Mein Vater hatte ja sechs Geschwister, alle vermehrten sich mehrfach und so waren unsere Familientreffen einst regelrechte Großveranstaltungen, an denen auch Großtanten und -onkel mit ihren Nachkommen teilnahmen, außerdem sahen sich viele von uns eh regelmäßig im Schwimmclub.
Papas Zwillingsbruder betrachtete es als sein Lebenswerk, über Jahrzehnte eine Familienchronik zusammenzustellen, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, und sogar die Überreste des einstigen Rittergutes unserer Ahnen gruben die Zwilligen ja gemeinsam aus.
Auch sonst waren die beiden stets archäologisch unterwegs und bekamen irgendwann in einem feierlichen Akt vom damaligen Bundespräsidenten Rau den Rheinlandtaler für Verdienste um die Heimat verliehen.
Sie alle sind längst tot, ihre Nachkommen zunehmend in alle Winde verstreut, besonders für unseren Zweig der Familie gilt das in zunehmendem Maße und nun sitze ich hier mit den vielen teils kostbaren Erinnerungsstücken bzw. Nachweisen und habe das Problem, dass sich niemand mehr finden lässt, der sich nach mir noch dafür interessieren wird.
Es geht dabei bei Weitem nicht nur um persönliche Gefühlsduseleien, sondern um echte Zeitgeschichte, wenn z.B. der Großonkel in den Dreißigerjahren seitenlang seine arische Abstammung nachweisen musste und dabei sehr weit zurückgeht in den Generationen - hochinteressant, was die alle für Berufe hatten, oder ob die letzten Gräfinnen zu Waldeck und Pyrmont sich in einem regen Briefwechsel mit meiner Tante über die finanziellen Schwierigkeiten austauschten, in die sie nach dem Ende der Feudalzeit zunehmend gerieten, bis sie schließlich nicht einmal mehr ihr Schloss halten konnten, in dem ich als Kind ja noch zeitweise mit ihnen leben durfte.
Die von dort stammenden antiken Möbel mit den uralten kompletten Buchreihen von Goethe, Schiller, Heine, Brehms Tierleben usw., in denen sich so, wie man es heute noch macht, voller Stolz Prinzessinnen zu Sayn Wittgenstein als Besitzerinnen eintrugen, all das will gar keiner mehr haben, Schnelllebigkeit und eine Vermischung der ganzen Welt sind "in" und sollte irgendwann doch noch mal jemand auf die Idee kommen, sich mit den Wurzeln unserer Familie beschäftigen zu wollen, wird er es sehr schwer haben, weil keiner mehr da sein wird, der dazu noch etwas sagen kann, und alle Nachweise längst unter die Räder gekommen sind.
Eine wirklich bittere Vorstellung für mich, denn wie gesagt gehen mir die möglichen Erben aus.
Die Kinder meiner Schwester kommen gar nicht in Frage, haben mit solchen Dingen absolut nichts am Hut, die beiden meines Bruders werden wohl in Thailand landen und die meiner teilweise schon verstorbenen Cousins und Cousinen kenne ich nicht einmal oder eben nur sehr oberflächlich.
Ein Teil von ihnen befindet sich fest in den Fängen einer freien evangelischen Kirche, der ich natürlich nichts in den Rachen werfen möchte, und das Gleiche kommt unterm Strich bei A. heraus, über die ich diesbezüglich auch schon nachdachte.
Gestern schrieb sie mir mit einem weinenden Gesicht, dass sie sehr traurig seien über Gülens Tod, und merkte an, dass die Medien in der Türkei nun sicher wieder wochenlang darauf herumhacken würden, dass er und seine Anhänger angeblich Terroristen seien, dabei sei er doch in Wirklichkeit ein Friedensbringer wie Ghandi gewesen.
Seufz, so ist das mit Ideologien, wenn man erst mal tief drinhängt, man nimmt nur noch den gewünschten Blickwinkel ein und Kritik verbietet sich von selbst, vor allem, wenn es dann auch noch um Religion geht.
Gerade habe ich mal mit dem Copiloten dazu konferiert und er sagt Folgendes:
Langfristig strebt die Bewegung an, die Gesellschaft nach ihrem Islam- und Werteverständnis zu transformieren. Dies soll durch die Bildung und Erziehung der nächsten Generation erreicht werden2.
Politischer Einfluss: Kritiker werfen der Bewegung vor, verdeckt politischen Einfluss zu suchen und staatliche Strukturen zu unterwandern.
Eine "Goldene Generation" will man heranziehen und stürzt sich auf die Jugend, nicht anders also, als man es von Diktaturen kennt, frühe Indoktrinierung soll der Bewegung den Weg (zur Weltherrschaft) ebnen.
A. ist der Meinung, bei ihnen fände keine Indoktrinierung statt, aber ich weiß es ja aus ihren Erzählungen, wie sie und auch M. in einer WG geformt wurden, und bekomme es mit, wie sie nun ihrerseits hierzulande WGs aus dem Boden stampfen, in denen junge Neuankömmlinge aus der Türkei untergebracht und versorgt werden.
Auch das kann ich also vergessen, und immer mehr formt sich in mir ein Bild, wie hier eines Tages die Entrümpler kommen und alles im Container landen wird ...
Nicht eben eine erbauliche Vorstellung, aber es nützt nichts, nun den Kopf hängen zu lassen da gehe ich lieber ins Wasser.
Ins Badewasser, meine ich ... 😁
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenEin packender Einblick in den Verlust von Geschichte und familiären Wurzeln in einer immer und schnelllebiger werdenden Welt.
Der schleichende Abschied von Tradition und Herkunft kann eine Persönlich Tragödie sein, sondern ist vielleicht sogar ein Spiegel der heutigen Gesellschaft? – Oftmals bleiben Wurzeln und Identität heutzutage auch viel zu sehr auf der Strecke.
Liebe - bleib auch du weiterhin gesund - Grüße
Vom lifeminder
Schau nach Amerika, lieber lifeminder, wo die Kultur der ursprünglich dort lebenden Menschen der massenhaften Einwanderung zum Opfer gefallen ist und heute kaum noch existiert.
LöschenSo wird es auch hier ausgehen, umso wichtiger wäre es vielleicht, die Erinnung zu bewahren, wie es einst war, aber was willste machen, wenn sich keiner dafür interessiert?
Liebe Gesundheit-ist-das-Wichtigste-überhaupt-Grüße zurück! :-)