Dienstag, 7. Februar 2023

Das Date

 Schon gestiefelt und gespornt stand ich hier, als F. mich mit einer simplen Frage durcheinanderbrachte:

"In welchem Café trefft ihr euch denn eigentlich?"

"Na, in dem am Marktplatz."

"Do gibts doch zwei und beide gehören sie zur gleichen Bäckerei."

Ups?

Unser Marktplatz ist ein bissl tricky, eigentlich sehr groß wird er in der Mitte durch den klobigen Bau des Rathauses in zwei Hälften zerrissen, auf der einen befindet sich eine Bäckerei direkt neben dem Parkbereich, während man für die andere den Platz wechseln und im Grunde sogar noch ums Eck gehen muss, um sie zu erreichen.

Mir selbst war es noch nie aufgefallen, dass die zusammengehören, und warum F. so etwas weiß, obwohl er doch kaum einmal das Haus verlässt, ist mir ein Rätsel, aber nun hatte ich den Salat.

Den PC hatte ich schon heruntergefahren, aufm Handy hab ich diese Nachbarschafts-App, über die der Kontakt bisher stattfand, gar nicht, also konnte ich nicht noch mal kurz nachfragen, denn "mein junger Lehrer" hatte nur den Namen des Ladens genannt - offenbar war es ihm ebenfalls nicht bekannt, dass es ihn doppelt gibt.

Dann müsste ich wohl bei beiden schauen gehen, immerhin ein Foto von "M." hatte ich in der App gesehen, also müsste ich ihn doch erkennen können?

Hm, im Café Nr. 1 saßen an drei Tischen drei Rentnerinnen, alle weiteren waren von jungen Männern mit südländischem Aussehen belegt und gleich mehrere von ihnen trugen eine Brille.

Wirkte einer von ihnen wartend?

Nein, eigentlich nicht, aber es war ja auch erst kurz vor zehn, vielleicht war M. also noch gar nicht da?

Weiter zum nächsten Laden - wieder schritt ich die Schaufensterfront ab und auch hier bot sich mir ein ähnliches Bild.

Also machte ich noch einmal kehrt, fand alles so gut wie unverändert vor, um dann noch einmal quer über den ganzen Platz zu laufen und mein Glück bei Café 2 zu versuchen.

Da, dieser junge Mensch, der nun hineinging, könnte er das nicht sein?

Das Foto war nur winzig gewesen, aber ich meinte eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen, also beobachtete ich, was er tat.

Ah, er holte sich an der Theke einen Tee und steuerte damit einen der wenigen freien Tische an - das müsste er sein, oder?

Ich öffnete die Tür, wandte mich in seine Richtung, auch er nahm mich nun wahr, schaute mich forschend an, also ging ich hin zu ihm und fragte einfach: "M.?"

Jawohl, er war es und schon reichten wir uns die Hand zur Begrüßung und ich begann mich aus der Jacke zu schälen.

Was er mir holen dürfe, wollte er wissen, ich bat um einen Kaffee, den er auch brachte, allerdings rabenschwarz, also entschuldigte ich mich noch einmal kurz, besorgte mir Milch (von der Kuh 😁) und Süßstoff und nun konnte es endlich losgehen.

Er stellte sich vor, 38 sei er und Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften, seine Frau sei Apothekerin und gemeinsam hätten sie zwei Kinder, 3 und 7 Jahre alt.

Sehr angeregt und - wie es mir vorkam - auch wirklich offen plauderten wir weiter und so erkundigte ich mich beiläufig, ob seine Frau ein Kopftuch trage.

Er bejahte, sie seien ja Moslems, ein kleiner Wermutstropfen für mich, hätte ich mir doch schon im Hinblick auf mögliche Solidarität mit den Frauen im Iran anderes erhofft, andererseits interessant für mich zu hinterfragen, inwieweit auch gebildete Menschen sich den Zwängen unterwerfen, die von Religionen oder eben auch von patriarchalischen Strukturen ausgeübt werden.

Und nun werde ich gerade stutzig, weil ich nebenher recherchiere, erwähnte er doch mehrmals die "Gülen-Bewegung".

Vorausgegangen war, dass er erzählte, er habe vor der "Diktatur" in seiner Heimat fliehen müssen.

Was genau denn dort gefährlich für ihn gewesen sei, wollte ich wissen, und er erklärte, dass es schon genügen könne, eine Zeitung eben dieser Gülen-Bewegung zu besitzen. Sein Bruder sei deswegen inhaftiert worden.

Womöglich wäre er besser aufs Land gegangen, meinte er, denn hier in der Stadt gäbe es doch auffallend wenig Deutsche und bei seinen hier lebenden Landsleuten sei er teilweise gar nicht gut angesehen.

Klar, sehr viele von ihnen sind Erdogan-Fans, das ist mir klar und insoweit konnte ich ihm auch folgen, aber in Bezug auf "Gülen" war ich wohl bisher etwas naiv, wie mir nun beim Lesen dieses Wikipedia-Eintrages bewusst wird.

Irgendwie klingt es sektenartig, nach außen hin gibt man sich zunächst weltoffen und verbindend, aber innendrin geht es um die Verbreitung eines eher fundamentalen Islams?

Diese Unterwanderung des Nachhilfemarktes erinnert mich an Scientology, von denen das schon seit langer Zeit bekannt ist, und wenn ich lese, dass die Anhängerschaft vornehmlich aus Studenten, Lehrern, Unternehmern und Journalisten besteht, passen M. und seine Frau natürlich hervorragend ins Bild, das Kopftuch eingeschlossen.

Das sind die Gedanken, die mir erst jetzt kommen, denn zunächst ließ sich unser Gespräch auch weiter sehr freundlich an. Er erzählte, welche Sprachschwierigkeiten seine Tochter zunächst in der Schule hatte, weil sie ja noch kein Wort Deutsch konnte. Beim Sohn wolle er es besser machen, der solle einen Kindergarten besuchen,wenn er denn nur einen Platz finden könnte.

Er selbst macht einen Deutschkurs nach dem anderen, bemüht sich sehr um korrekte Grammatik, aber es war nicht zu übersehen, dass er mitunter Schwierigkeiten hatte mir zu folgen.

Auch ein Wechsel ins Englische, den ich mehrmals spontan vollzog, brachte nicht allzuviel, denn offenbar beherrscht er eher die IT-Sprache und ist sich auch noch nicht ganz sicher, ob er hier später als Lehrer oder doch lieber in der IT-Branche arbeiten möchte.

Dann erzählte er von seiner Liebe zu Mathematik und Naturwissenschaften, worauf ich natürlich eingehen konnte, da ich mich ja neben vier Fremdsprache in der Schule auch mit dem Mathe-LK herumschlug und mich brennend für die String-Theorie interessiere, die die Möglichkeit von Paralleluniversen diskutiert.

Von dieser allerdings hatte er noch nie gehört, fragte, ob sie von Isaac Newton stamme, ich verwies ihn an Einstein, Hawking & Co, konnte ihm aber letztlich gar nicht klarmachen, wovon ich redete, denn da kam uns die Sprache in die Quere.

Wie es bei mir zeitlich aussähe, ob man sich ein oder zweimal in der Woche treffen könne, wollte er dann wissen und ... ob ich das ehrenamtlich machen würde, weil ich einfach nur "lieb" sei?

Hm, eine berechtigte Frage, die mir allerdings nun nach der Recherche dazu zu passen scheint, dass man sich in der Gülen-Bewegung sehr gut auskennt mit Förderungsmöglichkeiten in Deutschland.

Tja, was soll ich sagen?

An sich war ich zunächst durchaus angetan von "M.", auch wenn mir noch nicht so ganz klar ist, was er damit meint, man könne sich ja bei jedem Treffen (die dann bei ihm zu Hause stattfinden könnten) "ein Thema vornehmen".

Was er denn noch so tun könne, um schneller Deutsch zu lernen, lautete eine seiner Fragen und ich verwies ihn u.a. an deutschsprachiges TV, weil ich es für einen großen Fehler halte, wenn Ausländer im neuen Land ausschließlich ihre Heimatsender verfolgen.

Außerdem erzählte ich, wie es bei meinem Bruder läuft, dass von Anfang an nur Deutsch gesprochen wurde, woraufhin er dann nicht ganz ungerechtfertigt zurückgab, ja, aber die Kinder sollten ja auch Türkisch lernen.

"Natürlich, man weiß ja nie, ob man nicht doch noch einmal zurückkehrt", sagte ich, was er für sich selbst ausschloss, wobei mir im Nachhinein auffällt, dass er Deutsch offenbar hauptsächlich fürs Geldverdienen als notwendig erachtet - ansonsten soll wohl in erster Linie die Herkunftskultuer weitergepflegt werden.

Hm ... *grübel*

Nach ca. anderthalb Stunden verabschiedeten wir uns, nachdem wir noch die Handynummern ausgetauscht hatten, so dass wir nun whatsAppen können, und eigentlich war ich nachmittags schon drauf und dran, ihm den Donnerstagmorgen fürs nächste Treffen vorzuschlagen, hätte sich dann nicht die Nachricht über die verheerenden Ausmaße des Erdbebens in der Türkei verbreitet.

Da ich nicht wusste, ob seine Familie betroffen ist, scheute ich mich ihn in diesem Moment anzuschreiben und nun bin ich tatsächlich ins Wanken gekommen.

Auf der einen Seite würde ich einer "kleinen, netten Familie" wirklich gerne helfen, besser Fuß fassen zu können, auf der anderen habe ich wenig Lust, zwischen die Fronten von Erdogan- und Gülen-Anhängern zu geraten, die es hier in offenbar größerem Ausmaß gibt, als mir bisher bewusst war.

Es war vielleicht wirklich zu naiv zu denken, wer vor Erdogan flieht, der steht automatisch für mehr Weltoffenheit, denn es könnte auch genau das Gegenteil der Fall sein und dann wäre das eindeutig nichts für mich.

Ich bin nun einmal Atheist durch und durch, und das nicht etwa aus Jux und Tollerei, sondern weil ich mich schon mein ganzes Leben lang mit dem Thema Religion auseinandergesetzt habe, und nachdem M. diese Gülen-Bewegung mindestens vier- oder fünfmal erwähnte, scheint sie ihm ziemlich wichtig zu sein.

Mit Evangelikalen kann ich nichts anfangen, nicht mit Anhängern christlicher Freikirchen und ganz sicher auch nicht mit fundamentalen Muslimen, dazu bin ich ein viel zu großer Freund vom Selber-Denken, von daher werde ich das alles jetzt erst einmal noch etwas sacken lassen, bevor ich mich entscheide, ob ich mich weiter darauf einlasse.

Wie seht ihr das bzw. hat jemand von euch vielleicht anderen Zugang als ich zum Thema und kann mir mehr darüber sagen?


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😀

5 Kommentare:

  1. Liebe Rex-Mama, ich kann dich in deinen Bemühungen leider nicht unterstützen. Die Gülen-Bewegung kenne ich nur vom Namen. Mehr weis ich dazu wirklich nicht. Es ist durchaus ein Gewinn, wenn Kinder mit zwei Sprachen aufwachsen. Deiner Meinung über die Freikirchen schließe ich mich nicht an. Es bleibt jedem Menschen selbst überlassen, wie er sich verhält. Wenn ich mir allerdings zu Gemüte führe, dass unbequeme Leute in eine bestimmte Richtung gedränkt werden, damit man sie mit einem bestimmten Etikett versehen kann. Ist doch sehr bedenklich.

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Rex-Mama,
    das einzige, wo ich was beitragen kann, ist die Geschichte mit den Sprachen. Bevor Kinder eine Fremdsprache lernen können, müssen sie die Muttersprache einwandfrei beherrschen. Von Anfang an nur deutsch zu reden würde ich Migrant:innen nie empfehlen. Nicht nur, dass die eigene Sprache verloren geht, hören sie aus der eigenen Familie eher fehlerhaftes Deutsch.
    Ich kenne Menschen, die Migrant:innen oder Geflüchtete bei der Integration ehrenamtlich unterstützen bzw. unterstützt und viel von den persönlichen Begegnungen profitiert haben.
    Das musst du für dich entscheiden, ob du dich drauf einlässt. Wenn ja, dann wirst du diese Menschen aber vermutlich nicht missionieren können :)

    Lieben Gruß

    AntwortenLöschen
  3. Du hast dich doch längst entschieden, oder?
    So wie du das Date beschreibst, ist ja von Anfang an alles schief gelaufen. Ist jetzt nur die Frage, ob einer von euch WA nutzt und sagt, dass es doch nicht klappt, mit welchen höflichen Begründungen auch immer.

    Grinsen musste ich über deine Empfehlung, deutsche Fernsehsender zu schauen. Hoffentlich dachtest du nicht an Dschungelcamp, Big Brother, Love Island o.ä. :-)
    Und wenn du mit mir über ein Paralleluniversum reden wolltest, hätten wir auch sprachliche Schwierigkeiten... :-)

    Ich denke, der junge Mann ist besser an der VHS aufgehoben, wo es Deutschkurse für Ausländer gibt. Er möchte doch deutsch lernen und keine gesellschaftlichen oder religiösen Debatten führen, wenn ich das recht verstanden habe.

    Wärst du denn "lieb"? Also ich bin mit Müh und Not lieb, wenn es um die Kinder und Enkel geht, bei allen anderen fordere ich Bezahlung. Hab ich sogar als Lesepatin für das ukrainische Kind so gemacht. (Nachdem ich mit einer älteren Frau schlechte Erfahrung gemacht habe, die jemand als Einkaufshilfe gesucht hat.)

    Lieben Gruß :-)

    AntwortenLöschen
  4. Danke für eure Kommentare! :-)
    Es geht nicht darum, dass ich "missionieren" möchte - zu was denn auch, wenn ich ja gar nichts glaube, zu dem ich jemanden bekehren könnte? ;-))
    Auf der anderen Seite möchte ich aber auch nicht dabei helfen, hier einen Glauben zu etablieren, der so fundamental ist, dass man ihn im Herkunftsland verbietet.
    Deshalb die Frage, ob jemand vielleicht Infos darüber hat, die über den Wiki-Eintrag hinausgehen.
    Dass ich Zweisprachigkeit für empfehlenswert halte, wenn sie denn schon so einfach möglich ist, sagte ich M. ja, wobei meines Wissens aber besonders kleine Kinder zwei Sprachen parallel locker verarbeiten können. Deshalb mein Tipp, beim TV nicht nur Heimatsender zu schauen, denn diesen Fehler begehen leider die meisten.

    Lieben Gruß zurück 🙂

    AntwortenLöschen
  5. Auch dir danke schön, liebe Hermine! :-)
    Dass wir auf Physik zu sprechen kamen, war ausschließlich seiner Liebe zu seinen Studienfächern geschuldet und es ging um die Stringtheorie, die jedem Physiker eigentlich ein Begriff sein müsste.
    (Die Paralleluniversen kamen eher als Nachsatz zur Sprache. ;-))
    Ich glaube, welche Sendungen sie schauen, ist eigentlich zweitrangig, es geht ja darum, möglichst viel Deutsch zu hören, zu dem er sonst wenig Berührungspunkte hat, da der Freundeskreis natürlich ebenfalls türkisch ist.
    Natürlich stehen im Falle einer Fortführung keine "Debatten" über irgendwas aufm Programm, sondern die deutsche Sprache und ich vermute, dass er mit den "Themen" jeweils ein grammatisches Kapitel meinte. Er lernt bei den Berlitz-Sprachschulen, aber ich kann nachvollziehen, dass er mehr Praxis als nur die Schulstunden haben möchte.
    Bis dahin war ja auch alles klar und an sich war ich ziemlich Feuer und Flamme (ohne Gegenleistung übrigens), doch die Zusammenhänge zur Gülen-Bewegung, die ich mir heute dann erschloss, brachten mich halt ins Grübeln.

    Liebe Grüße zurück! 😀

    AntwortenLöschen