Gerade hatte ich F. sein Mittagessen serviert, dadurch saß er mir gegenüber, als wieder mal Fotos von meinem Bruder eintrudelten, diesmal aus dem Wald, wo er mit seiner Frau schon früh zum Pilzesuchen unterwegs war und die märchenhafte Stimmung im leichten Nebel einfing.
"Echt schade", sagte ich zu F., "der Kontakt zu ihm ist inzwischen zu oberflächlichem Blabla und Austausch von Bildern verkommen, so richtig was mit bekommen wir voneinander nicht mehr."
Irgendwie war der Wurm drin, seit die beiden Männer vorletztes Weihnachten aneinandergerieten, und wirklich geredet hatten wir seitdem nicht mehr.
Offenbar gingen Brüderlein ähnliche Gedanken durch den Kopf, denn nun schellte plötzlich mein Handy und wir quatschten länger als zweieinhalb Stunden.
Teilweise wirklich nett und lustig, ich erfuhr, dass die ältere meiner Nichten, der ich vor doch gar nicht langer Zeit noch den Popo abputzen musste, letzte Woche ihre Führerscheinprüfung bestand und in anderthalb Jahren ihr Abitur machen wird.
"Und dann?", fragte ich, "weiß sie schon, was sie machen will?"
"Leben ...", lautete die knackige Antwort und als ich mich erkundigte, ob außerdem noch etwas auf dem Programm stehe, meinte er, sie könne dann ja eventuell schon mal vorgehen.
Nun erfuhr ich, dass sie ernsthaft daran denken, ganz nach Thailand zu gehen, sobald er in Rente ist.
Sie besitzen dort inzwischen reichlich Land und planen ein Ressort am Fuße eines Berges, auf dem sich ein berühmter Tempel befindet. Nur für Einheimische, nicht etwa für ausländische Touristen und er geht davon aus, dass sich damit mühelos gutes Geld machen lassen wird.
Die Mädels könnten ja direkt mit einsteigen, so denkt er sich das und stellte mir, als ich wegen Studium bzw. Ausbildung nachhakte, rundheraus die Frage: "Ja, muss man denn überhaupt so etwas lernen? Die haben doch dann schon 13 Jahre lang gelernt ..."
Boah, das hat mich wirklich geschockt, es war wohl ein Irrtum von mir zu denken, dass der alte J., als der er 45 Jahre lang gelebt hatte, bis er eine Familie gründete, damit verschwunden wäre.
In ihm hat sich eine ungeheuere Wut aufgestaut, seit die Firma, bei der er seit Jahrzehnten ist, in eine AG umgewandelt wurde, die ich sogar nachvollziehen kann.
"Als ich damals meine Gärtnerlehre machte", erzählte er, "ging der Chef, wenn er besonders gute Geschäfte gemacht hatte, breit grinsend mit einer Schnapsflasche herum, schenkte jedem ein Pinneken voll ein und drückte ihm dazu einen Zwanziger in die Hand. So machte das Spaß, aber heute geht's ja nur noch darum, die Kosten immer weiter zu drücken, damit die Aktionäre umso mehr absahnen."
Vor dieser freudlosen Kälte will er seine Töchter bewahren, was ich verstehen kann, aber ... werden sie wirklich glücklicher, wenn sie in Thailand eine Ferienanlage führen?
In der Großen setzt sich offenbar die weibliche Hochbegabten-Linie fort, die es in unserer Familie ja seit Generationen gibt, keine der Betroffenen wurde damit glücklich, aber sie ist immerhin die erste, die schon in jungen Jahren darüber Bescheid weiß.
D.h. sie kennt nur ihren IQ, hat aber wohl keine Ahnung, was damit alles einhergehen könnte, und ich habe sie in den letzten Jahren viel zu selten erlebt, um beurteilen zu können, wie sie tickt.
Ganz schwierige Geschichte, finde ich und ich kann nur hoffen, dass nicht auch sie eines Tages in einer Aufgabe, in einem Umfeld stecken bleiben wird, das sie bei Weitem unterfordert und damit nicht zu befriedigen vermag, wobei ich auch keine Ahnung habe, inzwieweit sie sich überhaupt als deutsch oder thailändisch empfinden mag und ob das eine Rolle spielt. (Vermutlich schon ...)
Sehr schade, dass ihr ein solcher "Mentor" fehlte, wie ich ihn in meinem Großonkel hatte und in Punkto Archäologie auch in meinem Papa, beide zeigten mir ja, wie wichtig es z.B. ist, Geschichte zu bewahren, und nun gehen mir langsam die Erben aus, denn ich will gar nicht erst darüber nachdenken, dass Dinge wie der alte Bücherschrank mitsamt seinen kostbaren Werken in der Feuchtigkeit Thailands vor sich hingammeln könnten ...
Und wieder einmal könnte ich F. den Arsch verhauen dafür, dass er zu faul war, mir Kinder zu machen ... 😣
Wie auch immer, es war inzwischen viel zu spät, noch an ein Mittagsschläfchen zu denken, also kümmerte ich mich dann gleich ums Abendbrot und kaum war das erledigt, schellte das Telefon schon wieder, diesmal war es Mutterns Schwester, also meine Tante, mit der ich weitere anderthalb Stunden verplauderte.
Offenbar hat das meine Ohren derartig zerfetzt, dass ich heute früh prompt einen meiner Ohrringe verlor, aber ... zum Glück fand er sich gleich wieder ein und sitzt nun wieder dort wo er hingehört. 😂
Nun ist Herr Hoover an der Reihe und dann werde ich schon mal das Sauerkraut vorkochen, auch wenn es das erst ab morgen geben soll.
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenSo ein Plausch mit Bruder war sicher toll.
Wobei ich euer Verhältnis gar nicht also entrückt wahrgenommen haben, ich erinnere mich vor ein paar Monaten hattet ihr da nicht aus ausführlich über Pilze und Co miteinander geschnattert?
Ob das noch "F" und dein Bruder miteinander klären werden.
Ich kann mir gar nicht ausmalen aus Deutschland für immer wegzugehen. Zumindest nicht, wenn ich nicht muss. - Wobei Thailand sicher traumhaft schön ist. Aber will man, wenn man in Rente ist noch eine Ferienanlage betreuen?
Bin gespannt was deine Nichten von diesen Plänen halten werden.
Ich bin sicher, die "Rex-Mama" wäre auch eine tolle Mutter gewesen.
Schon weiß ich ein neues Detail die "Rex-Mama" trägt Ohrringe.
Das klingt insgesamt herrlich harmonisch und unterstreicht mal wieder was für eine Menschenfängerin du bist :)
Liebe - Menschen, die Menschen nicht nur vom Namen sind, sind mir mit die liebsten - Grüße
Vom lifeminder
Lach, lieber lifeminder, ohne Ohrringe bin ich gar nicht denkbar, wie meine beiden Diamanthalskettchen lege ich sie niemals ab.
LöschenEs war tatsächlich das erste richtige Gespräch mit meinem Bruder seit jenem Weihnachten und nein, die beiden werden vermutlich niemals darüber reden, denn F. kann ja nirgendwohin mehr fahren.
Mein Bruder kennt Thailand wie seine Westentasche, spricht und schreibt die Sprache fließend und genießt die freundliche und vor allem sehr viel homogenere Gesellschaft dort sehr.
Das Resort soll dort entstehen, wo seine Frau eh herkommt, d.h. sie sind dort komplett integriert, kennen jeden und haben dort ja auch noch Familie, die mithelfen wird.
Schätze, die Mädels sind recht begeistert von der Aussicht, nichts mehr lernen zu müssen und ein recht lockeres Leben führen zu können im Vergleich zu dem, wie es hier stattfinden würde.
Ob es sie auf Dauer befriedigen kann, ist die andere Frage, aber ich weiß ja eben auch gar nicht, wie sie mentalitätsmäßig inzwischen ticken, eher thailändisch oder gibt es auch sehr viel Deutsches in ihnen?
Liebe Namen-sind-Schall-und-Rauch-Grüße zurück! :-))
Das Stimmt schon: "Namen sind Schall und Rauch", aber Menschsein ist so viel mehr :)
AntwortenLöschenDas stimmt und bei den einen ist es von Vor-, bei anderen aber leider auch von Nachteil für den Rest der Welt. ;-)
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