... als wir 1994 hierher zogen, gab es tatsächlich neun Kneipen, die wir alle innerhalb von fünf Minuten hätten erreichen können, wäre uns der Sinn danach gestanden.
Wohlgemerkt Kneipen, nicht etwa Speiselokale, es gab überall Theken, an denen die Menschen, wie hier im Ruhrgebiet üblich, saßen oder standen und ruckzuck ins Gespräch kamen.
Zwei davon waren sogar richtig schnuckelige Läden mit guter Musik und toller Atmosphäre. Da ging durchaus mehr als das normale Stammtischgeschwätz, aber leider ist das alles Schnee von gestern, denn erstens hat sich die Bevölkerung stark verändert - viele trinken aus religiösen Gründen keinen Alkohol, dann kam das Internet und zusätzlich das Rauchverbot.
Erst ging es sogar noch, denn zunächst hatte man den Wirten freigestellt, ob sie Raucher- oder Nichtraucherlokal sein wollten, und wer die räumlichen Möglichkeiten dazu hatte, baute um und teilte in zwei getrennte Bereiche auf.
So hätte alles gut sein können, wäre da nicht eine grüne Ministerin gewesen, der auch das an Repressionen noch nicht ausreichte. Sie bestand auf komplettem Rauchverbot - die Wirte hatten umsonst investiert und gingen dann eh pleite, weil nun die Gäste vollends ausblieben.
Ein etwas gehobeneres Lokal (hier im Ort, wenn auch deutlich weiter von uns weg als die erwähnten) in historischem Gebäude und mit pfiffiger Wirtin schaffte es trotzdem, zu überleben, und dann gab es noch eine Newcomerin mit ganz erstaunlicher Geschichte.
Nachdem ihre Kinder groß waren, eröffnete sie in unserer Fußgängerzone ein Spielwarengeschäft, musste sich aber nach drei Jahren eingestehen, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen war.
Das Ladenlokal befand sich unten im eigenen Haus und nun wagte sie sich, sich mutig gegen den Strom der Zeit zu stellen. Gemeinsam mit ihrem Mann (eigentlich PC-Spezialist) baute sie in mühevoller Arbeit komplett um und es entstand ein winziger Irish Pub auf nur 48 Quadratmetern, urig, heimelig, ein echter Insidertreff, zumal es auch noch oft musikalische Darbietungen gab.
Zweimal war ich mit Bekannten dort, wirklich ein megacooler Laden, die Atmosphäre so, wie man sie sich an Originalschauplätzen in Irland vorstellt.
Auch wenn wir ja gar nicht mehr ausgehen, verfolgte ich auf Facebook mit, welche Aktivitäten sie sich nun schon wieder ausgedacht hatten, noch vorgestern wurde ein kleine Session für den übernächsten Abend angekündigt, die dann aber wieder abgesagt wurde.
Mit der Nachricht, dass der Wirt leider völlig überraschend gestorben sei, einfach so, mit gerade etwas über sechzig Jahren ... 😢
Und nur Stunden später die nächste Hiobsbotschaft, auch die Wirtin des Lokales im historischen Haus ist ganz plötzlich verstorben ... 😢
Und auch in meinem persönlichen Umfeld klingt nicht alles nach eitel Sonnenschein.
Gestern fragte ich bei meiner Jugendfreundin A. über WhatsApp an, ob sie sich schon wieder in ihr Schneckenhaus zurückgezogen habe, nachdem sie ja durch den Besuch ihres Ex-on/off-Freundes aus Bayern ein wenig Auftrieb bekommen hatte.
Ja, es geht mal wieder gar nichts mehr, sie hat Angst, sich aus ihrer Wohnung zu begeben, Angst vor dem eigenen Körper, eigentlich vor allem.
Was denn ihre Ärztin dazu sage und ob sie ihre Pillen nehme, wollte ich wissen.
Sie habe ja gar keine Ärztin mehr, meinte sie, denn diese habe sich geweigert, sie weiter zu behandeln, da sei eher ein Psychologe zuständig.
Wo sie allerdings einen Termin herbekommen soll, hat sie ihr nicht verraten und nun hängt sie daheim herum, kriegt nicht einmal mehr die Körperpflege richtig auf die Reihe.
Heute früh ließ sich der Austausch ziemlich beschwerlich an, also rief ich sie an, ging fast davon aus, dass sie zu gleichgültig wäre, um den Hörer abzunehmen.
Aber sie tat es, hatte nämlich vermutet, es sei ihre Mutter.
Tja, was sagt sie?
Da ist sehr viel Selbstmitleid, sie bedauert, dass der gesamte Nicht-Sommer so an ihr vorbeilief und sie überhaupt nichts unternahm, dann fabulierte sie einige Sätze über Selbstmord.
Woraufhin ich ziemlich ungerührt sagte:
"Klar, das ist ne Möglichkeit, wenn auch die denkbar dämlichste, feige und gemein zu denen, die übrig bleiben! Und eines schwöre ich dir, mach das, und du wirst, wo immer du hinterher auch landest, mächtig an schlechtem Gewissen leiden, und wenn ich da höchstpersönlich für sorgen muss. Lustig Party feiern oder frohlocken mit Petrus, das wird nix, schmink dir das mal gleich ab!!!"
Jo, dem schloss sie sich an, zumal sie das ja eigentlich auch gar nicht wirklich wolle.
"Na siehste, also lass solche Gedanken, hör auf, dir nur selbst leid zu tun, und komm in die Pötte. Morgen ruf mal bei deiner Krankenkasse an und schildere denen, was Sache ist. Vielleicht können die dir weiterhelfen bezüglich eines Psychologen und wenn du dich alleine nicht raustraust, müsste halt eine Fahrt organisiert werden ..."
Und so weiter - lange war sie nicht bereit zu sprechen, aber immerhin war es mal ein Anfang, denn irgendetwas muss ja passieren mit ihr.
Ich fragte sie auch, warum es denn wohl jedes Mal besser würde, wenn der Ex kommt, und sie meinte, ja, dem vertraue ich eben. Nur kann der ja nicht ständig den weiten Weg herkommen und auch ich kann nicht immer springen für sie ...
Wo ich dann anknüpfte, denn außer ihm und der alten Mutter bin ich wohl ihre einzige Bezugsperson:
"Es könnte so schön sein mit uns beiden, nun, wo du wieder hier bist, aber dazu musst du halt auch mal selber in die Hufe kommen, statt nur ständig von anderen zu erwarten, dass sie dich bei jedem Quieken umdüddeln. Du brauchst Hilfe, doch um sie zu bekommen, musst du selber auch bissl mithelfen ..."
Außerdem teilte ich ihr noch - lachend und mit Augenzwinkern natürlich - mit, dass mein Fuß jederzeit bereit sein wird für diverse Arschtritte, sollte sie noch mal sogar WhatsApp verweigern, um sich in ihrem Schneckenhaus zu suhlen.
Sie lachte und gelobte Besserung, abwarten, ob sie morgen wirklich bei der Krankenkasse anruft.
Dann holte ich endlich noch den Anruf bei meiner Tante nach, zu dem ich unter der Woche nicht gekommen war.
Nein, es geht ihr leider gar nicht gut. Diese zwei Vollkarkosen haben ihr mächtig geschadet, scheint mir, so etwas steckt ein 86-jähriger Körper eben nicht mehr so leicht weg wie ein jüngerer.
Sie klang trotzdem gut, aber halt auch auf das möglicherweise nahende Ende vorbereit ... 😢
Wie gut, dass es bei so viel Leid auch noch genug Gründe zum Sichfreuen gibt.
Zum einen habe ich die verdammte Hecke gestern fertig bekommen - mit etwas Glück war's das für dieses Jahr und außerdem kann ich es nach wie vor unendlich genießen, den Wasserhahn aufzudrehen und festzustellen, dass tatsächlich etwas Warmes herauskommt. 😁
Letztes Jahr um diese Zeit schleppte ich kübelweise auf dem Herd erhitzte Töpfe durchs Haus, heute drehte ich einfach am Hahn und die Wanne füllte sich mit heißem Badewasser.
Was für ein unbeschreiblicher Luxus - herrlich!!! 😊
Unnu gehe ich F. sein Mittagessen servieren.
Habt einen schönen Sonntag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen