Montag, 10. März 2025

Um zehn vor vier ...

... hatte A. mich abholen wollen, doch bereits um zwanzig vor wies F. mich darauf hin, dass er ihren Wagen vor unserem Haus sähe.

Okay, angezogen war ich schon, also nur noch Jacke drüber, Maske auf und raus.

Das Erste, was A. zu mir sagte, war, sie habe erwartet, dass ich sicher sehr erschöpft sei, aber ich sähe unheimlich fit und vor allem sehr jung aus. 

"Sehr jung, na ja ....", ich lachte laut auf, aber sie wiederholte noch einmal, doch, das sei wirklich der Fall.

Vermutlich vergleicht sie mich mit ihrer Mutter, die etwa mein Alter hat, aber dann bin ich natürlich klar im Vorteil, muss ich mich doch nicht in Säcke hüllen, darf meinen Typ mit Frisur und Klamotten zum Ausdruck bringen und nicht wie sie nur Hände und Gesicht zeigen. 

Während wir angeregt plauderten, verging die Fahrt im Nu und sogar ein Parkplatz ließ sich umgehend finden, bevor wir dann das offenbar kirchliche Gebäude betraten.

Zunächst mussten wir uns Namensschilder an die Brust kleben, dann wurden wir in einen riesigen Saal geführt, in dem ca. 150 Frauen bereits an Achter-Tischgruppen saßen.

Ausgerechnet an einem mit mehrere Ordensfrauen landeten wir, die allerdings nicht gleich als solche erkennbar waren, denn in diesem Orden wird auf jegliches Ornat verzichtet, d.h. sie waren ganz normal gekleidet, müssen aber wie ihre verhüllten Kolleginnen ebenfalls auf Mann und Familie verzichten.

Im Hintergrund wurde bereits ein riesiges Büffet aufgebaut, aber Iftar war erst um 18:33, also lagen noch zweieinhalb Stunden Programm vor uns und bald dachte ich insgeheim, püh, in einem Rockerclub würde ich mich gerade wohler fühlen als hier zwischen lauter "heiligen" Frauen, denn die christlichen und muslimischen waren etwa zu gleichen Teilen vertreten, die eine Hälfte streng mit Kopftüchern und die andere scheute sich auch nicht, auf ihren Glauben hinzuweisen. 

Die Moderatorin kannte ich bereits vom letzten Jahr und wieder fiel mir auf, dass sie trotz Kopftuch aussieht wie ein Model.

Das Tuch aus metallisch schimmerndem Stoff trug sie richtig elegant gebunden, dazu einen extrem figurbetonenden Hosenanzug, dessen Oberteil aus einer eng anliegenden Weste bestand.

Auf der Titelseite der Vogue kann ich sie mir gut vorstellen, allerdings nicht vor einer Schulklasse, denn sie ist Lehrerin und in dieser Postition möchte ich an staatlichen Schulen weder Nonnen noch Frauen mit islamischem Kopftuch wissen.

Dann folgte eine Viertelstunde lang der Vortrag einer ältern katholischen Theologin, die hin und weg beim Gedanken daran war, dass sich ihr Gott einst in Menschengestalt unters Volk mischte, und ihre muslimische Nachfolgerin auf der Bühne stand ihr in nichts darin nach, von Gott zu schwärmen. 

Ein junges Mädchen, von dem A. wusste, dass es erst kürzlich vor Erdogan nach hier geflohen war, klimperte auf einer Gitarre herum und sang dazu mehrmals mit sehr dünnem Stimmchen Lieder, eifrig beklatscht von allen und dann sollten wir uns einer Gruppenarbeit widmen und sowohl Fragen an die Vortraghalterinnen formulieren als auch Antworten darauf finden, was uns Hoffnung macht.

Rundum kamen wir an die Reihe, gute Menschen wurden genannt, natürlich Gott und als alle erwartungsvoll zu mir schauten, zeigte ich auf meine Maske und sagte: "Dies hier macht mir im Moment tatsächlich die größte Hoffnung ..."

Die ganze Situation, mit Pappkärtchen und Eddings, erinnerte mich sehr an die Siebziger, ob nun im Konfirmandenunterricht oder auf Exerzitien, sehr oft saßen wir so da, sollten Gruppenarbeit machen, und spätestens jetzt hätte ich mit meiner Antwort für eine tiefgehende Diskussion gesorgt, doch hier blieb leider alles an der Oberfläche. Blabla, mehr war es nicht ...

Dann betraten die beiden Rednerinnen wieder die Bühne, machten sich ans Beantworten der Fragen, die teilweise so schlau klangen wie "Ist Religion Wellness?"

Eine lautete, ob Hoffnung auch ohne Gott möglich sei, die katholische Dame sagte, das sei gewiss so, nur dann eben deutlich schwerer, was mich zum Nicken brachte.

Sofort beugte sich A. zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: "Genau das, was du einmal zu mir sagtest."

Nun staunte ich wirklich, denn ich entsann mich sehr gut an dieses Gespräch, was wir ziemlich zu Anfang unserer Beziehung führten, als sie noch sehr viel weniger Deutsch verstand.

Ich hatte ihr damals erklärt, dass ich halt keinen Glauben habe, der mir sagt oder gar vorschreibt, was richtig oder falsch ist, sondern dass ich selber denken muss und dass ich natürlich den Halt, den sie in ihrem Gott findet, aus mir selber ziehen muss, und klar sei das anstrengender und schwieriger.

Trotz ihrer Sprachschwierigkeiten hatte sie das offenbar sehr gut verstanden und das ist etwas, das ich ungeheuer an ihr mag, ihre Intelligenz. 🙂

Und dann rührte sie mich noch sehr an, denn zwischendurch verschwand sie immer wieder im nebenan extra bereitgestellen Raum, wo die muslimischen Frauen ihre Pflichgebete verrichteten, und einmal, als sie zurückkehrte, flüsterte sie mir zu, diesmal habe sie für F. gebetet. 🥰

Und dann war es endlich so weit, ganz feierlich wurde das Fastenbrechen eröffnet, indem es nach einer getrockneten Dattel die obligate Linsensuppe gab, die fleißige Musliminnen an den Tischen verteilten, bevor wir uns endlich aufs Büffet stürzen durften.

Für mich kam dann der Moment, wo ich die Maske kurz abnehmen musste, denn sonst wäre es mit dem Essen extrem schwierig geworden, aber nach zwei vollen Tellern mit allerlei Köstlichkeiten und anschließendem Nachtisch landete sie gleich wieder in meinem Gesicht und dann wurde es auch schon Zeit für den Abschied, denn M. hatte A. geschrieben, dass der Sohnemann nach ihr verlangte.

Im Auto wurde es etwas schwierig, weil ich zwischen meinen Füßen einen Topf mit Linsensuppe halten musste und auf den Händen zwei Teller mit anderem Naschwerk balancierte.

Letztere waren für uns bestimmt, auch von der Suppe hätte ich für uns mitnehmen können, musste aber dankend ablehnen, da ich das Essen für heute schon fertig stehen hatte.

So war der Abend also - das ganze oberflächliche Blabla hätte ich nicht gebraucht, aber was mir gefiel, war, wie sich da Frauen ganz unterschiedlicher Nationalitäten, Hautfarben und Religionen einfach zusammentun und gemeinsam etwas auf die Beine stellen. (Auch an unserem Tisch saß neben drei Türkinnen auch noch eine erst vor fünf Tagen eingetroffene Ordensfrau aus Pakistan, der ihre Mitschwester jedes auf der Bühne gesprochene Wort leise auf Englisch übersetzte.)

Und dann natürlich das Beisammensein mit A., die am Tisch wieder einmal die Geschichte zum Besten gab, wie wir uns kennen lernten und was sich daraus entwickelte. In ihrer türkischen Community ist es eh bekannt, sogar ganz Fremde sprechen mit bei solchen Veranstaltungen an: "Ah, du bist also die xxx ...", aber den deutschen Frauen war es natürlich neu und eine davon zeigte sich so interessiert an einer solchen Verbindung, dass A. sie sich gleich organisierte als Sprachpatin für ihre Freundin, die ich inzwischen ja auch gut kenne.

Hinterher im Auto meinte sie dann, es sei seltsam, bei mir würde sie rund 80% dessen verstehen, was ich sage, aber alle anderen Deutschen würden offenbar Dialekt reden, denn auch bei dieser Claudia habe sie kaum etwas verstanden. 😅

Nein, wirklicher Dialekt wird hier eigentlich kaum gesprochen, ich denke, es liegt eher an der Schnelligkeit, denn wenn wir reden, versuche ich natürlich, mich so gut wie möglich auf sie einzustellen, spreche langsam, sehr deutlich und ich kenne ja auch ihre Stolpersteine recht gut, ahne, wo wieder mal ein Haken sitzen könnte, und gehe dann schon von mir aus darauf ein.

Fakt ist, wir müssen uns wieder öfter treffen, zumal sie auch in der nächsten Woche mit einem sechsmonatigen PC-Kurs beginnt zum Thema Apotheker-Fachsprache.

Deutsch und Lateinisch werden wichtig sein, beides habe ich ganz gut gelernt - schon während des Abends hatte ich ihr beispielsweise den Zusammenhang von "Globus" und "Globuli" erklären können, was ja aus dem Lateinischen stammt und Kugel bzw. Kügelchen bedeutet. 

Will sagen, wir werden uns nicht zur zum Vergnügen zusammensetzen, sondern auch unsere Arbeit wird weitergehen.

 

Unnu muss ich hurtig los zu Aldi und Rossmann, die sich ja nun nebeneinander befinden.

 

Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉

4 Kommentare:

  1. Bei netto gibt es in dieser Woche hier bei uns eine Rabatt - Aktion. Man kann selbst bestimmen wie groß der Rabatt ist. Und da ich kein Auto hatte lief in den Nachbarort um bei netto ein zu kaufen. Gestern habe ich noch einige Rabattmarken im Papiercontainer gefunden. also habe ich zwei 15 % Marken für Kaffee (ganze Bohnen) gehabt. Mit muslimischen Gebräuche kenne ich mich nicht aus. Dein Bericht davon war interessant zu lesen.

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    1. Diese Coupons bekamen wir hier auch ab und zu mal. Inzwischen scheint es allerdings keine Prospekte mehr zu geben, von daher wird es sie vermutlich nur noch über die App geben, aber den mit 15% habe ich auch immer für Kaffee genommen.
      Was war denn mit deinem Auto oder fährst du grundsätzlich noch nicht wieder damit?

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  2. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“

    Ein wunderbarer Blog, ich habe ihn sogar mehrfach gelesen, das mir ja nix entgeht. – Endlich mal wieder „Rex-Mama“ und „A“ Momente.

    Über die Formulierung „Ich hätte mir zwischendurch wohl einen Rockerclub gewünscht“. Habe ich sehr gelacht.

    Ich konnte mich sogar daran erinnern das du mit „A“ unterwegs warst bei so einer Art Event.
    Doch dass das schon ein Jahr her war, hätte ich nie und nimmer gedacht. Wo ist die Zeit hin?

    Beim Büffet wäre ich wohl auch schwach geworden.
    Solche Balance-Aktionen im Auto kenne ich von früher noch. Als Opa und Oma noch lebten, den Bauernhof hatten, brachten wir fast immer irgendetwas mit, dass wir im Auto heile bis nach Hause bringen mussten.

    Aber ja, am Ende bleibt dieser schöne Gedanke: so viele unterschiedliche Frauen, zusammen an einem Tisch, und genau das ist doch das eigentlich Wertvolle an solchen Veranstaltungen.

    Und dass A. sich gleich eine Sprachpatin für ihre Freundin organisiert hat, wunderbar!
    Sie packt Chancen beim Schopf!

    Noch mehr mochte ich allerdings, dass da wohl wirklich eine tiefe Freundschaft zwischen Euch ist, man merkt gar nicht, dass ihr längere Zeit euch nicht ausdauernd miteinander beschäftigt habt.

    Es freut mich sehr, dass „A“ so ein lieber Mensch auch ist.
    Ich finde „A“ klingt sehr modern, dass sie so auf diese verhüllt sein Wert legt, ist wohl Prägung?

    Wobei „M“ wenn ich mich so zurückerinnere auch nicht den Eindruck machte als unterjoche er „A“.

    Viel Erfolg für A. mit ihrem PC-Kurs! … und für dich „F“ und dich natürlich auch weiterhin allerbeste Gesundheit.

    Das du auch in Latein bewandert bist, dass habe ich wahrscheinlich bisher überlesen oder einfach vergessen!



    Liebe – lohnenswerte – Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Doch, lieber lifeminder ich hatte 4 Fremdsprache in der Schule und Latein sogar schon ab der fünften Klasse. 9 Jahre lang paukte ich es und am Ende sogar noch freiwillig übers große Latinum hinaus.
      M. muss A. nicht unterjochen, beide sind ja glühende Gülen-Anhänger, weshalb sie auch vor Erdogan fliehen mussten. Vielleicht kann man das ansatzweise mit evangelischen Freikirchen vergleichen - fundamental ausgelebter Glaube steht über allem, doch nebenher wird auch sehr viel Wert auf Bildung gelegt. (Anders kann man die Welt irgendwann nicht beherrschen ...)
      Unser Verhältnis ist schon wirklich eng geworden und auch in der Zeit, in der wir uns nicht so oft sehen konnten, standen wir ja über WhatsApp immer wieder in Kontakt.
      Da ist einfach ganz viel Wärme und das Wissen, dass man sich aufeinander verlassen kann. 🥰
      Es muss eine wunderbare Zeit gewesen sein, als deine Großeltern noch lebten und auch der Bauernhof noch existierte, nicht wahr?
      Sicher war es für dich ähnlich wie für mich im Dörfli ... :-)
      Und grins, jo, ich habe ja in meinem Leben wirklich in die unterschiedlichsten Milieus hineingeschnuppert und eines steht fest, unter derben Rockern fühlte ich mich sehr viel wohler als unter derartig vielen Frauen, die sich gegenseitig zu überbieten versuchen, wie gut und fromm sie doch sind.
      Zum Glück komme ich aber mit allem klar ... ;-))

      Liebe Lohn-und-Wert-klingen-gut-Grüße zurück! :-))

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