Montag, 25. November 2024

Gibt es Nicht-Tage?

 Wenn ja, dann war das heute wohl so einer.

Schon wird es wieder dunkel, obwohl es noch gar nicht hell geworden war, stattdessen Dauerregen und heftiger Wind.

Wie um mich selbst positiv zu bestärken, hatte ich für F. eine kleine Tasche gepackt mit dem Allernötigsten, was man benötigt, sobald man von der Intensivstation runter kann, obwohl daran noch nicht wirklich zu denken ist.

Mit den Bussen ist das jetzt so eine Sache - eigentlich könnten sie am Rhein englang und unter der Autobahnbrücke hindurch schnurgerade von unserem in den Nachbarstadtteil fahren, doch nun gibt es an der Brücke eine Komplettsperrung für mindestens drei Wochen.

Also fährt der Bus bis an sie heran, biegt dann ab und fährt einen gewaltigen Umweg, über Land, über Schnellstraßen usw., um dann im großen Bogen an den Nachbarstadtteil heranzukommen, wo er dann aber erst mal zurückfährt in Richtung Autobahnbrücke, um dann von dort ab alle Haltestellen wie vorgesehen abzuklappern.

Nach Zeiten brauche ich also gar nicht mehr zu schauen, es ist einfach Glück, ob und wann mal ein Bus auftaucht.

Trotzdem erreichte ich das KH heute Mittag früher als vorgesehen und fürchtete schon, sie würden mich wieder vor der Tür zur Intensivstation sitzen lassen, doch wider Erwarten durfte ich gleich hinein und staunte über das jetzt freie Nachbarbett von F.

Er selbst, hm, schwer zu beurteilen, inwieweit er geistig wieder da ist. Nachts hatte er mich überrascht mit einem einzigen Satz auf WhatsApp, das Handy danach aber offenbar nicht mehr angerührt und nun erklärte er mir sofort - mit schwacher Stimme und schwer verständlich - das müsse ich wieder mitnehmen, da stimme etwas nicht. Er habe auf dem großen PC daheim ein Programm namens Sophie oder Sophia installiert und das würde ihm nun Musiktitel aufs Handy überspielen.

Ich müsse das sofort löschen ...

Nicht den Hauch einer Ahung habe ich, was er meinen könnte, ob es um etwas Reales geht oder er noch in den Kopfwirrungen nach der viel zu langen Betäubung feststeckt. 

Dann tauchte der Pfleger auf - die Gaswerte würden ihm nicht gefallen, F., der im Moment nur die "Sauerstoffbrille" unter der Nase hatte, solle lieber mal wieder die Maske bekommen.

Welche er denn wolle?

Egal welche er hochhielt, F. lehnte immer ab, war maulig, bis ich mich einmischte und ihm sagte, es sei doch nun gut, ich sei ja da und diese eine könne er sich jetzt wirklich mal gönnen, was er dann zuließ.

Dann betteten wir ihn gemeinsam etwas höher, damit er aufrechter fast sitzen konnte - nebenher bat ich den Mitarbeiter, dass ich heute dringend mal mit einem Arzt reden möchte, nachdem er selber gar nix weiter rauslassen wollte über F.s Zustand.

Doch leider kam es dazu nicht mehr, denn plötzlich wurde es hinter dem Paravent hektisch und man teilte mir mit, dass da jetzt ein neuer Patient käme, weshalb ich für längere Zeit die gastliche Stätte verlassen müsse.

"Wie lange wird das dauern? Minuten, eine Stunde oder noch länger?", fragte ich und bekam zur Antwort, das könne man vorher nicht sagen, aber länger würde es auf jeden Fall.

Also packte ich meine sieben Sachen und verabschiedete mich von F. - war noch unsicher, ob ich die ungewisse Warterei tatsächlich in Kauf nehmen sollte, entschied mich dann aber dagegen und begab mich viel zu früh auf den Rückweg.

Da ich nun an Bussen nehmen muss, was gerade auftaucht, erwischte ich eine Linie, die gar nicht bei uns am Haus vorbeifährt, dafür aber im weiteren Verlauf direkt bei Netto vor der Tür hält, also plante ich noch einen Mini-Einkauf ein, während ich die Fahrt alles andere als genoss.

Eingekeilt zwischen Schülern musste ich stehen, und nun war es nicht nur der riesige Umweg, der alles in die Länge zog, sondern auch die Verkehrsstituation, denn alle Straßen waren verstopft. 

Als ich dann bei Netto herauskam, geriet ich auch noch in einen kräftigen Schauer, der das Geniesele von vorher abgelöst hatte, und so kam ich fix und fertig zu Hause an.

Zudem völlig unbefriedigt, denn ich hatte deutlich mehr Zeit mit F. verbringen wollen. 

Nachdem ich dann meine Schwägerin auf den neuesten Stand gebracht hatte, schrieb ich meiner Kontaktfrau bei der Sauerstofffirma, dass wir die Donnerstagslieferung auf jeden Fall ausfallen lassen können, und wir verblieben, dass ich mich sofort melde, wenn ich einen Entlassungstermin weiß.

Anschließend wollte ich dann in den großen PC schauen, ob ich irgendetwas in Punkto Sophie feststellen könne, doch der ließ mich gar nicht erst hinein.

Eine Pin verlangte er zur Anmeldung und ... ich habe keine Ahnung, wo in seiner Zettelwirtschaft F. diese notiert haben könnte.

Auf WhatsApp reagiert er leider noch nicht - so weit ist er deutlich noch nicht - und nun träume ich grad davon, er wäre nicht mein Mann, sondern mein Kind, denn dann dürfte ich ja wohl rund um die Uhr bei ihm sein.

Was mir die Sache echt erleichtern würde ... diese ständige Ungewissheit frisst mich regelrecht auf.

Und dann versuchte ich mein Glück noch mal per Telefon, bat um ein Arztgespräch, wurde mit einer Dame mit recht schlechtem Deutsch verbunden und sie erklärte mir sogleich, dass sie so etwas nicht gerne telefonisch erledigen.

"Ich weiß, aber wenn Sie mich ja von der Station werfen, bevor ich jemanden sprechen kann, dann muss es halt mal so gehen!"

Die Gaswerte seien noch nicht befriedigend, erklärte sie mir dann und es gäbe einen Infekt in der Harnröhre (toll hingekriegt mit dem Katheter, grrr... ), aber in Anbetracht seines "reduzierten Zustandes" sei er stabil.

Also heißt es weiter warten und nun muss ich schauen, was ich mit den 19,5 Stunden anfange, bis ich endlich wieder bei ihm sein kann.

Schön geht anders ... 🙄


Habt einen schönen Abend und ... bleibt bitte gesund! 😉


PS: Was mir gerade noch einfällt, ist, dass es mit dem Pfleger heute ganz gut menschelte.

Er war zufällig dabei, als ich mit F. über seine neue Bartform sprach, denn sie haben ihm wegen der Masken kurzerhand den Voll- zu einem Kinnbart gemacht.

Er sei das gewesen, meinte der junge Mann, ich grinste und sagte: "Das können Sie gut, sollte es hier also mal nicht mehr so laufen, haben Sie ja ne Alternative ..."

"Genau", grinste er zurück, "dann mache ich einen Barber-Shop auf ..." 😁

Als er weg war, zeigte ich F. das Foto, das ich gestern von ihm gemacht hatte, wies ihn darauf hin, dass ich auf einmal nun Stellen von ihm sehe, die ich seit vielen Jahren nicht mehr zu Gesicht bekam, und das ich überrascht bin, dass da tatsächlich ein relativ junger Kerl zum Vorschein kam, da meinte er doch tatsächlich: "Vielleicht kommt der Rest ja auch noch ab ... ", denn offenbar gefiel es ihm selber auch, was er auf dem Foto sah. 😊

Bei seinem nächsten Auftauchen sagte ich es dem Pfleger, dass F. sein Werk auch gelungen fände, was ihn sichtlich freute, und während er dann versuchte, F. eine etwas angenehmere Liegeposition zu verschaffen, trafen sich unsere Hände zufällig hinter seinem Rücken, denn ich hatte automatisch hingefasst, um ihn zu stützen.

"Oh, Sie sind ja auch schon da", lachte er mich an und ich sage: "Wissen Sie, nach fast 40 gemeinsamen Jahren ist das einfach so, man muss nicht mehr viel nachdenken, man ist einfach da, wo auch immer der andere grad Not hat und einen braucht."

Deshalb kam es ihm dann wohl auch so locker von den Lippen, als er mich bat, gemeinsam mit ihm das Unterlagentuch mitsamt F. darauf ein Stück höher im Bett zu heben.



4 Kommentare:

  1. Danke für deine Infos. Manchmal kommt es vor, daß es beim Pflegepersonal sehr menschelt und das ist gut so. Ich denke noch an die Beifall-Apelle der entsprechenden Politikern, die den Pflegerinnen und Pfelgern überhaupt nichts gebracht haben. Rex-Mama ich denke weiter an euch und drücke die Daumen. Ich weis es ist nicht leicht.

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    1. So weit ich weiß, verdienen sie nicht schlecht und bei allem Wünschen, dass doch jeder so viel wie möglich für seine Arbeit bekommen möge, sollte man doch auch im Hinterkopf behalten, dass damit die Preise für alles immer weiter steigen, was dann wiederum die Forderung nach weiteren Lohnerhöhungen verursacht ...
      Danke fürs Daumendrücken. ;-)

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  2. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“

    Dein Humor und deine liebevolle Art, mit F. und dem Alltag umzugehen, ist wirklich bemerkenswert.

    Es ist, als ob du trotzdem ein wenig Licht in den dunklen Tagen findest, selbst wenn der Regen unaufhörlich fällt und der Wind dir zu widerstehen scheint.

    Ich kann mir vorstellen, wie zermürbend die ständige Ungewissheit sein muss, vor allem wenn man in einem Zustand von "zwischen den Welten" lebt.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Geduld, und mehr als nur einen kleinen Funken Sonne, auch wenn der Himmel noch grau ist.
    Bleib tapfer, aber vergiss nicht, dir selbst auch Pausen zu gönnen – du hast es dir mehr als verdient!

    Vielleicht läuft das nächste Gespräch mit dem Arzt ja besser und du bekommst bald die Klarheit, die du suchst und dir zusteht.


    Bleib gesund und pass gut auf dich auf! Und falls der Regen mal wieder besonders heftig wird – vielleicht hilft ja ein weiteres "Barber-Shop"-Lächeln, zumindest ein bisschen?


    Liebe - alle aufzubringende - Grüße
    lifeminder

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    1. Das ist es, lieber lifeminder, es zermürbt, es frisst mich regelrecht auf, diese Ungewissheit, die Angst, es ist sehr schwer zu ertragen.

      Liebe Vielen-Dank-fürs-Mitfühlen-und-Austauschen-Grüße zurück ... 😘

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