... im leichten Nieselregen vor dem Haus meines neuen türkischen Bekannten an, klingelte, wurde eingelassen und stieg hoch in den ersten Stock, wo mich eine offene Wohnungstür erwartete.
M. begrüßte mich, im Hintergrund sah ich eine Frau mit zweiteiligem Kopftuch, also unter dem farbigem trug sie noch ein schwarzes, eng bis in die Stirn gezogen, und an sie drückte sich etwas verschämt der kleine, dreijährige Sohn.
Ich hatte es schon geahnt und war sicherheitshalber in Crocs losmarschiert, denn selbstverständlich erwartete man von mir die Schuhe auszuziehen.
Etwas, über das ich mich schon in Thailand ärgerte, denn ich empfinde es als ziemlich ekelig, mit nackten Füßen im Fußschweiß der anderen herumtappen zu müssen, aber gut, ich hatte ja damit gerechnet.
Dachte ich aber, nun einfach in meinen eh doppelten Socken hineinmarschieren zu dürfen, hatte ich mich getäuscht, denn man zwang mir regelrecht ein paar Plüschschlappen auf, von denen ich natürlich keine Ahnung habe, wessen Füße da schon alles drinsteckten. 🙄
Innerlich zähneknirschend fügte ich mich und dann endlich stellte er mir die Dame des Hauses vor, deren Namen ich leider nicht verstand und noch einmal genauer erfragen muss.
Auch sie wirkte, hm, ebenfalls beinahe etwas verschämt, wenn auch durchaus freundlich, also zwinkerte ich ihr einfach zu und sagte, wie sehr ich mich freute, sie kennen zu lernen.
Dann wurde ich ins (blitzsaubere) Wohnzimmer geführt, wo rechts und links an der Wand jeweils ein langes altrosafarbenes Sofa stand, gegenüber ein riesiger aufgehängter Fernseher mit einem niedrigen weißen Schränkchen darunter und zur Fensterseite hin gab es noch einen Esstisch mit einer weit weit auf die weißen Lederstühle herabhängenden Spitzendecke.
Sofort fiel mir die enorme Hitze auf, die überall herrschte, für mich viel zu überheizt und nach den Monaten des Frierens natürlich ein regelrechter Wärmeschock für mich. 😮
Auf das eine der Sofas sollte ich mich setzen, er selbst nahm mit Frau und Kind schräg gegenüber Platz und da es keinerlei Couchtische gab, war das für mich etwas gewöhnungsbedürftig, arg steif fühlte es sich an und erinnerte mich an Prüfungssituationen, so mit nichts vor mir als Leere.
Zum Glück kann ich solche Situationen, die mich leicht verunsichern, mit meiner meist ziemlich lockeren Art ganz gut überspielen und so entspann sich bald ein munteres Gespräch, in das ich versuchte auch Frau M. mit einzubeziehen.
Auf Englisch probierte ich es, stieß aber auf ein bedauerndes Schulterzucken, nein, das beherrsche sie leider nicht.
Woraufhin wir dann auch gleich beim Thema Schulunterricht landeten, denn die beiden hatten durchaus das Fach Englisch in der Schule, aber genau wie es mir schon in Thailand auffiel, kommt nicht viel dabei heraus.
M. erklärte mir dann den Grund dafür, denn sie lernen dort Fremdsprachen ähnlich, wie es bei mir in Latein lief, d.h. man beschränkt sich auf Grammatik und Vokabeln, aber die gesprochene Sprache wird vernachlässigt, so dass sie sie dann weder verstehen noch reden können.
Irgendwann kamen wir aufs Thema Essen, das er sich ja gewünscht hatte.
Er holte sich Zettel und Stift, wir wechselten an den Esstisch und nun begann er mich zu löchern, welche Ausdrücke man im Lokal benutzt.
Rufe ich "Herr Kellner" und was sagt man, wenn Salz fehlt usw.
Manche Frage brachte mich ganz schön ins Grübeln, denn tatsächlich denkt man als Muttersprachler ja über viele Ausdrücke nie wirklich nach, z.B. ob man besser Konjunktiv oder Indikativ benutzt ...
Zunächst hatte Frau M. mich gefragt, ob ich etwas Wasser möchte, ich hatte dankend abgelehnt, nun aber bot sie mir Tee an, außerdem habe sie eine kleine Überraschung für mich vorbeitetet.
Hui, was dann kam, verblüffte mich wirklich, denn zunächst trug sie für M. und mich jeweils ein kleines Tablett mit Tee und einem Glas Wasser herbei, dann folgte für jeden von uns ein reich beladener Teller.
Drei Börek-Rollen lagen darauf und außerdem ein riesiges Stück dunkler und mit Creme gefüllter Torte.
Hui, viel zu viel für mich, erst recht um diese frühe Uhrzeit, aber immerhin ein Börek packte ich und den Kuchen eh. *g*
Was mir im Nachhinein auffällt, ist, dass sie uns bediente, sich auch zeitweilig zu uns an den Tisch setzte, ohne jedoch selbst irgendetwas zu konsumieren.
Gehört das zum traditionellen Rollenverständnis, dass Frauen und Männer getrennt voneinander essen, und wie passte dann ich in dieses Bild, wo ich doch auch weiblich bin?
Da gibt es noch viel zu erforschen und es war nicht zu übersehen, wie groß unser gegenseitiges Interesse an der Kultur des anderen war, immer wieder tauschten wir uns darüber aus und erzählten aus der eigenen Familie.
Ihm sei aufgefallen, dass die Menschen in Deutschland sehr wenig Kinder hätten, meinte er und ich gab - hihi - ziemlich ungerührt zurück:
"Das ist auch sehr gut so, es gibt 8 Milliarden Menschen auf der Welt, das ist mehr als genug!" 😁
Ich merkte, dass SIE unserem Gespräch interessiert folgte und offenbar auch einiges davon zumindest ansatzweise mitbekam, z.B. horchte sie deutlich und begeistert auf, als das Wort "Archäologie" fiel, und auch jetzt nickte sie mir zustimmend zu, woraufhin ER dann meinte, ja, sie hätten für sich auch beschlossen, dass sie es bei ihren zwei Kindern belassen wollten.
Die Tochter habe ich leider nicht kennen gelernt, sie war noch in der Schule, aber es beeindruckte mich, was er erzählte.
Ohne ein Wort Deutsch war sie in die erste Klasse gekommen, gilt nun in der zweiten bereits als Klassenbeste und möchte gern einmal Kinderärztin werden.
Wow! Und wirklich begeistert war ich auch davon, dass er für später den Besuch einer Gesamtschule für sie ausschließt, weil er das örtliche Gymnasiun für wesentlich besser hält.
Womit er absolut recht hat!
Finde ich klasse und da merkt man halt einfach, wenn jemand von Haus aus schon Bildung mitbringt.
Was wir noch alles thematisch umrissen, kann ich hier gar nicht alles aufzählen, aber wichtig war vielleicht, dass wir auch noch auf Religion zu sprechen kamen.
Was denn der Unterschied zwischen katholisch und evangelisch sei, wollte er wissen - du liebe Zeit, da fragte er ja die Richtige. 😂🤣😂
Natürlich gab ich ihm aber Auskunft, doch als er dann wissen wolle, welcher Richtung ich zuneige, musste ich ihn etwas ernüchtern, da ich ja mit keiner Religion etwas am Hut habe.
"Atheist?", wollte er wissen, ich bejahte, führte aber auch gleich aus, dass das nicht auf etwaiger Gleichgültigkeit beruhtl, sondern damit zu tun hat, dass ich mich über viele Jahre intensiv damit auseinandergesetzt habe.
Mir war durchaus bewusst, dass ich mir damit seine Verachtung zuziehen könnte - ungläubig, das geht ja gar nicht, aber .. .er schluckte "die Pille", nahm es so hin und ich vermute mal, dass wir uns darüber noch öfter austauschen werden.
Dann fiel mir noch dieser, hm, offenbar leichte Konflikt in Bezug auf Frauen auf, denn er berichtete, wie großartig in ihrer Heimat immer für sehr viele Menschen aufgetischt wird, die ständig zu Besuch kommen, und ja, auch seine Frau könne hervorragend kochen, aber ... Apothekerin sei sie trotzdem.
So, als müsse das ein Widerspruch sein, der mir aber in Zusammenhang mit dem traditionellen Frauenbild, wie es in ihrer Heimat gepflegt wird, durchaus einleuchtet.
Dann gab es noch etwas zum Schmunzeln, denn mir fiel auf, dass alle beide mir ständig guten Appetit wünschten, selbst noch, als ich längst mein Besteck weggelegt hatte.
An sich wünsche man sich dies vor dem Essen, erklärte ich, weil es ja hinterher kaum noch einen Sinn ergeben würde, und nun begann er zu lachen und meinte, da hätte ich völlig recht, aber in der Türkei sei es üblich, sich die ganze Zeit und auch hinterher noch einen guten Appetit zu wünschen.
Wirklich Sinn mache das ja nicht, stellte er grinsend und selbstkritisch fest und seitdem hat sich dieses "guten Appetit" zwischen uns zu einer Art geflügeltem Wort entwickelt, selbst über WhatsApp schrieben wir es uns schon mehrmals mit Grinsesmiley. 😂
Ich denke, alles in allem haben wir damit eine richtig gute Basis gefunden, gegenseitig haben wir viel Interesse an Kultur und Lebensumständen des anderen und wenn dann noch die Fähigkeit hinzukommt, Dinge mit Humor betrachten zu können, klingt das eigentlich ideal, oder?
Es hat mir jedenfalls großen Spaß gemacht, das nächste Treffen ist für Mittwoch angesetzt und zum Schluss bekam ich noch ein Schmankerl, als wir nämlich aufs Thema Alter zu sprechen kamen.
Nein, meines erschiene ihm unpassend, meinte er, sähe ich doch deutlich jünger aus.
Das wirkte so gar nicht nach morgenländischer, blumiger Übertreibung, sondern kam absolut ehrlich und spontan und ... ha, wer hört so etwas dann nicht gerne? 😀
Am Abend gab es dann noch Neues aus der Nachbarschaft, denn offenbar hat sich U.s nun ja leider Ex-Mann nach dem Tod der Schäferhündin Bailey, die wir kürzlich alle gemeinsam betrauerten, einen neuen Hund angeschafft, wieder groß und schwarz.
Mehr weiß ich noch nicht und mal sehen, vielleicht gehe ich heut Abend mal rüber in die Partyhütte, um mehr zu erfahren, denn das interessiert mich natürlich brennend. 😊
Erst mal muss ich nun eh losflitzen zum Einkaufen, nachdem ich in der Früh um fünfe schon einen großen Topf mit Spaghettisoße gekocht habe, so dass nachher nur noch die Nudeln gemacht werden müssen.
Lasst es euch gutgehen heute und ... bleibt bitte gesund! 😀