Dienstag, 17. Dezember 2024

Manchmal kann es an einem einzigen Satz liegen ...

 Bei meiner Mutter war es: "Dann mach es doch endlich ...!"

So lange ich denken konnte, hatte sie die ganze Familie mit ihrer Art des Bestrafens gepiesackt. Verhielt sich jemand nicht so, wie sie sich das vorstellte, wurde sie zur Strafe krank oder drohte sich umzubringen, je nach Schwere des Vergehens.

Die ganz harten Szenen bekamen meine beiden jüngeren Geschwister, wenn überhaupt, wohl nur am Rande mit, aber Papa und ich gerieten immer mitten in den Strudel, dem er absolut nichts entgegenzusetzen wusste, hatte sich seine eigene Mutter doch tatsächlich umgebracht, d.h. er wusste, die labern nicht nur, die machen das wirklich ... 

Beim ersten Mal, als ich einen solchen Ausgang erfolgreich verhinderte, war ich gerade 7 Jahre alt, begriff mehr intuitiv, dass ich handeln musste, als dass ich wirklich verstanden hätte, worum es ging, und das letzte Mal geschah es, als ich schon über Mitte 40 war.

Schon seit Wochen zog sich das Theater zwischen meinen Eltern hin, Auslöser war eine absolute Kleinigkeit gewesen, in die sich Muttern aber immer mehr hineinsteigerte, sonntags saß Papa verzweifelt bei uns am Küchentisch, versuchte Rat von mir zu bekommen, dann lief bereits der Weihnachtsmarkt, ich war hochgradig eingespannt, telefonierte trotzdem jeden Abends spät noch mit ihr, um zumindest für etwas mehr Ausgleich zu sorgen, bis mir dann der Kragen platzte, als sie wieder davon anfing, dass sie keinen anderen Weg mehr sähe ...

"Dann mach es doch endlich ...!"

Peng, das saß! Sogar durch den Alkohol hindurch war dieser Satz zu ihr vorgedrungen und offenbar hat sie ihn sich gemerkt, denn ab dem nächsten Tag herrschte Ruhe und sie hat nie wieder mit Suizid gedroht.

Mit meiner Jugendfreudin A. lief es ähnlich, d.h. das Grundmuster ist vergleichbar - man meint dieses Leben nicht ertragen zu können und flüchtet sich in Süchte, ohne zu erkennen, dass diese nur scheinbar einen Ausweg bieten, sondern im Gegenteil noch dazu beitragen, dass man immer weniger belastbar wird. 

Ich habe nicht mitgezählt, wie oft es in den wenigen Jahren, seit sie in meinem Leben wieder auftauchte, der Fall war, dass sie selbst dafür sorgte, in die Psychiatrie oder einmal auch in eine andere Abteilung eingewiesen zu werden, aber es kam ständig vor, und jedes Mal scheint sie auf ein Wunder zu hoffen, ein Knopfdruck, die richtigen (süchtig machenden) Pillen, und schon ist das ganze Leben eitel Sonnenschein?

Funktioniert natürlich nicht, und so konnte ich immer schon Gift darauf nehmen, dass sie bald das Nächste findet, in das sie sich hineinsteigern kann, einmal ist es diffuse Angst, beim nächsten Mal Schwindel, dann wieder etwas anderes, was aber immer dazu führt, dass sie nach und nach das Haus nicht mehr verlässt, bis sie irgendwann den Notarzt ruft.

Und obwohl sie es genau weiß und ich es ihr auch schon mehrmals riet, hatte sie nie ein Köfferchen bereitstehen, sondern erwartete dann immer, dass ich anrücke und sie mit Klamotten und dem Nötigstens ausstatte.

Das letzte Mal ist erst einige Wochen her, ich ahnte nicht, dass F. nur Tage später selbst auf der Intensivstation landen würde, und weil hier schon wieder ganze Bus- bzw. Bahnlinien dauerhaft ausfielen, hatte ich ihn gebeten mich eben hinzufahren.

So saß dann mein schwerstkranker Mann im Auto, während A. recht vergnügt aus dem KH ins Freie kam, um die Sachen entgegenzunehmen, und da redete ich dann auch mal Klartext, sagte ihr, dass es so auf Dauer nicht laufen kann, erinnerte sie noch einmal an den Link zu einer Selbsthilfegruppe, den ich ihr kurz vorher geschickt hatte:

"Egal, wie sehr du immer wieder auf Wunder hoffst, andere können und werden dir dein Leben nicht abnehmen! Du hast es weitgehend selber in der Hand, entweder du kommst in die Hufe und machst das Beste aus der Zeit, die wir noch haben, oder du lässt dich immer weiter reinhängen und kackst irgendwann komplett ab!

Auch mit uns könnte es wieder so schön sein wie früher, aber dazu gehören zwei. Verkriechst du dich immer wieder in dein Schneckenhaus, tja, dann musst du das machen und dir darin so richtig schön selber leidtun, nur dann bin ich raus aus der Nummer ..."

Zum Glück klappt immerhin das so gut wie in unserer Jugend, dass wir nicht großartig um den heißen Brei herumreden müssen, sondern direkt in medias res gehen können, ohne Schöntuerei und Blabla, und auch jetzt merkte ich direkt, wie das, was ich gesagt hatte, Wirkung zeigte, denn sie sagte nachdenklich:

"Du hast recht, eigentlich könnte es wirklich schön sein, jetzt, wo ich sogar bissl Geld auf dem Konto habe ..."

Hintergrund ist, dass der zweite Mann ihrer Mutter während ihres letzten KH-Aufenthaltes starb, traurig für die alte Dame, auf der anderen Seite eröffnet das aber auch ganz andere Möglichkeiten, denn dieser Mann war wohl ein ziemlicher Stinkstiefel und vermieste ihr regelmäßig das Beisammensein mit "Mama", wie auch ich sie der Einfachheit halber nenne.

Vorgestern bat ich sie, mir doch mal ein aktuelles Foto zu schicken, was sie umgehend erledigte, ein Selfie von ihr und Mama, das mich fast zu Tränen rührte.

Vor vielen Jahren - A. und ich hatten uns schon längst aus den Augen verloren - hatte ich "Mama" mal gemeinsam mit F. besucht, als wir noch von Stuttgart aus bei meinen Eltern zu Besuch waren, aber das war mein letzter Stand, d.h. ich hatte sie als Mittvierzigerin in Erinnerung und nun schaute mich eine ganz alte Dame an, schon etwas dement, aber immerhin lächelte sie so lieb in die Kamera, dass mir ganz warm ums Herz wurde, zumal ich von A. weiß, dass sie sich im Gegensatz zu vielem anderen an mich ganz genau erinnert. 🥰

"Im nächsten Jahr dann auch endlich persönlich", schrieb A. dazu, denn nun, wo es keinen Willi mehr gäbe, sei die Bahn ja frei für ein Treffen.

Was mir die nächsten Tränen in die Augen trieb, denn gerade so etwas darf ich ja nun nicht mehr, wo ich mich doch von allen Menschen fernhalten sollte, um F. zu schützen. 😢

Das Gleiche gilt für die andere A., die mir gestern Abend freudestrahlend schrieb, dass sie ihre Prüfung bestanden hat.

Wie gern würde sie das jetzt mit mir feiern, aber ... ich kann ja nicht, zumindest jetzt um diese Jahreszeit nicht. 😌

Bleibt mir nur die Freude darüber, dass ich Internet habe und damit auch umzugehen weiß, denn sonst würde man wirklich ruckzuck völlig vereinsamen ...


Und nun auf in die Küche mit mir, heute soll es Hühnerfrikassee geben mit Reis und gemischtem Salat, wovon ich hoffe, dass F. es mit gutem Appetit essen wird.


Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉


2 Kommentare:

  1. Wo ist denn mein Kommentar hin ? Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

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    1. Ja, das weiß ich auch nicht, lieber lifeminder, ich habe ihn jedenfalls nicht gesehen, hätte ich aber gerne ... ;-)

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