... und das ging schon beim Einsteigen los, als A. mich pünktlich auf die Minute vor unserem Haus einsammelte, denn durch die getönten Scheiben hatte ich gar nicht gesehen, dass die Rückbank voll war, nämlich mit ihren Kindern und einer Frau, die sie mir dann als ihre Nachbarin vorstellte.
Eine Aserbaidschanerin, die mit ihrem türkischen Ehemann 17 Jahre lang in der Ukraine lebte, mit ihrer Familie nach hier flüchtete und noch so gut wie kein Wort Deutsch spricht.
Auf dem Gelände des gülenistischen "Bildungs-"Vereines wurde ich sofort aufs Herzlichste von einigen Damen begrüßt, die ich trotz ihrer streng muslimischen Kleidung inzwischen ganz gut auseinanderzuhalten lerne.
Den großen Saal kenne ich schon von anderen Veranstaltungen, wieder waren Tischgruppen für jeweils acht Leute feierlich hergerichtet, sogar ganz neue weiße Stuhlhussen gab es und dann fiel mein Blick direkt auf C., vor allem, weil man sie gar nicht überhören kann.
C. hatten wir vor zwei Wochen bei dieser anderen Iftarveranstaltung kennengelernt und ich hatte sie zunächst für eine der weltlich gekleideten Nonnen gehalten, an deren Tisch man uns platzierte, weil sie so wirkte, als wisse sie über alles Bescheid, gehöre also vermutlich mit zu den Veranstaltern.
Dann stutzte ich allerdings, als ich mitbekam, wie sie jemandem erzählte, sie beziehe wegen psychischer Probleme schon seit 12 Jahren Erwerbsunfähigkeitsrente, das hatte ich im Zusammenhang mit Kloster so noch nie gehört und spätestens, als sie etwas von ihrem Mann sagte, fiel der Groschen dann. Die war ja gar keine, tat nur so, als würde sie zum festen Stamm gehören ...
Ich kann es gar nicht so richtig in Worte fassen, aber irgendetwas an dieser Frau behagte mir von Anfang an nicht, dann war ich abgelenkt, merkte aber etwas später, dass es zwischen ihr und A. um "Sprachpatenschaft" ging.
Das Wort hatte ich noch nie zuvor gehört, stutzte so vor mich hin und begriff erst auf dem Rückweg im Auto, dass C. sich offenbar als solche anbot und A. dann dachte, sie könne sie für ihre Freundin G. klarmachen, die junge Ärztin, die ich ja auch schon recht gut kenne.
A. sagte, dass sie große Mühe hatte, C.s Deutsch zu verstehen und anscheinend beruhte das auf Gegenseitigkeit, denn C. schien der Meinung zu sein, nun A.s Sprachpatin zu sein.
Als wir gestern den Saal betraten, war es wieder so wie beim letzten Mal - die letzten Vorbereitungen fürs Büffet liefen noch, C. stand mit türkischen Frauen an einem Tisch, faltete Servietten und hätte ich nicht gewusst, dass sie vor einigen Minuten dort als völlig Fremde aufgekreuzt war, ich hätte geschworen, sie sei fester Bestandteil des Vereines.
Als sie A. erblickte, stürmte sie auf sie zu und riss sie in die Arme, als würden sie sich schon ewig kennen und seien innigst verbunden und kurz darauf brachte sie ihren Mann zu uns an den Tisch, sie selbst hätte noch etwas zu "arbeiten".
Er begann sofort ein Gespräch und als sie sich dann dazugesellte, sie nahmen nun die Tischseite im rechten Winkel zu mir ein, versuchte ich unmerklich meinen Stuhl etwas weiter zu A. zu rücken, weil sie nicht nur aufgrund ihrer Staturen irgendwie sehr wuchtig auf mich wirkten, beide etwas too much vom allem, überjovial irgendwie, ohne dass der kleinste Hauch von Wärme spürbar war.
Und nun ging es kreuz und quer mit den Gesprächsfetzen, war es doch aufgrund der allgemeinen Lautstärke gar nicht so einfach, alles mitzubekommen, und prompt stöhnte C. auf, dieses Klirren würde sie verrückt machen. (Ich selber empfand es gar nicht als störend, denn man war halt schon zugange, die Start-Linsensuppe in die Teller zu schöpfen.)
Mit A.s Nachbarin gestaltete sich die Kommunikation naturgemäß schwierig, sie nahm immer wieder eine Übersetzungs-App zur Hilfe und als dort dann ein Satz kam, sie habe Angst, gab C. sofort die Psychologin, Angst sei kein guter Begleiter, ob es dabei um ihren Mann an der Front ginge?
Meine Güte, hatte sie vor lauter Bemühen, möglichst empathisch und zupackend zu wirken, gar nicht mitbekommen, worum es der Frau wirklich ging?
Sie ist fremd hier, spricht Aserbeidschanisch, Russisch, Ukrainisch und Türkisch, aber weder Deutsch noch Englisch. Kultur, Lebensbedingungen, alles ist neu für sie und natürlich fühlt man sich wie amputiert, wenn man sich nirgendwo wirklich verständlich machen kann.
Darum ging es ihr, einfach Angst vor dem täglichen Leben, was ich C. dann auch erklärte, und als ich zu der, um die es ging, dann ein Wort auf Russich sagte, wurde C.s Mann hellhörig.
Wie, ich spräche Russisch? Wo ich das denn gelernt habe? Er selbst sei gebürtiger Pole und in der Schule damit traktiert worden.
Nein, sprechen könne ich es nicht wirklich, antwortete ich, hätte es halt ein paar Jahre lang in der Schule gehabt, doch viel sei davon nicht mehr übrig.
Und nun kam von C. die Frage nach meiner Schule, denn sie ahnte es schon, dass wir das gleiche Gymnasium besucht hatten, weil in unserer Stadt nur dort dank "Papa Seifert" diese Sprache unterrichtet wurde.
Zwei Jahre jünger als ich ist sie, hat drei Jahre nach mit das Abi gemacht und natürlich gab es einiges zu erzählen von damals, auch wenn mir dabei erneut auffiel, wie anders wir die Dinge und Menschen wahrgenommen und bewertet hatten.
Ihr Mann unterhielt sich inzwischen mit dem Türken, der im rechten Winkel zu ihm, damit mir direkt gegenüber saß und mir schon durch seinen Humor aufgefallen war, und nun bekam ich mit, dass dieser berichtete, der habe die AfD gewählt, weil ... , der Rest entging mir zunächst, dann aber erklärte er, er fühle sich nun mal als "deutscher Jung", besonders als Kind dieser Stadt und nun riss C. die Sache wieder regelrecht an sich, begann auf ihn einzureden, ja, das hätten sich die Juden in den Dreißigerjahren auch so gedacht. Dann folgte ein Sermon, was alles zu geschehen hätte im Lande zu Schutz der Zugezogenen und in Gedanken sah ich C. bei den "Omas gegen rechts" vor mir, wenn sie auf die Straße gehen, weil wieder mal ein islamistischer Anschlag stattfand.
Zum Glück lenkte mich A. ab, die mich unbedingt einigen ihrer Freundinnen vorstellen wollte und mich auch fragte, ob es mir recht sei, später mit einer von ihnen heimzufahren, denn sie habe gebetsmäßig noch einiges vor und es würde sehr spät werden bei ihr.
Na klar, warum denn nicht?
Aus dem Augenwinkel bekam ich noch mit, wie C. sich die Aserbeidschanderin krallte und fortan heftig auf sie einredete, doch bei mir selbst wurde es dann immer spaßiger.
Zum einen war da S., eine Deutsche, die mit einem Türken verheiratet ist, und bei der der Funke sofort übersprang.
Erneut ging es um das Thema Sprachpaten, denn sie hatte dafür extra Kurse belegt.
Hui, da staunte ich aber, denn bei A. und mir hatte sich das alles ja nur dank einer Anzeige in der Nachbarschafts-App entwickelt, ohne dass irgendwelche offiziellen Stellen oder gar NGOs involviert gewesen wären.
Was es alles gibt ...
Dann kamen zwei weitere Türkinnen hinzu, die eine mit, die andere ohne Kopftuch, Erstere war die, die mich später mitnehmen sollte und die mir aus A.s Erzählungen schon bekannt war, war es doch die mit dem Schnittblumenstand auf dem Wochenmarkt.
Den Magen habe sie sich verkleinern lassen, erzählte sie und schon waren wir mittendrin im Thema, bei dem ich ja auch mitreden kann. Wirklich lustig wurde es, weil beide meinen Humor teilten und wir gehörig über uns selbst lachen konnten, nicht alles so verkniffen ernst sahen.
Auch F., so heißt sie, hat einen Hund, also hatten wir schon das nächste Thema und so ging es doch glatt weiter.
Ach ja, zwischendurch hatten wir natürlich auch noch gegessen, uns am wieder sehr reichhaltigen Büffet bedient und obwohl ich schon pappsatt war, schleppte A. dann auch noch einen Teller mit süßen türkischen Köstlichkeiten zum Nachtisch für mich an, die ich irgendwie auch noch komplett in mich hineingestopft bekam.
Dann erst folgten diese ganzen Gespräche, es war ein Kommen und Gehen um uns herum, irgendwann kam auch A. mal wieder vorbei, unterhielt sich kurz mit F. - offenbar ging es noch einmal ums Mitnehmen, dann bat mich F., ob ich wohl noch etwas Zeit hätte, sie habe noch was zu erledigen.
Wieder sprachen sie Türkisch, dann erklärten mir beide, A. habe ihr eben verraten, dass auch ich Raucherin sei, denn genau darum ging es, um eine Zigarette auf dem Hof, der ich mich natürlich gerne anschloss. 😁
Zu dritt standen wir draußen, wieder gings ums Abnehmen und wieder hatten wir sehr viel Spaß miteinander - beide sprachen hervorragend Deutsch - und dann zeigte die Uhr schon 22 an und es wurde Zeit für die Heimfahrt.
Wieder ein ziemliches Herumgewusele, Umarmungen zum Abschied (ich selber immer mit Maske 🙄), dann marschierten wir über den stockdunklen Parkplatz zu ihrem Auto, das mich mehr als verblüffte.
Ein dicker SUV, so viel hatte ich erkennen können, doch als sie nun von außen die Beleuchtung einschaltete und mir die Beifahrertür öffnete, bekam ich den Mund fast nicht mehr zu.
"Fliegen wir etwa nach Hause? Das sieht ja eher nach Flugzeug-Cockpit denn nach Auto aus." 😲
Überall Lichter, Bildschirme und als ich mich wunderte, wie sicher sie in dieser Düsternis ausparkte, lachte sie, nein, das würde das Auto ja ganz alleine für sie erledigen. 😲
"Wie heißt das Ding denn? Ich muss davon meinem Mann gleich doch erzählen", fragte ich breit grinsend und erfuhr, dass es sich um einen vollelektrischen Audi Q7 handelte.
Sie selber habe so eine Luxuskarosse wahrlich nicht gebraucht, meinte sie, aber ihr Mann ... 🙄
Jo, kennt man ja, wir lachten beide und unterwegs wurden unsere Gespräche dann noch sehr viel tiefgehender.
Einige schwere Schicksalsschläge hat sie hinter sich, die Mutter verstorben, der jüngste Sohn ist abgehauen und nun stellte man auch noch fest, dass sich in ihrem Kopf etwas befindet, was da nicht hingehört. Es müsse noch abgeklärt werden, ob es sich um einen Tumor handelt.
"Mein Gott ... ", sagte ich, legte ihr kurz die Hand auf den Arm - wir standen gerade an einer Ampel - und fragte sofort nach, ob sie wenigstens jemanden hat, mit dem sie über diese Ängste reden kann?
"Nein, nicht wirklich", lautete ihre Antwort, "du glaubst gar nicht, wie gut mir gerade deine kleine Geste tat. Ich habe einfach gemerkt, dass du dich sofort in mich hineinfühlen konntest, deshalb kann man dann auch leichter darüber reden."
Und noch über andere Dinge sprachen wir, so intensiv, dass sie bei uns gegenüber kurzerhand noch auf den Bürgersteig fuhr, damit es weitergehen konnte.
Schon bevor wir starteten, hatten A. und sie beschlossen, dass wir unbedingt mal ein Frühstück zu dritt machen sollten, nun kam sie noch einmal darauf zurück, sie freue sich sehr, mich dann bald wiederzusehen, woraufhin ich zurückgab, auch ich habe mich gefreut, sie kennen zu lernen, nachdem A. ja schon öfter von ihr erzählt hatte.
Oh ja, das ginge ihr auch so, denn im Gegenzug hätte A. ihr schon häufig von mir erzählt und immer wieder erwähnt, wie gut ich als "Lehrerin" sei, zumal ich sie auch durchaus korrigieren würde.
"Na klar mache ich das", sagte ich lachend, "sie bemüht sich ja so sehr um korrekte Grammatik, also muss ich ihr wohl oder übel sagen, wo sie Böcke schießt."
Noch eine ganze Weile quasselten wir weiter, ich merkte deutlich den übergroßen Druck auf ihrer Seele und wir waren uns einig, wie wichtig es ist, Dinge zu formulieren, einfach mal raus aus'm Kopf zu kriegen, bis ich dann schließlich zu ihr sagte:
"Weißte was? Wenn du was loswerden magst, lass dir doch einfach von A. meine Nummer geben wegen WhatsApp ..."
"Ach was, dafür brauchen wir gar keine A.", meinte sie nun und schaltete wieder die pompöse Innenbeleuchtung ein. Schon hatten wir die Nummern ausgetauscht und ganz sicher werde ich am Freitag auf dem Weg zum Einkaufen mal an ihrem Marktstand vorbeischauen.
Auch S., die Deutsche mit dem türkischen Mann, hatte zum Abschied zu mir gesagt, sie würde sich sehr freuen, wenn wir uns bald mal wieder über den Weg liefen, so dass ich als erstes Fazit aus dem Abend mal Folgendes sagen kann:
Ich fühlte mich wieder ungeheuer gut aufgehoben, umgeben von und aufgenommen mit sehr viel herzlicher Wärme, aber das ist es nicht allein, sondern auch diese schlichte Offenheit, mit der diese Frauen miteinander umgehen, packt mich einfach.
Wirklich angenehm, mit Ausnahme von dieser C. halt, die dagegen irgendwie unecht wirkt.
Ich will nicht vorschnell "urteilen", könnte mir aber denken, dass bei ihr wie bei meiner alten Freundin A. eine bipolare Störung vorliegt. Als sich sich über das Klirren so unverhältnismäßig aufregte, hatte ich das Gefühl, sie könnte gleich durchdrehen, ganz kurz nur, dann stürzte sie sich regelrecht auf die nächste Aktivität, so als wolle sie ihre psychischen Probleme mit übermäßigem Aktivismus überdecken, und auch als der Moderator nach dem Programmteil mit seinem Mikro herumging, um Kommentare zum Abend zu erfragen, meldete sie sich schon von sich aus und irgendwie erschien mir auch das, was sie zu sagen hatte, an den Haaren herbeigezogen.
Es ging um die musikalische Einlage, genauso grottenschlecht wie vor zwei Wochen, diesmal war es eine Frau, die einer Flöte sehr viele schiefe Töne entlockte.
Der Moderator sagte hinterher fast entschuldigend, dieses Instrument sei wirklich sehr schwer zu spielen, er habe es selber einmal versucht, sei kläglich gescheitert und auch den anderen Anwesenden sah man an, dass sie eigentlich alle froh waren, als die "künstlerische Darbietung" vorbei war, doch C. monierte nun, ihr haben unbedingt nähere Erklärungen gefehlt, um was für Stücke es sich bei dieser "wunderbaren Musik" gehandelt habe.
Da war es wieder, dieses "too much", und ich fress nen Besen mitsamt allen Borsten daran, wenn sie das wirklich ernsthaft interessierte und nicht nur der Demonstration dienen sollte, wie tiefgründig sie in das islamische Leben einzutauchen bereit ist.
Abwarten, sicher wird sie mir nun noch öfter begegnen. Vielleicht lerne ich sie dann ja doch noch mit anderen Augen zu sehen. 😉
Noch kurz zu gestern früh, als ich ja das Fotobuch abholte, das ziemlich gut geworden ist, auch wenn es mich stört, dass die die erste Fotoseite nun direkt innen auf den Einband drucken. Hinten das Gleiche und so wirkt das Ganze dann am Ende wie ein Bilderbuch für Kinder.
Außerdem verblüffte mich mein nun schon in den letzten Zügen liegendes Zehnerticket sehr, das ja am 1.4. seine Gültigkeit verliert.
Als F. ins Krankenhaus kam, hatte ich es übers Internet gekauft, entwerten ließen sich die vielen Fahrten kaum einmal, also hatte ich immer noch 7 Fahrten zur Verfügung.
Auf dem Hinweg entwertete ich korrekt, doch als ich nach nicht mal einer Stunde den Rückweg antrat, ging es nicht, weil das erste ja noch gültig war.
Also fuhr ich mit dem gleichen Ticket gezwungenermaßen auch wieder zurück und habe jetzt immer noch 6 offene Fahrten. 🙄
So, das war's für heute, nun muss ich den gestrigen Abend erst mal so richtig sacken lassen ...
Habt einen schönen Sonntag und ... bleibt bitte gesund! 😉