutzen wir den Wall auch als Rückenlehne, wenn wir dort mit Cousins und Cousinen herumsaßen, weil der Strandkorb selbst ja in der Regel von den Eltern belegt war.

    Stimmt, lang, lang ist's her und doch, als sei es erst eben gewesen.

    Lieben Gruß zurück! 😊

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  5. Hallo liebe Rex-Mama, vom Tag der Muttersprache hab ich nichts mitbekommen, aber das ist mir heute zufällig ins Auge gefallen:
    https://opas-blog.de/2023/02/07/deutsch-eine-liebeserklaerung/

    Schon das Wort Urlaub war für mich ein Begriff, unter dem ich mir überhaupt nichts vorstellen konnte. Eine Schulfreundin fuhr immer in den Ferien nach Scharbeutz. Sie tat mir leid, ich dachte, es muss doch schrecklich langweilig sein, den ganzen Tag keine Arbeit zu haben :-)
    Mein erster Urlaub war meine Hochzeitsreise. Wir fuhren mit den Schwiegereltern nach Klagenfurt ins "Familienzentrum". Zeitweise hätte ich die Zeit lieber im Labor oder im Schießkanal verbracht als mit der Schwiegermutter und der Tante Mitzi im Caféhaus oder mit dem Schwiegervater und dem Onkel Paul beim "Pumpe". Aber im Lauf der Jahre lernte ich schon auch richtigen Urlaub kennen und schätzen.

    Die Vermieterin meiner Bude in Nürnberg war Schneidermeisterin, aber auf dem Tisch saß sie auch nicht :-))) Ich habe sehr gern so manchen Nachmittag bei ihr im Nähzimmer verbracht, sie hat dermaßen Ruhe ausstrahlend an ihren Arbeiten gewerkelt, dabei erzählt und sich erzählen lassen. Wunderschön war das.

    Das Thema Schuhe ausziehen geht mir immer wieder durch den Kopf. Dass das für mich eine Selbstverständlichkeit ist, habe ich ja schon geschrieben. Dass man nicht wirklich auf fremde Schlappen steht, das geht mir auch so, aber ich habe zum Glück große Füße. Ich nehme also immer Socken mit und ziehe die an, weil mir die Schläppchen eh zu klein sind. Kaputtmachen mit meinen Quadratlatschen ist ja auch keine Option ;-)

    Viel Spaß morgen bei deiner Nachhilfestunde und liebe Grüße :-)

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  6. Das ist wunderschön ausgedrückt, liebe Hermine, die deutsche Sprache ist ein schönes und kostbares Gut, das uns anvertraut wurde, und wir sollten sie hegen und pflegen, statt sie uns nach und nach zerstören zu lassen. :-)
    Bei deiner Hochzeitsreise musste ich lachen, denn tatsächlch luden meine Eltern uns direkt nach der Heirat auch ein, mit ihnen und ihrer Klique nach Staffelstein zu fahren, was sich dann allerdings als gute Idee herausstellte, denn die Truppe war ein noch recht jugendlicher und lustiger Haufen und es machte großen Spaß, gemeinsam über die Äcker zu stiefeln und nach Versteinerungen zu suchen.
    Das war aber eh nur ein kleiner Vorgeschmack, denn die richtige Hochzeitsreise machten F. und ich dann bald darauf, da ging es für drei Wochen nach Tunesien, und das war dann so richtig hammermäßig.
    Ansonsten lief es bei mir aber andersherum als bei dir, als Kind waren die Sommerurlaube selbstverständlich, später musste ich mir das abgewöhnen und nun fahren wir schon seit Jahrzehnten nirgendwo mehr hin, von Verwandtenbesuchen einmal abgesehen.
    Das Schuheausziehen, seufz, es ist mit nach wie vor extrem unangenehm und würde ich heute noch wie einst so großen Wert darauf legen, dass beim Outfit jedes Teil mit jedem abgestimmt ist, wäre das schon Grund genug für mich, auf solche Besuche zu verzichten, käme mir sonst vor, als dürfe ich ein Auge schminken, während das andere nackig bleiben muss. 🤣
    Wenn wir z.B. zu meinem Bruder fahren, nehmen wir selbstverständlich Hausschuhe mit, aber dann sind es die eigenen und ich muss nicht im womöglich Fußpilz der letzten Besucher herumlatschen.
    Meine Füße sind zu klein, als dass ihre Größe als Ausrede herhalten könnte und das mit den Socken hatte ich ja letztes Mal probiert, hatte in den Crocs eh solche Überzieher drüber.
    Nur was willste machen, wenn dein Gegenüber dann die dankende Ablehnung seiner Schappen nicht akzeptiert und nicht genügend Deutsch versteht, als dass man es ihm verständlich machen könnte, ohne unhöflich zu wirken? 🙄
    Noch kann ich ja nicht abschätzen, ob wir uns dauerhaft treffen werden, aber sollte es sich sich bis in den Sommer ausdehnen, bekomme ich ein echtes Problem, denn barfuß werde ich in solche Plüschschlappen nicht einsteigen.

    Liebe Grüße zurück! 😀

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    1. Ach, *patsch ans Hirn*, die Fotos habe ich ganz vergessen zu erwähnen. Die sind nämlich richtig schön und süß!
      Dass in D alles so übertrieben werden muss! Natüüürlich auch der Datenschutz. Früher war es bei jedem öffentlichen Ereignis üblich, dass ein Fotograf da war und man ein paar Tage später im Schaufenster aus hunderten Bildern aussuchen konnte, welche man gern hätte.
      Heute kannst du ja außer Landschaft nichts mehr fotografieren, ohne Angst vor Verstoß gegen den Datenschutz haben zu müssen :-(

      Du bist aber nicht dauerhaft "lieb", hoffe ich!!!

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  7. Stimmt, meine Liebe, früher war die Welt um einiges einfacher und lockerer - ein Wunder eigentlich, wie wir das überleben konnten, ohne uns ständig in unseren Gefühlen oder Rechten verletzt zu sehen. 😀
    Mit dauerhaft lieb meinst du meine Schwester?
    Keine Sorge, das Küsschen-Geben hörte irgendwann auf und heute ist die Gefahr verschwindend gering, wo wir uns doch das letzte Mal im Frühjahr 2016 gesehen haben. 😊

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