Samstag, 23. November 2024

So möchte man seinen Lebensmenschen nicht da liegen sehen, ...

... so nicht, niemals! 

Im Gegensatz zum Rückweg verlief der Hinweg reibungslos, beide Busse kamen pünktlich und ich benötigte nicht mehr als eine halbe Stunde von Tür zu Tür.

Ich klingelte an der Intensivstation und nachdem ich mich über die Sprechanlage vorgestellt hatte, öffnete mir eine Schwester und fragte, ob ich erst mit der Ärztin reden oder erst zu meinem Mann wolle.

Für Ersteres sollte ich auf einem Stuhl Platz nehmen, es könne aber noch etwas dauern.

"Na, dann gehe ich auf jeden Fall erst zu meinem Mann", sagte ich und sie führte mich durch ein wahres Labyrinth von Gängen zu einem großzügigen Zweibettraum.

Vorn ein älterer Herr und hinter einem Paravent erwartete mich dann zur Fensterseite hin ein Anblick, bei dem ich nur noch das Bedürfnis hatte, laut aufzuweinen.

So wie Komapatienten nun einmal aussehen, wenn ihnen überall Schläuche heraushängen und sie nicht selbstständig atmen, sondern dies von Maschinen erledigt wird.

Es kostete mich ungeheuere Kraft, mich zusammenzureißen, und dann machte ich mich bei der Schwester sofort unbeliebt, indem ich nun auch sie sofort fragte, warum um alles in der Welt man ihn gleich komplett stillgelegt habe, statt ihm eine Sauerstoffmaske zu verpassen.

(Die nicht invasiven Methoden gelten wohl weithin als wesentlich schonender, aber genauso wirkungsvoll, hier scheint moderne Wissenschaft gegen altvertraute Vorgehensweise zu stehen.)

"Ach, sind Sie die Ärztin hier?", bekam ich sehr pikiert von der Dame zu hören, ich verneinte, machte aber deutlich, dass man auch als Nichtmediziner durchaus in der Lage ist, sich mit solchen Themen zu beschäftigen.

Und damit blieben wir erst mal uns selbst oder besser gesagt mir überlassen, denn F. kann ja im Moment nichts, als als mit weit geöffnetem Mund dazuliegen, völlig hilf- und regungslos.

Nachdem ich ihn ausgiebig begrüßt hatte, setzte ich mich auf einen Stuhl direkt ans Bett und begann unser Handspiel.

Nachts kann er gar nicht ohne, sobald wir in den Betten liegen, taucht seine Hand in meinem auf, er liebt es, wenn ich sie streichle, massiere, und so zieht sich das durch die ganze Schlafenszeit, drehe ich mich oder war mal kurz auf, zack, ist sie wieder da, diese Hand, die so viel Nähe braucht.

Die sie nun natürlich erst recht bekam, wenn auch sehr behutsam um die Kanülen herum, die in ihr steckten.

Mit der anderen massierte ich ihm sanft Schulter und das Stück nackten Arm, das unter dem Kittel hervorlugte, und auf einmal war da wieder dieses, hm, soll ich es Hausfrauen-Reiki nennen?

Schon mit Püppi funktionierte das, besonders wenn sie Bauchweh hatte, forderte sie es regelrecht ein, also schien sie etwas zu spüren und noch immer läuft das nach dem gleichen Muster ab, das ich damals für mich entdeckte, entwickelte? Keine Ahnung, es war plötzlich einfach da ...

Schwer zu erklären, aber irgendwie geht es immer um einen Kreis, den ich das Gefühl habe zu schließen. Meine Hände berühren im Idealfall ein Stück Haut bei mir und meinem Gegenüber, die Füße müssen unbedingt geschlossen sein (warum auch immer *selberratlosschulternzuck*), dann folgt eine ganz tiefe Konzentration auf eine Stelle hinter meiner Stirn und dann das Denken wie in diesem Falle: Kraft, gehe rüber, bewege dich, ganz viel Kraft zu F. ....

Ich weiß selber, wie dämlich das klingt, aber nachdem ich das so für mich vor vielen Jahren herausgefunden hatte, also dass da irgendwas passiert, las ich in der Autobiographie des Dalai Lama, dass die tibetischen Mönche ganz ähnliche Dinge machen. Beispielsweise kann man sie wegen dieser Fähigkeit zur tiefen Konzentration nackig an den Nordpol setzen und sie erfrieren nicht.

Egal, ich mache so was eh nie geplant, sondern es geschieht einfach, so halt auch heute und während ich mir an F. zu schaffen machte und ihm allerlei unsinnige kleine Dinge erzählte, meinte ich auf einmal eine ganz winzige Bewegung an einem seiner Finger zu verspüren.

Fast unmerklich, aber gefühlt hatte ich sie doch und auf einmal kam er mir wieder sehr viel mehr dieser Welt zugehörig vor, als ich ein leichtes Flackern wahrnahm. Komisch, die Neonröhren an der Decke waren auf einmal alle etwas dunkler geworden, so als hätte jemand einen Dimmer betätigt, und ängstlich beobachtete ich nun die ganzen Apparate, ob sich dort auch etwas veränderte.

Stomausfall, während man ohne ihn noch nicht mal einen Atemzug tun kann, das wäre natürlich das schlimmste aller Szenarien und nur deshalb bekam ich die Lichtveränderung vermutlich so genau mit.

Wobei sie aber gut in die Gesamtatmosphäre passte, denn im Gegensatz zu der Intensivstation vom April herrschte hier nicht dieser Höllenlärm von Geräten, die sich gegenseitig mit ihrem Piepsen zu überbieten versuchen, sondern sie bekundeten ihr Tun mit sehr viel dezenteren Geräuschen, so dezent, dass man sogar die leise Musik mitbekam, die aus einem Gerät in der Raumecke ganz sanft ertönte.

Später sollte ich mich mit dem Pfleger noch kurz darüber unterhalten, aber zunächst einmal kamen sie zu zweit und baten mich kurz raus in den Flur, weil sie F. umlagern wollten.

Gegenüber der weit offenstehenden Tür lehnte ich mich an einen Heizkörper, konnte den Gang nach rechts und links überblicken und natürlich ins Zimmer hinein, vorn auf den schlafenden Herrn, weiter hinten sah ich die Schatten hinter dem Paravent an F. herumwerkeln.

Auf einmal ein ohrenbetäubendes Klatschbummpeng, erschreckt sah ich nach rechts und dort gerade noch zu, wie am Ende des Ganges eine Weihnachtsdeko von der Fensterbank flog, so dass die vielen bunten Glaskugeln mit lautem Klirren zerbarsten.

Ausgerechnet die Schwester, mit der ich es mir ja eh schon verscherzt hatte, kam als Erstes aus einem der Räume gesaust, schaute in meine Richtung (weil außer mir ja niemand da war), ich zeigte mit der Hand nach hinten und erklärte ihr: "Ich war's nicht, ich schwöre, ich stand die ganze Zeit völlig bewegungslos hier."

Nun entstand auch vor mir im Zimmer Bewegung, die beiden Pfleger waren offenbar fertig, ich bekam es nur mit einem halben Auge mit, war ja noch bei den Christbaumkugeln, aber als ich dann F.s "Dankee" hörte, schloss ich daraus, dass ich wieder ...

Hähhhh?

Was war das denn jetzt? Sollten die F. so schnell aufgeweckt und wieder ans Reden gebracht haben?

Unmöglich, das war mir klar, aber ich hatte ihn doch laut und deutlich gehört, kenne seine Stimme doch und vor allem den unvergleichlichen schwäbischen Akzent, der ihn das "e" am Ende so langziehen lässt.

Ich meine das nach wie vor noch im Ohr zu haben, aber eine Erklärung dafür habe ich keine, der Zimmernachbar kanns nicht gewesen sein und die jungen Pfleger würden doch kaum bei der Arbeit Höflichkeiten auf Schwäbisch austauschen? *schonwiederkoppkratz*

Nach über zwei Stunden tauchte die Ärztin dann auf, entschuldigte sich für die lange Wartezeit und erklärte mir, dass sie eigentlich noch gar nix wüssten.

Die Nacht über müsse F. auf jeden Fall in diesem Zustand bleiben, aber morgen werde man sehen, ob man ihn eventuell aufwecken und wieder selber ans Atmen bekommen könne.

Grrrr ...

Auch ihr gegenüber erwähnte ich meine Zweifel an dieser Vorgehensweise und bat mit allem Nachdruck darum, das wirklich so kurz wie irgend möglich zu halten.

Als die Pfleger mit F. zugange waren, war mir aus der Ferne aufgefallen, dass sie dabei mit ihm redeten: Herr xxx, wir machen jetzt dies und jenes mit Ihnen, weil ...

Und auch nun kam einer von ihnen noch mit einem Kissen an, packte es F. unter das recht Bein und erklärte ihm dabei, dass das von vielen als wohltuend empfunden würde.

"Glauben Sie, er bekommt wirklich etwas mit hier?", fragte ich nun interessiert, wobei mir währenddessen der Gedanke kam, dass mir das zunächst sehr unwahrscheinlich erschienen hatte, was sich aber änderte, je länger ich mit F. zugange war.

"Man weiß es nicht genau", meinte er nun, "aber es gibt Studien ...."

Im Grunde also das, wie wohl die meisten von uns mit dem Thema umgehen, man weiß nix, hält aber einiges für möglich ...

Und damit wurde es dann Zeit für mich, mich auf den Heimweg zu begeben, auch wenn es mir schier das Herz zerriss, meinen armen F. so dort liegen lassen zu müssen.

Die App der Verkehrsbetriebe hatte mir eine falsche Zeit angezeigt, in Wirklichkeit war der Bus schon weg, so dass ich eine halbe Stunde auf den nächsten warten musste - Zeit, die ich wahrlich lieber an F.s Seite statt am Straßenrand verbracht hätte.

Und nun wurschtele ich mich hier durch alles durch, habe Decken und Kissen vom Sofa bereits gewaschen und die nächste Maschine ist auch gleich fertig. Umfragen sind für heute ebenfalls erledigt, damit käme dann jetzt der schwerste Teil, nämlich hier herumhocken, die Telefone anstarren und in alle Himmelsrichtungen Stoßgebete absenden, dass keines von ihnen schellen möge.

Apropos Telefon: Ich hatte den Sanitätern ja F.s Handy mitgegeben, nachdem ich es nirgendwo entdecken konnte, befragte ich den Pfleger, der erstmalig davon hörte, was schon alle Alarmglocken in mir schrillen ließ. aber dann fand es sich zum Glück und nun werde ich es täglich mit hinnehmen in der Hoffnung, dass er bald wieder in der Lage sein wird, es zu benutzen.


Bleibt bitte gesund - es ist sooo wichtig! 😉

4 Kommentare:

  1. Danke für deinen ausführlichen Bericht. Ich verstehe dich sehr gut, daß du lieber deinen Mann zur Seite gestanden wärst, als draußen in der Kälte gestnden wärst um auf den Bus zu warten. Ich denke weiterhin an dich und wünsche hute Besserung

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  2. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“


    Deine Worte haben mich ungemein berührt. Weiterhin bewundere ich deine Stärke, mit der du all das durchstehst.
    Die Szene mit der Schwester – wie sie auf deine berechtigten Fragen reagierte – hat mich nicht losgelassen und bereits einige Stunde Gedanklich begleitet.
    Es macht mich zutiefst traurig, wenn Menschen, die helfen sollten, solche Situationen noch schwieriger machen.


    Dass F. vielleicht doch etwas mitbekommen hat, diese winzige Fingerbewegung, gibt so viel Hoffnung. Es zeigt, wie wichtig Nähe und Liebe sind, auch wenn es so schwer ist, ihn in diesem Zustand zu sehen.


    Ich wünsche mir von Herzen, dass ich bald mein Handy nutzen kann, um dir das auch nochmals persönlich zu schreiben.

    Selten habe ich mir so gewünscht, dass Worte eine Situation lindern können. Bitte weiß, dass du nicht allein bist - in Gedanken bin ich – und sicher alle die deinen Blog verfolgen - bei dir und „F“ (und damit auch immer irgendwie beim „Rex-Bubi“.


    So möchte man einfach seinen Lebensmenschen nicht da liegen sehen ... so nicht, niemals!
    Pass bitte gut auf dich auf.



    Liebe – doppelte Umärmelungs – Grüße
    lifeminder

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    1. Ich fürchte, das scheint nur so, lieber lifeminder, denn in Wirklichkeit fühle ich mich klein und so zerbrechlich, als könnte ich jede Sekunde in tausend Scherben zerbersten - dieser innere Schmerz zerreißt einen.
      Umso mehr hab Dank für deine warmen Worte, jedes davon und jedes einzelne Drückerchen tut gut, hilft sich dem Wissen entgegenzustellen, wie alleine man mit allem ist.

      Liebe Umärmelungsgrüße zurück!

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