Mittwoch, 27. November 2024

Volle Bandbreite der Gefühle

Natürlich funktionieren die Fahrpläne überhaupt nicht mehr und so kam ich heute Mittag am Umsteigeort an, als mein Folgebus gerade abgefahren war.

Auf den nächsten hätte ich eine halbe Stunde warten müssen, ohne Häuschen, dafür in Sturm und Regen, das war mir zu viel, also legte ich den Rest des Weges bis zum Krankenhaus fluchend zu Fuß zurück. 

Dort dann ein F., der mir eigentlich recht gut gefiel, auch wenn mich die Schwester gleich darauf hinwies, dass er ziemlich groggy sein dürfte, habe sie ihn doch gerade ordentlich rangenommen mit Inhalationen, einer Massageweste und sogar auf der Bettkante habe er erstmalig gesessen.

Gestern noch hatte ich viel Spaß mit der 87-jährigen Dame gehabt, die man zu F. ins Zimmer gepackt hatte, so ein richtiges hiesiges Original war sie gewesen und sofort war es zu Kontakt zwischen und gekommen, als sie nämlich Hilfe brauchte beim Nachfüllen ihres Schnabelbechers.

Dann holte man sie mitsamt ihrem Bett zu einer Untersuchung und ich bekam mit, dass ihr Plappermäulchen nicht eine Sekunde stillstand - schon wussten Schwestern und auch wir über ihr halbes Leben Bescheid, über das sie mit einem unnachahmlichen Humor und viel Lachen berichtete.

Als sie zurückkehrte, hörte ich, wie sie im Flur krähte, hach, das sei jetzt aber mal schön gewesen, und so begrüßte ich sie von meiner Sitzposition hinter dem Paravent aus mit: "Na, haben sie ein Ausflügsken gemacht?" 

"Ja", antwortete sie, "und das war so richtig schön ..." 😁

Dann ging die Schnäbbelei weiter - wie gesagt sahen wir sie ja gar nicht, sondern hörten sie nur - und wir erfuhren, dass sie nach ihrem Mann auch noch Schwester und eine Tochter verloren hatte und selbst an Krebs erkrankte, nun aber als geheilt galt. Des Weiteren ging es um ihre Kinder, denn ein Teil ihrer Enkel seien Afrikaner. Der Tochter habe sie immer gesagt: "Komm mir ja nicht mit nem Türken an" ... stattdessen sei es dann eben ein Afrikaner geworden, aaaber ... es sei ein ganz toller Schwiegersohn und auch die Ursels (so sagt man hier zu kleinen Kindern) seien prächtig geraten.

Wenn sie nicht gerade im Krankenhaus sei, kämen die kleineren Ursels sogar mittags bei ihr essen, wenn die Tochter nämlich noch bei der Arbeit sei. Diese sage dann immer zu den Kindern: "Geht ma bei die Omma essen, die kocht euch watt Leckeret." 😅

Noch viel mehr erfuhr ich und es war wirklich eine Freude mit dieser alten Dame, die so ungeheuer viel Postives ausstrahlte und so viel lachte, umso größer dann heute das Erschrecken.

Die Dame war auf Normal verlegt worden, dafür haben sie F. nun einen Sterbenden in den Raum gelegt.

Ein ganz alter Herr, nach und nach versammelte sich die Familie weinend an seinem Bett, um Abschied zu nehmen, und ich war zutiefst erschüttert, dass man für solche Fälle keine Einzelzimmer bereithält, denn natürlich störte besonders ich dabei und auf der anderen Seite hoffte ich inständig, dass F. nichts davon mitbekam, was sich nur zwei Meter weiter abspielte.

So gerne wollte ich ihn weiter aufbauen, für etwas gute Laune sorgen, so weit das eben in seinem Zustand möglich ist, aber so wäre mir das natürlich völlig pietätlos erschienen, jedes Lachen verbot sich ja von selbst.

Dann machte mich eine Schwester drauf aufmerksam, dass auf der Fensterpank Aufnahmepapiere lagen, die ich bitte ausfüllen und zur Aufnahme bringen sollte, was sich aber als schwierig erwies, denn dort musste man wie auf einem Amt Nummern ziehen und eine Dame verriet mir, dass sie schon weit über eine Stunde vor der Türe herumsaß und wartete, dass sie aufgerufen würde.

Nein, dafür war ich nun weiß Gott nicht hier, um die wertvolle Zeit statt mit meinem Mann in einer Sitzgruppe in der Halle zu verbringen, also verschwand ich mitsamt meiner gezogenen Nummer wieder, um das zu vertagen.

Grad rechtzeitig war ich zurück, um noch auf eine Ärztin zu stoßen - wieder eine Ausländerin mit schlechtem Deutsch, aber ich konnte doch verstehen, dass die Entzündungswerte sich wieder völlig normalisiert haben und dass man davon ausginge, dass es keine Lungenentzündung, sondern ehrer etwas in Richtung Bronchitis gewesen sei.

Es hinge nun von seinem Irgendwas-Zustand ab und als ich nachfragte, was sie damit meine, wies sie auf den Sauerstoffschlauch und meinte, ich sähe es ja selbst.

"Was ja auch kein Wunder ist nach dem, was Sie mit ihm machten", gab ich zurück, "dieses Intubieren war eine sehr harte Nummer!"

"Ich weiß", sagte sie und damit verfestigt sich in mir das Gefühl, das ich von Anfang an hatte: Die haben viel zu schwere Geschütze aufgefahren, etwas, das man ja schon während Corona immer wieder las.

Vielleicht werde ich mal mit der Krankenkasse telefonieren, um herauszufinden, wie man an einen einfachen Hausbesuch kommen kann, statt dass es sofort auf so etwas hinausläuft.

Wie dem auch sei, ich hoffe, dass es weiter aufwärts geht mit F. - geistig kam er mir heute deutlich klarer vor, machte sich auch sofort Gedanken, ob bei den Papieren Durschläge dabei seien, und als ich verneinte, schlug er vor, ich solle alles knipsen.

Wirklich gut mitgedacht und auch mit WhatsApp kommt er nun wieder einigermaßen klar.

Die Aufnahme war nur bis 16 Uhr geöffnet, also verließ ich F. um viertel nach drei, damit ich das auf jeden Fall noch erledigt bekam, und da wurde es dann auf einmal wieder lustig.

Ein Mann in meinem Alter und eine junge Frau saßen hinter dem Schalter und ER stutzte sofort, dass nun zwei Nummernzettel auf meinen Unterlagen klemmten.

"Tja", sagte ich, "das war mir mittags zu voll hier, ich bin ja nun mal hier, um meinen Mann zu besuchen, und nicht, um mir Ihre Türe von außen anzugucken."

Sie könnten leider nicht mehr als arbeiten, meinte er und ich sagte augenzwinkernd: "Eben, so haben wir halt alle unsere Prioritäten."

Auch er so ein richtiges Ruhrpottkind, von daher sprang der Funke zwischen uns gleich über und als er sich nun über die von mir ausgefüllten Bögen hermachte, frage er nach: "Ihr Vorname lautet xxx?"

"Pühhh, nun machen Sie ihn mal nicht noch schlimmer, als er eh schon ist", gab ich zurück und er lachte laut auf, denn er hatte mir einen anderen Anfangsbuchstaben verpasst und den Namen dadurch wirklich noch hässlicher gemacht. 😁

"Och, warum, sooo schlimm isser doch gar nicht", meinte er", aber als ich ihn fragte, ob er als Kind so hätte heißen mögen, stellte fest, nö, da bliebe er doch lieber bei Andreas.

Und dann folgte ein ausgiebiger Lachanfall, gar nicht mehr beruhigen wollte er sich über meine Aufforderung, es doch nicht noch schlimmer zu machen ... 😂

Danach arbeiteten wir uns dann fröhlich durch alles durch, beplauderten noch ein paar private Dinge 😁, bevor ich mich auf den Weg zum Bus machte, der mich geradewegs in die Dunkelheit führte.

Geschlagene 2 1/4 Stunden brauchte ich für den Rückweg, der Luftlinie sicher nicht mehr als 6 Kilometer beträgt.

Um diese Uhrzeit herrscht eh wegen des Feierabendverkehrs Chaos, aber die ganz große Schwachstelle bei den wegen der gesperrten Autobahnunterführung nötigen Umwegen konnte ich nun ausmachen, denn u.a. müssen die Busse nun zunächst über einen Autobahnzubringer/Schnellstraße fahren und von dort aus dann in einer Schlaufe auf eine andere Schnellstraße einbiegen.

Die um diese Zeit natürlich ebenfalls sehr hohes Verkehrsaufkommen hat, d.h. alle die aus der Schlaufe draufwollen, müssen ewig warten, bis sich mal eine kleine Lücke zum Einbiegen ergibt - fast chancenlos und dementsprechend standen wir ewig lange komplett still in dieser Schlaufe.

Eine Behelfsampel für die Dauer der dreiwöchigen Baustelle könnte da deutlich Abhilfe schaffen, aber auf diese Idee kommt wohl keiner, fatal, besonders auch für die, die endlich Feierabend haben und nun ewig lange im Bus ausharren müssen.

Zufällig befand sich die junge Aufnahme-Mitarbeiterin von eben mit an Bord, schrecklich, wenn einem der wohlverdiente Feierabend dann so zerrinnt.

Und ich selbst bekam auch noch eins reingewürgt.

Der Busfahrer war mir schon beim Einsteigen durch seine Mauligkeit aufgefallen, in irgendeinem slawischen Akzent hatte er mich angegrunzt, es interessiere ihn absolut nicht, ob mein Ticket nun richtig freigeschaltet sei oder nicht, und als wir uns nun meiner Haltsstelle näherten, nur zwei Häuser neben unserem, fuhr er einfach durch, obwohl ich natürlich den Halteknopf gedrückt hatte und vorn auch der geplante Halt angezeigt wurde. 

Hieß für mich, eine ganze Haltestelle weit zurücklaufen zu müssen, durch strömenden Regen und der Sturm, der jetzt mit voller Wucht tobt, war bereits da so stark, dass er mir den Schirm sofort umknickte.

Der Tag endete also so, wie er angefangen hatte, nämlich mit einem ungeplanten Fußmarsch, aber das Allerwichtigste ist natürlich, dass es F. deutlich besser und hoffentlich weiter in die richtige Richtung geht ... 😊


Habt einen schönen Abend und ... bleibt bitte gesund! 😉


PS: Das "Problem" mit dem Tannenbaum konnte ich auch klären, denn F. wird megatraurig sein, dass es nun den normalen in diesem Jahr nicht gibt.

Einen ganz winzigen hatte ich noch in petto und nach etwas Suchen fand sich sogar noch eine 20ger-Lichterkette - mini halt, aber besser als gar nix, oder? 😊




2 Kommentare:

  1. Hallo, Liebe "Rex-Mama!"

    Was für eine Achterbahnfahrt! D Besonders beeindruckend finde ich, wie du trotz widriger Umstände immer wieder das Positive suchst und findest.

    Die Begegnung mit der alten Dame hat mir ein Schmunzeln entlockt, während der Abschied im Zimmer von F. sehr nachdenklich macht.

    Und trotz aller Strapazen vom Verkehrschaos bis zum mürrischen Busfahrer, schließt du den Tag mit Hoffnung und einem Lächeln ab. Deine Positivität - ist was ganz ganz besonderes.

    Dein Mini-Tannenbaum ist eine wundervolle Geste. Die wird "F´s" Herz wärmen und meines hat es schon.



    Liebe - Stark wie ein Baum - Grüße
    Vom lifeminder
    Lifeminder

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    1. Es soll ja auch ganz winzige Bäumchen geben, die erst einmal groß und stark werden müssen. ;-))

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