Pünktlich stand ich vor dem Haus und war etwas irritiert, als ein großer schwarzer Wagen vorfuhr und bei mir abbremste. Das Kopftuch konnte ich erkennen, aber wenn es A. wäre, wie sollte sie zu diesem Auto passen? 😲
Tatsächlich, sie haben ein neues, einen Plug-in-Hybrid und sie ist mächtig glücklich mit dem nun so viel geringeren Spritverbrauch.
Streckenmäßig verließ sie sich zum ersten Mal ganz auf meine Ortskenntnisse, verzichtete auf das Einschalten ihres türkischen Navys und ich fand den Weg und sogar einen Parkplatz.
Auf dem Weg zum Gemeindehaus, das nur dank des Kreuzes über dem Eingang als solches zu erkennen war, sahen wir mehrere ältere Paare sich diesem ebenfalls nähern sowie deutlich jüngere Türkinnen, alle wie A. beladen mit Platten voller liebevoll angerichteter Häppchen.
In einem Raum im Erdgeschoss wurden diese zu einem Büffet angerichtet, dann ging es hoch in den ersten Stock und hinein in eine richtige Kirche:
Der Pastor begrüßte uns mit Handschlag und schon ging der Gottesdienst los, in dem auch zwei Menschen aus A.s gülenistischem Verein zu Worte kamen - sogar einen mulimischen Gesang auf Arabisch bekamen wir zu hören und auch der Rest verlief eigentlich recht angenehm, erinnerte mich in seiner lockeren Art an die Gottesdienste, die ich in den Siebzigern erlebte, als die Welt zumindest hier noch um einiges freier war.
Die Musik lieferten abwechselnd eine Orgel und ein Mann am Flügel, ausnahmslos schöne Lieder wie z.B. "Morning has broken" in einer deutschen Version.
Sowohl Christen wie auch Muslime überschlugen sich im Bekunden, wie dankbar sie ihrem Schöpfer doch seien und dass man ihm das selbstverständlich auch ständig zeigen müsse, während ich überlegte, wie viele Menschen just in diesem Moment wohl durch grauenhafte Kriege abgeschlachtet werden mögen, und mich fragte, ob ich, wenn ich Gott denn nicht für eine Schöpfung der Menschen halten würde, diesem wohl dankbar wäre für das viele Leid, das er zulässt?
Immerhin tröstete es mich, dass das viele Obst und Gemüse, das vorn zum Erntedank angehäuft lag, hinterher zur Tafel gebracht werden sollte, nur eine Transportmöglichkeit hatten sie noch nicht aufgetan.
Dann kam etwas, das mich erst recht an die Siebziger erinnerte, denn die Anwesenden wurden aufgefordert zu agieren.
Zuvor bekamen wir das Bild eines Gebirgsbaches gezeigt und der Pastor führte aus, wie dieser sich aus ganz vielen Tropfen zusammensetzt, die am Ende vereint dazu dienen, viele Pflanzen und Tiere zu tränken.
Im Mittelgang hatte man eine Schale aufgestellt mit aus Folie ausgeschnittenen Tropfen, vorn lag auf dem Boden ein Tuch und nun sollte jeder, der sich an eine "gerechte" Begebenheit erinnerte, einen dieser Tropfen nehmen und auf das Tuch legen - auf dass sich ein Bach oder sogar ein mächtiger Strom daraus forme.
Ich selbst konnte mich an gar nichts Gerechtes erinnern, doch A. stupste mich an, fragte: "Wollen wir auch?"
Also gut, wir beteiligten uns und siehe da, auf dem Tuch bildete sich nach und nach ein Fluss heraus.
Die Symbolik dieser Aktion gefiel mir wirklich und ich begann darüber nachzudenken, welch gute Gefühle der Zusammenhalt in ihren Gemeinden und der gemeinsame Glaube sowohl Christen wie auch Muslimen wohl geben mögen, zumal sich dadurch die unterschiedlichsten Menschen jeglicher Bildung und jeglichen Alters vereint fühlen, die sich sonst vermutlich nicht ein einziges Wort zu sagen hätten.
Zum Ende hin erfuhren wir dann allerdings etwas, da mich ziemlich erschütterte, erst recht, als ich später nähere Informationen dazu einholte.
Dieses Gemeindehaus, das ich seit meiner Kindheit (von außen) kenne, weil ich dort in der Gegend einst Zeitungen austrug, ist verkauft, und zwar an einen arabischen Moscheeverein.
Der Gemeinde sterben die Leute weg, Nachwuchs findet sich kaum und sie können die Kosten für den riesigen Bau einfach nicht mehr stemmen.
So geht Stück für Stück der einstmals hier heimischen Kultur verloren, drei Kilometer weiter die Straße hinauf ist es das Gleiche - auf den Stufen der altehrwürdigen Kirche wächst längst Unkraut, nun ist alles verkauft und wird angeblich durch eine Moschee ersetzt werden.
Zum Schluss erzählte der Pastor noch eine kleine Geschichte, die verkürzt in etwa so lautete:
Ein Mann kommt in einen Laden und trifft hinter der Theke auf einen Engel.
Was er bei ihm denn kaufen könne, fragt er ihn und bekommt zur Antwort, alles, wirklich alles.
Gut, sagt der Mann, dann hätte ich gerne Weltfrieden, Gesundheit und dass die Menschen fortan nur noch lieb miteinander umgehen, doch nun unterbricht ihn der Engel und erklärt: Nein, du hast mich falsch verstanden, bei mir gibt es nichts Fertiges zu kaufen, sondern nur Samenkörner, wachsen lassen musst du sie dann selber ...
Okay, mit dieser Logik kann man Gott natürlich von jeder Schuld freisprechen daran, dass wir Menschen so viel Scheiße bauen, andererseits frage ich mich aber, warum hat er uns denn so erschaffen, dass wir dazu überhaupt fähig und willens sind???
Alles nur ein fieses kleines Experiment, so als würde ich einem Diabetiker Berge von Schokolade hinstellen und sagen, du hast es selbst in der Hand?
Nach 70 Minuten war der Gottesdienst vorüber, am Ausgang bekamen wir alle Samentütchen geschenkt - eine nette Geste, wieder sehr symbolträchtig und ich werde ja sehen, ob und was im nächsten Jahr daraus erwachsen wird.
Dann ging es zum Büffet, alles türkisch und wie immer sehr lecker.
Mit voll beladenen Tellern begaben wir uns dann in einen Saal, in dem Vierertische aufgestellt waren und auch Kaffee und andere Getränke bereitstanden.
A. zog mich gleich zu einem Tisch, an dem zwei alte Damen saßen und schon waren wir in einem munteren Gespräch mit ihnen, wobei A. mich immer wieder hilfesuchend ansah, wenn ich als "Übersetzerin" herhalten sollte.
Hihi, die eine fragte mich gleich, aus welcher Gemeinde ich denn käme, also erklärte ich, dass ich nur A. begleite und schon im Frühjahr beim Fastenbrechen dabei war, als die Freien bei den Muslimen eingeladen waren.
Fast eine Stunde lang quatschten wir mit ihnen und am Ende war ich fast froh, dass A. bei Weitem nicht alles verstand, denn was die beiden so losließen, wimmelte von Klischees.
"Ihr seid immer so schön angezogen", sagte die eine beispielsweise, alles passt so wunderbar zusammen (grins, A. trug ein langes braunes Wickelkleid, dazu lange Hosen, rosagestreifte Ringelsocken und Turnschuhe), aber das ist ja klar, wo ihr doch alles selbermacht."
"Was sollte da denn selbergemacht sein?", michste ich mich verdutzt ein.
"Na, das hier", meinte die eine (etwa 80-Jährige) und zupfte an A.s Gewand, die wiederum ratlos den Kopf schüttelte.
Es ist seltsam bzw. deckt sich ja eigentlich mit meinen Erfahrungen. Beide Frauen leben im Stadtteil meiner Kindheit, den A. schlicht als "Istanbul" bezeichnet, obwohl er sich inzwischen merklich vom Türkischen zum Arabischen zu wandeln beginnt, und es war nicht zu übersehen, dass sie sich vermutlich zum ersten Mal im Leben mit einer Türkin unterhielten.
"Ja, ist doch kein Wunder", meinte die eine dann, als wir uns über Lebensmittelläden unterhielten, "die wollen uns ja gar nicht da drin haben, da ist alles nur in anderen Sprachen beschriftet, ich könnte da gar nichts kaufen, selbst wenn ich wollte ..."
Was A. dann bestätigte, alle hier lebenden Communitys ziehen es im großen Ganzen vor, unter sich zu bleiben, und dieser gülenistische Bildungsverein bzw. besonders seine Frauen stellen wirklich eine Ausnahme dar.
Dann machten wir uns auf den Heimweg, nachdem die liebe A. mir für F. noch ein paar Kuchenstückchen eingepackt hatte, und ... griiins, unterwegs fragte sich mich doch glatt, ob ich bereit wäre, mit ihr auch mal einen katholischen Gottesdienst zu besuchen. 😅
Was ich natürlich bejahte ... 🥰
So, und nun muss ich mich mit F. auf den Weg machen zum Lungenfacharzt.
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenZu Gott nur soviel: In der Bibel wird berichtet das Gott sagt, er wer sich bei den Menschen nur selten bis zum Tage des jüngsten Gerichts einmischen und der Mensch habe seinen freien Willen.
Mit anderne Worten, nicht Gott sondern wir Menschen sind für den Mist den wir bauen auf Erden selbst verantwortlich.
Begeistert bin ich zwischen dem Zusammenspiel zwischen "A" und dir. Ihr scheint aneinander zu hängen, dass sie dich auch fragst, ob du das oder jenes möchtest zeigt unglaubliche Wertschätzung.
Schön wie du den Gottesdienst durchgestanden hast.
Insgesamt war ich mir nicht sicher, ob du nicht möglicherweise irgendwan die Flucht ergreifen würdest. - Was gottseidank nicht passiert ist. ( <-- Achtung, Wortspiel) ;)
Wirst du den erhaltenen Samen säen?
Das Büfett und die Unterhaltung zwischen "A", dir und den älteren Frauen hat was Eigenes. Wobei ich mich frage, wieso die älteren Ladys auf die Idee kommen, dass da alles an Kleidung selbstgemacht ist.
"A" scheint ja einen ganz eigenen Kleidungsstil zu haben.
Dennoch kann man wohl den Gottesdienst als Erfolg werten? - Das war insgesamt doch ein unerwartet großes miteinander?
Bleibt abschließend zu hoffen, das auch mit "F" alles gut ist und wird, die Ergebnisse beim Lungenarzt mehr als okay sind.
Liebe - Gott lenkt, der Mensch denkt - Grüße
Vom lifeminder
Jo, lieber lifeminder, genau das wollte diese Samengeschichte ja aussagen und ich kann meine Frage nur noch mal wiederholen: Wenn dieser Gott angeblich so ein gütiger und weiser ist, warum zum Teufel macht er dann so böse Experimente, statt seine Schöpfungen gleich so zu gestalten, dass sie gar nicht erst auf die Idee kommen, sich gegenseitig so grauenhaft zu quälen?
LöschenUnd warum hätte ich flüchten sollen?
Mir ist das alles ja sehr vertraut, wuchs ich doch mit gleich beiden Konfessionen auf und steckte viele Jahre mittendrin, damals recht ratlos, weil ich nicht verstand, woran es lag, dass ich nicht wie die anderen einfach glauben konnte.
Dann folgten viele Jahre intensiver Beschäftigung mit der Materie, ich rollte sie für mich von Anfang an auf, wollte nachvollziehen können, wie der Mensch zu seinen Religionen kam, und es dauerte noch einmal lange, bis sich die einstige Agnostikerin (auch wenn ich dieses Wort in meiner Jugend noch gar nicht kannte) getraute, sich als Atheistin sehen zu können.
Ein "großes Miteinander"?
Ja, genau das ist es ja, was Religionen und andere Ideologien bewirken, sie schaffen Gemeinschaftsgefühl (es geht immer um Macht durch die Menge), trennen aber gleichzeitig auch von anderen ab - das funktionierte schon in der Antike so und tut es bis heute.
Die alten Damen waren ein gutes Beispiel dafür, dass es kein Miteinander gibt, sondern man in Parallelgesellschaften lebt.
Sie wohnen in dem Stadtteil, in dem auch ich und sogar schon meine Großtanten aufwuchsen, ehemals ein Arbeiterviertel mit wirklich hervorragender Einkaufsmeile.
Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde die deutsche Bevölkerung mehr und mehr durch türkische ersetzt - inzwischen sind es allerdings die Türken, die beklagen, wo denn ihr "xxx" geblieben sei, weil nun andere Nationen überwiegen.
Die beiden hatten noch viel schlimmere Klischees und Vorurteile auf Lager, deshalb war ich ja froh, dass A. nicht alles verstand, aber das sieht auf der anderen Seite genauso aus und mit einem hatten sie recht, nämlich mit "die wollen ja gar nix mit uns zu tun haben".
A. bestätigte das - man verachtet uns als "Ungläubige" und sie und die anderen Frauen ihres Gülen-Vereines sind da eine deutliche Ausnahme, denn sie sind bereit, auf die andere Kultur zuzugehen, wobei sie als kleine Rädchen in einer immer weiter verzweigten Organisation das ganz sicher in bester Absicht tun.
Ich wage zu bezweifeln, dass sie eine Ahnung haben, worauf Gülen am Ende hinauswill, mir scheint es um die Verbreitung eines fundamentalen Islams zu gehen.
A.s Kleidungsstil, na ja, voll dem Patriarchat unterworfen halt. Lang muss es sein und weit, man darf ja nichts von ihren Umrissen erkennen können und bis auf Gesicht und Hände auch nichts von ihrer Haut sehen, geschweige denn, auch nur ein einziges Haar. Sogar ihre Stirn habe ich noch nie gesehen ...
Liebe Der-Mensch-denkt-zumindest,-dass-Gott-lenkt-Grüße zurück! :-))
... wobei die Frage aber wieder erlaubt sein muss, was das für ein Lenker ist, wenn die Fahrt mitten in Mord und Totschlag endet. ;-)
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenIch muss nochmal verweisen darauf, das Gott wollte eine Schöpfung mit freien Willen, nicht eine Schöpfung die gewissen Dinge eingeimpft bekommt. - Besonders im alten Testament zum neuen sieht man ja auch eine Weiterentwicklung von Gott. Im alten ist er noch sehr Rachsüchtig im neuen dagegen regelrecht sanft.
Ein Gott also, der sich weiterentwickelt, obwohl er doch eigentlich perfekt sein müsste?
LöschenInteressante Vorstellung ... :-)
Was den freien Willen angeht, halte ich es ja eher mit den Deterministen und bezweifle, dass es ihn so gibt, wie wir uns das idealerweise vorstellen, denn letztlich hat jede Entscheidung, die wir treffen, ihre Ursachen, ob wir sie nun alle kennen oder nicht.
Dinge eingeimpft bekommt meiner Meinung nach jeder, der einer Religion bzw. Ideologie anhängt, ist ja das Praktische daran, dass es einen teilweise des Selberdenkens entbindet. ;-)
Dieser Gott, der zuguckt, wie seine Schöpfungen sich gegenseitig abschlachten, erinnert mich übrigens sehr an Entwickler von Computerspielen, denen es ja meist auch nicht blutrünstig genug sein kann.