Samstag, 5. Oktober 2024

Momente wie diese ...

 Gerade mal die alten Fotos durchgeschaut, es war im vorletzten Frühjahr, dass ich mit dem kleinen Sohn von A. und M. auf dem Sofa mit einem Tischgerät kickerte. 

Gerade drei geworden war der kleine Mann damals, ging noch lange nicht in den Kindergarten, sprach noch kein einziges Wort Deutsch und versteckte sich immer ängstlich hinter seiner Mutter, wenn er mich, die Fremde, die so komisch redete, sah.

Nur bei diesem Spiel taute er damals für einige Minuten auf und gestern stellte ich fest, dass er sich offenbar genau daran erinnern kann, denn als ich eintrudelte, stand der Kicker wieder auf dem Sofa und A. sagte mir, dass er darauf bestanden habe, mit mir spielen zu wollen.

"Nanu, ist er zu Hause?"

"Ja", doch nicht etwa, weil er krank wäre, sondern weil der Augenarzt einen Riesenscheiß gebaut hat.

Ich hatte es im Vorfeld mitbekommen, dass bei einer Routinekontrolle irgendetwas an seinen Augen festgestellt worden war, und letzte Woche schickte mir A. ein Foto, auf dem er seine neue blaue Brille trägt.

Mit der er dann aber nicht klarkam, immer wieder habe er sich beschwert, dass er damit verschwomme sähe, erzählte A., so lange, bis sie auf die Idee kam, sich mal die Unterlagen anzuschauen.

Beim Doc waren die Werte auf dem Rezept versehentlich mit "+" statt "-" eingetragen worden und so fertigte der Optiker natürlich die falsche Brille. 🙄

Spannend ist, wer nun für die zusätzlichen Kosten aufkommen wird, Schuld hat eindeutig die Praxis, aber sie will wohl zunächst mal bei Fielmann vorsprechen und sich dort erkundigen, wie das nun laufen kann.

Wirklich unnötig, solche Scherereien, wo sie doch schon genug damit zu tun hat, ihr Pharmazie-Studium hier anerkannt zu bekommen ... 

Auf jeden Fall war der Bub also anwesend und nun geschah etwas, das mich bis jetzt noch in helles Entzücken versetzt.

Wir kickerten los und nach nur zwei Sekunden ballerte er mir das erste Tor hinein. 😁

"Püüüühh...", schimpfte ich gespielt erbost und forderte ihn dann auf: "Nun kannst du dir schon mal die Eins einstellen."

Bisher tat er meistens so, als würde er gar nicht bemerken, wenn ich mit ihm rede - offenbar war es ihm irgendwie unangenehm mit der Sprache und obwohl er inzwischen im Kindergarten längst einiges an Deutsch mitbekommen hat, schien es ihm immer peinlich zu sein und er genierte sich, auf mich zu reagieren, erst recht in meiner Sprache.

Nun aber packte er den Schieber, beförderte auf der Zahlenleiste ein Stück nach vorn, sah mich an und fragte. "Eins?"

Wowwww, das erste deutsche Wort, das ich von ihm hörte, und nun griff ich zu einem alten Trick, den ich auch bei meinen Nichten schon anwandte.

Die beiden sind ja im großen Ganzen deutschsprachig aufgewachsen, sprachen es auch mit ihrer Mutter von Anfang an, trotzdem bekamen sie aber genug Thailändisch mit, um alles zu verstehen, nur es auch zu sprechen, da hatten sie Hemmungen.

Damals kam ich von meiner Thailandreise zurück, hatte natürlich einige Ausdrücke gelernt und versuchte mein Glück nun bei den beiden mit Zahlen, die sie zunächst nicht aussprechen wollten, doch als ich sie dann (scheinbar) um Hilfe bat, wie diese und jene denn noch mal auf Thailändisch korrekt hieße, da ging es auf einmal und sie vergaßen, dass sie sich ja eigentlich schämten ... 😅

Genauso machte ich es nun mit dem Lütten, tat so, als habe ich gar nicht registiert, dass er deutsch gesprochen hatte, und um ihm den Zahn des möglicherweise sonst wieder auftretenden Peinlichkeitsgefühles gleich zu ziehen, begann ich nun auf Türkisch zu zählen:

"Bir, iki, üc ... hm, wie heißt denn noch mal die Vier?"

"Dört", krähte er, er hatte mich also verstanden und nun machte ich das Zahlenspielchen weiter, d.h. wir ballerten gegenseitig auf unsere Tore und erklärten uns dann jeweilis in beiden Sprachen, wie viele wir nun schon hatten.

Am Ende bekam er natürlich dickes Lob von mir, wie toll er das schon könne.😀

A. hatte sich im Hintergrund gehalten, nebenher den Tisch gedeckt und fragte ihn nun, ob ich mich denn jetzt meinem Kaffee widmen könne, womit er einverstanden war, nachdem er ja eh gewonnen hatte. Ganz zufällig natürlich ... 😁

"Ich habe schon M. geschrieben", flüsterte mir A. nun zu, "das war erste deutsche Wort, das ich von ihm gehört habe ..." 😮

Tatsächlich hat er sich bisher der ganzen Familie gegenüber - besonders seine große Schwester spricht ja inzwischen sehr gutes Deutsch - konstant geweigert, nicht ein einziges Wort ließ er heraus, so sehr sie es ihm auch zu entlocken versuchten, und nun tat er es ausgerechnet im Zusammenspiel mit mir ... 😍

Momente wie diese ..., so klein sie nach außen hin auch erscheinen mögen, aber genau das sind die Momente, die man sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen wird, und A. und ich waren gleichermaßen ergriffen von diesem gemeinsamen Erlebnis. 🥰

Und dann war sie selbst es, die mich gleich noch mal fast vom Hocker haute, denn nun erzählte sie, dass sie das letzte Wochenende zusammen mit zwei türkischen Freundinnen in Brüssel verbracht hat.

Ein Spontantrip sei es gewesen, M. hatte sich bereiterklärt, die Kinder zu hüten und so waren die drei einfach losgefahren - für muslimische Frauen, die in traditionellen Verhältnissen leben, wirklich beachtlich!

Hihi, sie musste selber lachen, denn die Familie der einen betreibt eine Spedition, hat es zu einigem Reichtum gebracht und nun waren sie in deren Luxuskarosse aufgebrochen.

"Leute gucken dumm", sagte sie, "wenn so teures Auto kommt und dann nur Frauen mit Kopftuch aussteigen." 🤣

Da die Gülenbewegung inzwischen weltweit über ein dichtes Netzwerk verfügt, fanden sie in Brüssel ohne Probleme eine günstige Übernachtungsmöglichkeit bei ihrer Organisation, doch vom Rest der Stadt war sie gelinde gesagt entsetzt.

"Ist Brüssel nicht Hauptstadt von Europa?", fragte sie, "doch wo ist Europa? Ich dachte immer, Duisburg wäre wie Istanbul, aber Brüssel ist ja Istanbul und Marrakesch auf einmal und alles sooo dreckig ..." 🙄

Ein paar Worte Flämisch hatte sie dann aber doch noch mitbekommen, befand diese Sprache als schrecklich hart und erfreute sich nun umso mehr am Deutschen, das sie als viel wohlklingender empfinde.

Was ich als Mutterprachlerin kaum beurteilen kann, allerdings waren wir uns einig, dass die deutsche Sprache einem sehr viel Gestaltungsspielraum lässt, auch wenn sie der reiche Wortschatz oft zum Verzweifeln bringt.

Im Türkischen gibt es offenbar gar keine Affixe, also keine Vor- oder Nachsilben, mit deren Hilfe sich der Sinn eines Wortes manchmal nur minimal, mitunter aber auch gravierend verändern lässt, sondern man nimmt für alles das gleiche Wort und muss es dann halt entsprechend erklären.

In einem Falle ging es um "teilen". Zuteilen, aufteilen, zerteilen, verteilen, mitteilen, abteilen usw.

Hihi, da musste ich wieder meine ganze Phantasie einsetzen, um ihr die Unterschiede klarzumachen, und schon waren wir mitten in der Arbeit rund um ihre vielen handgeschriebenen Blätter. 

Was macht sich diese Frau doch für eine Arbeit damit, ich kann immer wieder nur den Hut vor ihr ziehen und staune über ihre enorm sichere Rechtschreibung inkl. Zeichensetzung. Beides beherrscht sie schon sehr viel besser als so mancher Deutsche, nur am Hören und Reden hapert es, weil sie ja einfach keinen Kontakt zu Einheimischen hat.

Mit Ausnahme von mir natürlich, aber das reicht nicht aus, seit ihr Kurs morgens läuft und wir uns wesentlich seltener als zuvor treffen können. 

Im November steht schon die nächste Prüfung an, die beiden letzten Wochen davor sind unterrichtsfrei und wir sind uns einig, dass wir diese dann nutzen sollten, wobei es fraglich ist, ob sie hinterher auch den C-Kurs noch genehmigt bekommt.

Bei ihrem Mann war das kein Problem, sowohl C1 wie auch C2 durfte er machen, doch die Regelungen ändern sich ständig und bei ihr steht nun alles in den Sternen bzw. liegt in Händen der Sachbearbeiter ... 

Warten wir es also ab, wie das alles weitergeht, morgen steht jedenfalls erst einmal die Veranstaltung der evangelischen Freikirche auf dem Programm, um halb zehn wird A. mich abholen.


Und bevor es so weit ist, sollte ich mich nun schleunigst dem Tag widmen. Essen will gemacht werden und vor allem den Rasen muss ich mähen - man gönnt sich ja sonst nix. 😁


Habt einen schönen Samstag und ... bleibt bitte gesund! 😉


2 Kommentare:

  1. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Diesen Blogeintrag mit so unglaublich viel Liebe, Wärme und Anekdoten hättest du vielleicht erst an Weihnachten bloggen sollen, der hätte selbst den härten Weihnachtsmuffel in Stimmung gebracht.

    Gerade vor einigen Tagen rede ich mit Menschen die bereits die 70 Lebensjahre hinter sich gelassen hatten über Fluch und Segen der Technik von heute, sie meinte, dass je mehr Technik ihnen begegnet wäre, desto mehr Fehler wären entstanden. Manchmal würde es eben auch der Schlichte Notizettel tun, denn man einen vor die Nase legt.

    Hoffen wir das der Junior seine richtige Brille bekommt, bitte, die, die den Fehler produziert haben auch für den entstandenen Schaden aufkommen.

    Bin gerade am Überlegen, ob ich dich nicht für meine jüngste Sportgruppe als Trainerin Verpflichten sollte, du scheinst mir genau die richtige dafür,
    Toll was du dem junge entlockt hast und das ganz spielerisch und milde. Ohne Strenge und mit viel Herz.


    "A" je mehr ich von ihr lese, desto mehr schließe ich sie mit ins Herz. Eine kluge Frau. - Mir sind auch die Augen aus den Höhlen hervorgetreten, wie ich las, dass sie ohne Mann - der auf die Kinder aufpasst - nach Brüssel verreist ist.


    In den letzten 10 Tagen war ja die Fantasie von dir hinter der Hotel-Rezeption fast verschwunden in mir, nun ist sie lebendiger denn je. ;)




    Liebe - wärmende - Grüße
    Vom lifeminder


    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, watt denn nu, lieber lifeminder, Rezeption oder Trainerin? 🤣
      Aber mal im Ernst, ich glaube, das Zauberwort im Umgang mit anderen Lebewesen, egal ob Tier oder großer oder winziger Mensch, heißt Empathie.
      Erkennen, wie sich das Gegenüber wohl gerade fühlen mag und dann versuchen sich hineinzuversetzen und sich vorzustellen, wie man an seiner Stelle behandelt werden möchte, dann ergibt sich der Rest eigentlich fast von selbst.
      Das mit der Technik sehe ich genauso. Wo sie sinnvoll ist, bin ich durchaus dafür, aber die Dinge immer weiter hochzurüsten, bis man gar nichts mehr selbermachen kann und jede an sich noch so kleine zur Kostenfalle wird, das ist völliger Humbug und nur im Sinne der Wirtschaft.

      Liebe Wärme-ist-etwas-Feines-Grüße zurück! :-))

      Löschen