Dienstag, 31. Dezember 2024

Wie hieß er denn bloß richtig?

 Gerade versuchen F. und ich uns daran zu erinnern, wie der richtige Name vom "Doc" denn wohl lautete, wobei ich mir aber gar nicht sicher bin, ob wir den jemals wussten, weil alle Welt ihn nur "Doc" nannte, denn im Hauptberuf war er Rettungssanitäter.

Nebenher kellnerte er in unserer urgemütlichen Stammkneipe und noch nebenherer war er stockschwul. 😁

Als ich die Tage mit meinem Bruder telefonierte, kamen wir auf dieses Thema zu sprechen - er sieht es wie ich, dass wir nämlich in den Siebzigern und Achtzigern so viel weiter waren als die heutige Gesellschaft.

Das Wort "queer" war noch nicht erfunden und Regenbogenfahnen wurden in erster Linie von Schwulen- oder Lesbenkneipen benutzt, um sich  nach außen hin auf den ersten Blick kenntlich zu machen. 

Mehr war gar nicht nötig, keiner musste uns ständig erklären, dass Homosexualität etwas "völlig Normales" oder sogar Erstrebenswertes sein, wie es meine Nichten in der Schule vermittelt bekamen, und niemand forderte von uns, unsere Sprache zu ändern, damit sich auch wirklich jeder Einzelne in seinen speziellen Eigenarten mit angesprochen fühlte. Für uns standen Geschlecht und Sexualität bei Weitem nicht so im Mittelpunkt, wie man das heute gerne hätte, sondern wir sahen in erster Linie den Menschen und seinen Charakter.

War beides in Ordnung, war es uns piepegal, wem seine Vorlieben beim Vögeln galten. 😁

Für mich war es in mancher Hinsicht von Vorteil, dass ich die 12. Klasse freiwillig wiederholte, denn nicht nur kam ich dadurch in den Genuss, mit dem Russischkurs zweimal auf Studienreise in die UDSSR gehen zu dürfen, sondern ich konnte auch zweimal ein Berufspraktikum machen.

Als ich im letzten Jahr beim Schuljubiläum war, staunten die nicht schlecht, dass wir damals Praktikum bei der Kripo machen konnten - heute wohl schon aus Sicherheitsgründen undenkbar, aber ich hatte gleich zwei Mal das Vergnügen, und das war es wirklich.

Besonders beim zweiten, denn A. und ich - wir waren unzertrennlich und machten in dieser Zeit wirklich alles zusammen - rissen zwar zwei Wochen lang brav unseren Tagesdienst im Polizeipräsidium ab, aber wir hatten dort auch die jungen Beamten einer Soko kennen (und teilweise auch lieben) gelernt, die nachts durch Bars und Diskos zogen, immer Serientätern auf der Spur.

Kurzerhand ließen sie uns mitmachen, d.h. nach der Tagschicht stiegen wir in ihren Wagen und klapperten die diversen Etablissements ab - hihi, heute müsste man das "divers" wohl wörtlich nehmen, denn dadurch lernte ich die einschlägigen Homosexuellen-Läden in der Innenstadt kennen.

Was dazu führte, dass ich sogar an meinem 20. Geburtstag in einem davon landete. Ich hatte mich gerade von meinem Freud getrennt, irgendwie ergab es sich, dass ich ganz alleine unterwegs war und schließlich endete meine Tour dort, wo ich den Bruder eines guten Freundes hinter der Theke wusste, in Frauenklamotten natürlich. 😁

Ein grandioser Restabend wurde es und auch später hatte ich mit dem "Doc" immer sehr viel Spaß.

Bei "Let's Dance" muss ich mitunter grinsen, wenn sie sich bemühen besonders politisch korrekt zu erscheinen und deshalb heute vielleicht gewagt wirkenden Geschlechtskombinationen zusammenstellen, denn bereits 1986 schwebte ich auf größeren Veranstaltungen mit dem Doc, der ehemaliger Turniertänzer war, übers Parkett, ich ganz normal als ich, also als Frau, die ich ja nun einmal bin, und er als aufgetakelte Tussi, was sein heftiges Schielen und die Schrägstellung seiner Zähne kein bisschen abmildern konnte.

Sah das seltsam aus? 

Vermutlich schon, aber ... mir war es völlig wurscht, und den anderen um uns herum offenbar auch, denn kein Hahn krähte danach und wenn wir die Blicke auf uns zogen, dann wohl nur, weil er wirklich hervorragend tanzte und ich zu der Zeit auch nicht ganz schlecht war in dieser Materie. 😀

Dass ich gerade so viel an ihn denken muss, liegt an Silvester, denn wenn wir diesen Abend mal in Stuttgart und damit in unserer Stammkneipe statt bei meinen Eltern verbrachten, gehörte seine Travestieshow unbedingt dazu.

Unser "Stüble" wurde zu mindestens 99% von Heteros besucht, aber alle vergnügten sie sich vortrefflich mit "Docs" Auftritten - so war es damals, und das ganz ohne Gendern und Sprachverstümmelungen. 😊

Und nach diesem kleinen Ausflug in eine meist sehr umtriebige Vergangenheit muss ich nun zurück in die deutlich tristere Realität, auf die mich gestern auch meine Lieblingskassiererin bei TEDI stupste, als sie mich fragte, ob Weihnachten für uns toll und mit viel Familie verlaufen sei.

"Eher nicht", sagte ich, "mein Mann ist pflegebedürftig und außer uns beiden war keiner da", und nun sah sie mich verstehend an.

Es ist die, die vor einiger Zeit anfing mich einfach zu duzen, nachdem wir immer mal wieder einige persönliche Sätze austauschten. Sie tägt Kopftuch und endlich erkundigte ich mich nun, woher sie denn eigentlich stammt.

"Aus Palästina", erwiderte sie und erzählte, dass sie und ihr Mann ebenfalls ganz alleine sind, seit sie vor fünf Jahren herkamen.

Ohhhh, dabei musste ich an eine Begebenheit zurückdenken, die sicherlich 30 Jahre zurückliegt. F. war zum Zertrümmern von Nierensteinen im KH und teilte sich das Zimmer mit einem sehr jungen Mann.

Ihm hatte ich die gleiche Frage gestellt, auch er antwortete mit "Palästina" und ich, politisch unbedarft, wie ich damals noch war, gab ziemlich unbedacht zurück: "Ach so, dann also aus Israel?"

Heute würde ich das so nicht mehr sagen, denn es ist wohl eine Frage des Standpunktes, ob man Palästina als Staat als existent betrachtet oder nicht, und gerade jetzt könnte man sich sehr den Mund verbrennen mit einer solchen Äußerung.

Für sie muss es sehr schwer sein, über die Medien mitzubekommen, was in ihrer Heimat abgeht, und was mir auffällt, ist, um wie viel besser sie bereits Deutsch sprich als A., obwohl diese schon länger hier ist.

Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, ja, sie habe von Anfang an gearbeitet, nur dort würde man die Sprache wirklich lernen, denn die Kurse hätten nicht viel gebracht.

Genau die Erfahrung mache ich mit A. ja auch, der gravierende Unterschied liegt im Arbeiten und natürlich darin, dass die türkische Community hier derartig groß ist, dass sie so gut wie gar nicht in Kontakt zu Deutschen kommt.

So, jetzt will ich mal sehen, wie ich meinen Mann geschrubbt bekomme. Ob es heute vielleicht klappen wird, dass er über den Rand der Badewanne bis auf den Hocker steigen kann?

Und dann mal sehen, wie mein "Schlesischer Kartoffelsalat" bei ihm ankommt, der nun über Nacht durchgezogen hat.

Gestern gab ich ihm ein erstes Häppchen zum Probieren, zunächst ging ein Strahlen über sein Gesicht, ja, der käme aber wirklich nahe ran, aber dann - natürlich, wie denn auch sonst? 🙄 - suchte und fand er doch noch etwas zum Mäkeln, denn der Salat bei ihm daheim sei doch irgendwie trockener und dadurch würziger gewesen. 

Tzäääääää... 😏

Der Abend, seufz, viel anderes als Musikprogramme sehe ich in der TV-Zeitschrift nicht, und ausgerechnet darauf habe ich wenig Lust. Was soll ich mir denn ansehen, wie andere lustig feiern, während wir hier zu zweit herumhocken? 

Na ja, irgendwas wird sich schon finden lassen und morgen ist der Spuk ja zum Glück vorüber.


Rutscht gut in eine friedliches Neues Jahr und ... bleibt bitte gesund! 😉





6 Kommentare:

  1. Da hast du wohl die rosarote Brille aufgesetzt für die Zeit der 1970er und 1980er Jahre. Wäre die Einstellung gegenüber Homosexuellen so locker gewesen wie du schreibst, dann hätten Homosexuelle ihre Neigung nicht so sehr verstecken müssen und so viel Angst haben müssen, sich zu outen wie Hape Kerkeling kürzlich in einem Interview gesagt hat. Und was wäre mit den Leuten in den Unternehmen passiert, die sich als homosexuell geoutet hätten. Wäre es den Kollegen piepegal gewesen, wem ihre Vorlieben beim Vögeln galten? Oder wären die Homosexuellen entlassen worden, die Kollegen hätten sie gedemütigt oder verprügelt? Und natürlich soll man das Kindern schon in der Schule vermitteln, dass Homosexualität etwas völlig Normales ist. Wie sollte man es denn sonst machen? In dem Alter kann man da noch so einige bewirken.

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    1. Ich erzählte das, was ich erlebte und wahrnahm, was in ganz ähnlicher Form ja auch für meinen Bruder galt. In dem Umfeld, in dem wir uns bewegten, lief es halt so. Übrigens auch in den Firmen, in denen ich arbeitete, dort machte man ebenfalls kein Aufhebens darum ...
      Das Wort "normal" müsste man im Grunde erst mal definieren, denn wie ist es gemeint?
      Im Sinne von "die Norm", "das Gängige" ...?
      Was mich halt stört, ist dieses ständige Daraufhinweisen, so als würde ich einen Obstteller auf den Tisch stellen und dann immer wieder ausdrücklich dazusagen, dass nicht nur Äpfel, Bananen und Kirschen, sondern auch die Birnen zum Obst zählen, ganz "normales" Obst seien. (Womit ich dann eher die Unterschiede betone, und das halte ich für kontraproduktiv.)
      Grundsätzlich ist mir aber natürlich bewusst, dass Homosexualität früher unter Strafe stand und die Betroffenen nicht nur deswegen oft große Probleme hatten, dazu zu stehen.
      Wobei es bei Promis aber sicher vor allem auch um Geld ging, denn wenn man einen Manager oder eine Plattenfirma hat, die einen als Mädelsschwarm anpreist, dann ist so ein Outing natürlich nicht unbedingt förderlich fürs Geschäft.

      Ansonsten ..., auch dir einen guten Rutsch, du Netter! ;-)

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  2. Ich wünsche euch von ganzem Herzen einen guten Rutasch ins Jahr 2025.

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    1. Danke schön, das Gleiche wünsche ich dir auch: Rutsche hinein in ein gutes, gesundes und freundliches Neues Jahr! 🍀🍀🍀

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  3. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“

    Alles über den „Doc“ hat mich echt zum Schmunzeln gebracht, was für eine sensationelle wunderbare Erinnerung! Deine Erzählung aus den 70ern und 80ern ist faszinierend, denn du hast Recht, damals war offebenbar in Gewissen Umfeld - das Ganze viel entspannter – Meiner Meinung sogar bis vor einigen Jahren?

    Ohne ständige Diskussionen über Gender und sexuelle Orientierung.

    Was du über die Zeit bei der Kripo erzählst, ist spannend – diese Einblicke in die Arbeit der Polizei hätten sicher auch heute ihren Reiz.

    Und dann noch deine Erlebnisse mit dem "Doc" und der Travestieshow.

    Ich hoffe, „F“ kann sich bald wieder etwas besser bewegen.



    Liebe - ich wünsche euch einen schönen und ruhigen Jahreswechsel und viel Kraft für das neue Jahr - Grüße

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    1. Genau, lieber lifeminder, vieles war deutlich entspannter, denn es gab diejenigen noch nicht, die anderen ständig einreden, dass sie zu vermeintlichen Randgruppen gehören und sich von allem Möglichen erheblich diskriminiert fühlen müssen.
      Wobei ich allerdings trotz aller Schwierigkeiten mit meiner Mutter auch das große Glück hatte, nicht in ein Umfeld hineingeboren zu werden, dass einen mit seiner Spießigkeit erdrückte, denn das gab es natürlich auch und in einigen Fällen hätte vermutlich nicht mal der humanistische Geist, der auf unserer Schule herrschte, geholfen. ;-)
      Ich empfand diese Zeit als ungeheuer locker, wir disktuierten uns die Seelen aus dem Leib, saßen ständig bei Tee, Räucherstäbchen und Kerzen oder auch beim Bier beisammen und quatschen, auch für Konfirmandenunterricht und die vielen Klassenfahrten galt das.
      Wir lernten es wirklich, uns mit den Dingen auseinanderzusetzen, alles kritisch zu hinterfragen, durften dabei aber reden, wie uns der Schnabel gewachsen war, und ... es gab sehr viel mehr Humor, weil man ja nicht ständig Angst haben musste, mit dem falschen Satz irgendwem auf die hochempfindlichen Füße getreten zu sein.
      Die Praktika bei der Kripo waren wirklich einzigartig und ich überlegte sogar eine ganze Zeit ernsthaft dort anzufangen.
      Hach jaaa... :-))

      Liebe Ein-gutes-Neues-wünsche-Grüße zurück! :-))

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