Dienstag, 24. Dezember 2024

Ich glaube, im alten Blog ...

... hatte ich sie schon einmal gezeigt, aber das ist lange her und um diesen hier zu vervollständigen und weil sie heute sowieso auch von einem Bekannten im Radio vorgetragen wird, hier meine Weihnachtsgeschichte, die uns alle an die erinnern mag, denen es heute nicht so gut geht:

Kälte

Hmm, das roch gut! Gierig leckte er sich über die Nase und näherte sich vorsichtig dem offen stehenden Fenster. Normalerweise hätte ihm der Pawlowsche  Reflex jetzt das Wasser in dicken Tropfen zwischen die Lefzen getrieben, aber da gab es nichts mehr zu treiben. Zu ausgetrocknet war sein magerer Körper, denn es war kalt, bitter kalt, und alle Pfützen und Lachen zugefroren. Er hatte versucht, ein wenig Schnee zu schlecken, aber das hatte ihm nicht gut getan, er hatte Krämpfe davon bekommen und Durchfall.

Nun musste er unbedingt etwas Fressbares finden. Seit Tagen war sein Magen leer, abgesehen von einem abgenagten Apfelkitsch, der neben einer Mülltonne gelegen hatte. Die Stadt war sauber, zu sauber, wie sein Mensch oftmals befunden hatte, wenn er sein Geschäft in irgendeiner Ecke erledigt hatte und Benno, sein Mensch, dafür von anderen Menschen beschimpft wurde. Ihnen war es egal, dass Benno alt war, uralt, und dass er mit seinen kaputten Knochen den weiten Weg bis zum Park nicht mehr schaffte.

„Weißt du, Rex“, hatte er dann zu ihm gesagt, „man darf ihnen nicht böse sein. Sie sind jung, viel zu jung, um den Krieg und all die schrecklichen Folgen zu kennen. Sie können nicht wissen, wie es ist, lebendig, aber mit zerschundenen Knochen heimzukehren, sein Leben lang Schmerzen zu haben. Sie kennen es einfach nicht...“

Rex hatte verstanden, was er meinte, wurde er doch selbst vom Rheuma geplagt. Doch nun war Benno nicht mehr bei ihm, er war einfach nicht mehr aufgewacht, und nachdem er tagelang vor seinem Bett gelegen und ihm immer wieder das Gesicht geleckt hatte, waren sie gekommen und hatten mit lautem Krachen die Tür aufgebrochen. Am ganzen Körper bebend hatte er sich in seinem Schrecken den kürzesten Weg nach draußen gesucht – nur weg hier – und war in die dunkle Nacht eingetaucht. Sie hatten ihn gar nicht bemerkt, und auch jetzt hoffte er, unbemerkt zu bleiben, als er näher an das Fenster heranschlich. Verdammt, die dampfenden Plätzchen auf dem Fensterbrett dufteten so verführerisch, dass er sich ein sehnsüchtiges Winseln nicht verkneifen konnte. Prompt öffnete sich mit einem leisen Knarren die Hintertür des Hauses. Eine dicke Frau erschien im Lichtkegel, die ihn in ihrer Kittelschürze an Martha, seine Menschin, erinnerte. Er hätte jetzt gern mit dem Schwanz gewedelt, aber sie hatten ihm nur einen Stummel gelassen, und so wackelte ersatzweise sein ganzes Hinterteil hin und her, um die Frau zu begrüßen. Doch sie schien sich nicht über seinen Anblick zu freuen, etwas kam geflogen, traf ihn an der Pfote, dass er aufjaulte.

„Dreckiger Straßenköter, dreckiger, machst du, dass fortkommst!“ Der Schwall Eiswasser, der folgte, durchnässte sein nur noch kümmerlich vorhandenes, stumpfes Fell bis auf die Haut.

- 2 -

Das war wohl nichts. Sein instinktives Schütteln fiel so kraftlos aus, dass nur drei, vier Tropfen zur Seite spritzten, den Rest des Wassers trug er mit sich zur Straße, die Ohren hängend und das verletzte Bein ängstlich hochgezogen.

Nein, königlich war dieses Leben wahrhaftig nicht mehr. Was mussten sie ihn auch ausgerechnet Rex nennen? Als Benno ihn aus dem Tierheim geholt hatte, stellte er ihn Martha als Rex vor, und sie hatte laut gelacht.

„Benno,“ mein lieber Mann, „was soll denn das? Schau ihn dir doch einmal genau an. Das ist die wüsteste Promenadenmischung, die mir je untergekommen ist. Den kannst du Terry nennen oder Strolch, meinetwegen auch Wuffy, aber doch nicht Rex... Was sollen denn die Leute sagen?“

„Ist mir doch piepegal“, hatte Bruno geantwortet. „Rex, das heißt König, und genauso gut soll es das Tierchen von jetzt an haben. Wer weiß, was er früher erlebt hat. Und die Leute... weißt du, Martha, die Leute werden bestimmt beeindruckt sein. Stell dir doch nur einmal vor, ich bin mit dem Hund im Park, ich auf dem Weg, der Hund strolcht durch das Gebüsch, und dann will uns einer was. Ich stoße einen Pfiff aus und rufe: `Rex, fass`, und schon ist der Ganove weg...“

„Jou“, grinste Martha, „und mit ihm seine ganze Bande. Für alle Zeiten weg aus der Stadt. `Benno und Rex, die Helden`, wird es heißen.“

Sie hatten sich noch lange darüber amüsiert, doch von da an war der Name kein Thema mehr zwischen ihnen gewesen.

Was war das für ein Leben damals, bis, na ja, bis Martha sie verlassen hatte, aber auch danach war es noch schön, das Fressen vielleicht nicht mehr ganz so lecker, aber sie hatten fest zusammengehalten und alles, was kam, gemeinsam durchgestanden. Doch nun war auch Benno fort.

Was sollte er nur machen jetzt, so alleine? Vielleicht der Park? Im Sommer hatten die Menschen dort Tauben gefüttert, und wenn er sich vorwitzig eine der Brotkrumen schnappte, dann hatte Benno geschimpft.

Das war es, er musste den Park wiederfinden. Doch die Stadt war groß, fast alles roch bei der Kälte viel weniger intensiv als sonst.

Auf und ab trottete er durch die hohen, leeren Häuserschluchten, hinkte hin und humpelte her, sah dabei immer wieder sehnsüchtig zu den warm erleuchteten Fenstern hoch. Drinnen hörte er die Menschen singen: „Ihr Kinderlein, kommet“....

 

- 3 -

Da, eine Markierung. Hier teilte ein anderer Hund mit, dass er heute im Park ein Loch gebuddelt habe und dass die anderen Hunde Respekt vor seiner Leistung bezeugt hätten.

Die Richtung stimmte also. Nun aber hurtig. So schnell das auf drei Beinen möglich war, trippelte er weiter, und endlich... der Park. Ganz weit hinten, am Teich, leuchtete ein riesiger Tannenbaum und zog ihn an wie ein Magnet. Wo Licht war, musste es auch warm sein, doch au wei, auf der Bank vor dem Baum, da saß jemand, ein Mann. Vorsicht, nicht dass er wieder einen Tritt kassierte wie von dem Mann, den er heute Morgen anzubetteln versucht hatte.

Doch dieser hier schien in Ordnung zu sein, schien sich sogar zu freuen, als er ihn entdeckte.

„Na, mein Kleiner“, brummte er mit heiserer Stimme, „wo kommst du denn so plötzlich her? Will dich auch keiner mehr haben? Bist wohl auch durchs Raster gefallen, was? Wirst bestimmt Hunger haben und Durst, na komm mal her.“

Er begann, Rex erstaunlich zart den Kopf zu kraulen, und holte mit der anderen Hand ein sorgfältig in Zeitung gewickeltes Päckchen aus einer alten Plastiktüte.

„Weißt du was, min Lütten, wir beiden werden jetzt fürstlich speisen.“

Er riss ein gutes Stück von dem Brot ab, hielt es Rex vor die Nase und der verschlang es gierig. Hatte er je etwas Besseres gefressen?

Zum Runterspülen teilten sie sich eine Flasche Bier. Hui, wie die Lichter am Baum auf einmal funkelten, und wärmer wurde es auch.

„Ist das nun das Bier oder wird es wirklich wärmer? Wäre ja schön“, murmelte der Mann in seinen Zottelbart, dann öffnete er seine grob geflickte Jacke und sagte: „Na komm, mein Lütt, hüpf man rein in die gute Stube, der alte Hauke wird dich wärmen.“

Und wirklich, es war kuschelig, und er roch auch so gut, dieser Mann, fast wie Benno, bevor sie gekommen waren. Was wollte ein Hund mehr?

Rex streckte sich wohlig und gähnte schläfrig. Die ersten Schneeflocken, die sanft zu tanzen begannen und sie wie ein Mantel einhüllten, bemerkte er nicht mehr.

Am nächsten Tag verlas der Nachrichtensprecher des Lokalradios eine kurze Meldung:

"Heute, am frühen Morgen, wurden im Stadtpark die leblosen Körper eines Obdachlosen und seines Hundes entdeckt. Die beiden waren in der Heiligen Nacht erfroren. Das Wetter....“

 

 

 

 

                                                                                 Von "Rex-Mama, 19.11.2003

 

                                                 ... und bleibt bitte gesund! 😉     

 

PS: Dass ich den Hund damals Rex nannte, war ein purer Zufall, denn es sollte ja noch neun Jahre dauern, bis unser heutiger Rex überhaupt geboren wurde.
 

2 Kommentare:

  1. Hallo, liebe „Rex-Mama“!

    Ich glaube, „Kälte“ hatte ich bisher noch nicht gelesen?

    Wie du es schaffst, die Perspektive von Rex so einfühlsam darzustellen, finde ich einfach beeindruckend.
    Man fühlt förmlich die Kälte, die Einsamkeit, aber auch die tröstliche Wärme, die am Ende durchscheint.

    Gerade an Weihnachten erinnert deine Geschichte uns daran, wie viele Menschen und Tiere es nicht so gut haben. Es ist ganz stark, wie du das mit deinen Worten vermittelst.

    Ein Stück von dieser besonderen Wärme und Zuneigung wünsche ich allen, die sie brauchen.



    Liebe Grüße und euch einen wunderbaren Heiligen Abend, voller Wärme und Herzlichkeit
    Vom lifeminder

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke, lieber lifeminder, auch wenn ich selber es gar nicht als tröstliche Wärme empfinde, wenn am Ende zwei Lebewesen - von allen vergessen - in der Kälte erfrieren und das dem Nachrichtensprecher nicht mehr wert ist als eine kurze Meldung, bevor man zur Tagesordnung übergeht. ;-)

      Liebe Warme-Herzlichkeitsgrüße zurück und Frohe Weihnachten dir! 😘

      Löschen