Montag, 7. April 2025

Familiär

Los damit ging es schon am Morgen, als mir mein Bruder dieses Bild hier schickte:


Mit der Bemerkung: "Erinnert mich voll an dich."

"Ja, warum das denn?", fragte ich zurück und er schrieb mir Folgendes:

"Wie du als strahlender Held mich im Wald beschützt hast."

Meine Antwort: "Hihi, nicht nur dort, sondern auch im Keller und vor allem vor bösen, schwarzen Männern, die aus Tümpeln steigen."

Wir plänkelten noch eine Weile nett herum, aber meine Gedanken waren längst in der Vergangenheit gelandet, bei dem Tag, auf den er sich u.a. bezog und den ich noch sehr oft aufs Butterbrot geschmiert bekam.

Wie fast immer sonntagmorgens war Papa mit uns beiden unterwegs, wir müssen etwa 3 und 5 Jahre alt gewesen sein, so wie auf diesem Foto hier:


 Wir marschierten über den Kaiserberg und als wir in die Nähe eines kleinen, algigen Tümpels kamen, wollte ich - immer im Beschützermodus -, dass Brüderlein an meine Hand kam, worauf er aber wenig Lust hatte.

Also erklärte ich ihm, dass aus dem Wasser sonst ein dunkler Mann käme, der kleine Jungens frisst. Das wirkte und im Grunde hatte ich damit schon damals das Prinzip verinnerlicht, nach dem Religionen und andere Ideologien seit jeher funktionieren: Angst machen, Heilsversprchungen abgeben, und schon hat man die Leute da, wo man sie haben will. 😁

Papa hatte das natürlich mitbekommen und ... statt dass er sich über die Klugheit seiner Tochter gefreut hätte, wurde ich dafür jahrzehntelang mit Spott belegt. 🤣

Dann widmete ich mich erst mal Herrn Hoover, etwas weniger gründlich als sonst, weil ich ja noch meine Tante anrufen und mich vorher unter die Dusche begeben wollte, aber dann fand ich endlich die Zeit und wir quatschten länger als anderthalb Stunden miteinander.

Erstaunlicherweise kam sie überhaupt nicht auf Politik zu sprechen, die ja sonst eines ihrer Lieblingsthemen ist, zu intensiv landeten wir dazu wohl gleich in der Vergangenheit.

Eines haben wir gemeinsam, denn beide waren wir unerwünscht und sollten eigentlich abgetrieben werden, hätten nicht die Umstände dagegen gesprochen.

Bei ihr waren es die Nazis, die Oma einen solchen Eingriff als zu gefährlich für sie selbst erschienen ließen, bei mir war es die Hebamme, die sich bei der ersten Begutachtung verrechnet hatte. Angeblich war Mutterns Schwangerschaft schon zu weit fortgeschritten, eine Abtreibung nicht mehr möglich - mein Glück, denn in Wirklichkeit war sie noch nicht so weit. Hätte die Dame richtig gerechnet, gäbe es mich gar nicht.

Und dann meinte meine Tante, dass uns ja noch mehr verbinden würde, nämlich eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf unsere Erzeuger.

Wobei diese bei ihr selbst allerdings komplett besteht, denn sie hat nicht den Hauch einer Ahnung, wer ihr Vater gewesen sein könnte, kannte nicht einmal Männer, die dafür in Frage kamen, und weiß auch nicht, ob sie sich den Erzeuger mit einem ihrer Geschwister teilt oder ob sie alle drei von unterschiedlichen Männer waren.

In Bezug auf ihre Schwester, also meine Mutter, meinte sie, dass sie sich damals nicht so sicher war, mit welchem der vier H-Brüder sie es gerade hatte, abgesehen vom "Alten", dem "Herrn Doktor" selber, der es dann ja auch war, der meine Mutter von der Ostsee, wo die Familie urlaubte, während Muttern als Saisonkraft malochte, nach hier holte.

So ähnlich hatte es auch bei einer meiner anderen Tanten, der späteren Frau von Papas Zwilligsbruder geklungen. Mehrmals erzählte sie mir, dass sie öfter staunten, wenn der "Opa Doktor" mit Muttern an der Hand irgenwo ums Eck kam.

Was ich sicher weiß, ist, dass sie bei Opa eine Lehre als Arzthelferin machen wollte, nebenher das Abitur nachholen und dann Medizin studieren, doch blöderweise war sie dann mit gerade mal 19 Jahren auf einmal schwanger. (Wie frech es von mir war, mich einfach in ihren Bauch zu stehlen, ließ sie mich immer spüren.)

Ich muss dringend an den Karon heran, in dem immer noch viel Zeugs aus ihrem Nachlass auf mich wartet. Viele Briefe habe ich bereits gesichtet, unter anderem einen Teil des Austausches zwischen Opa und ihrer Mutter, denn sie war ja noch nicht volljährig.

Es ging darum, dass Papa sie unbedingt heiraten sollte, was dieser aber wohl gar nicht gerne wollte, und nun erwähnte meine Tante, dass es da auch um eine mögliche Adoption gegangen sei.

Sie dachte, der Opa hätte Muttern adoptieren wollen, aber ... was hätte das bringen sollen? Oma war doch eh scharf darauf, dass die schwangere Tochter unter die (gut situierte Haube) kam, also kann es sich nicht um die fehlende Genehmigung zur Heirat gedreht haben.

Wahrscheinlicher ist es, dass Opa mich - und nicht sie - hätte adoptieren wollen, was allerdings auch nur wirklich Sinn ergibt, wenn er mein Erzeuger war und sich dadurch verantwortlich gefühlt hätte.

Nichts Genaues weiß man nicht, zumal da auch noch der Onkel H. war, der damals Jura studierte, später Richter wurde und den Mutter zeitlebens deutlich verehrte. Oft erwähnte sie, dass sie einen ganz besonderen Draht zu ihm hatte ...

Es wird wirklich Zeit, dass ich in den alten Unterlangen weiterforsche. Vielleicht finde ich ja doch noch den ein oder anderen Hinweis, obwohl es letztlich keinen Unterschied machen wird, denn Papa wird immer mein Papa bleiben, ganz gleich, ob nun er oder ein anderer mich in ihren Bauch katapultierte.

Interessant ist es natürlich trotzdem, mir vorzustellen, Papa wäre in Wirklichkeit mein Halbbruder gewesen, mein Opa mein Vater oder ... mein Onkel mein Vater und demzufolge Cousin und Cousine meine Halbgeschwister, was dann ja auch für meine beiden "richtigen" Geschwister gälte. Jesses, die wären u.U. dann nicht nur meine Halbgeschwister, sondern auch noch Halbnichte und Halbneffe ...? *grübel* 😅

(Nur für Papa täte es mir leid, wenn er so über den Tisch gezogen worden wäre, denn sein Leben hätte dann auch anders verlaufen können als mit einer ständig unzufriedenen und unglücklichen Frau. 🙄)

Auf jeden Fall war es ein richtig schönes und anregendes Gespräch, wir lachten viel und wieder einmal hatte ich große Freunde daran, wie jung und geistig absolut fit und flexibel meine Tante auch mit 82 Jahren noch wirkt.

Und nun auch genug davon, ich sollte mich auf den Weg zu Aldi machen, diese Woche ist alles etwas gedrängt, da mir neben dem Donnerstag auch der Freitag für den normalen Alltagskram abgehen wird.

 

Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉


 

8 Kommentare:

  1. Ich war auch unerwünscht. Das hat mich eine ganze Weile sehr sehr belastet. Es hat bei mir sehr lange gedauert. Der Vater eines Klassenkameraden war mein Bruder. Als sie aus der Wohnung ausgezogen sind mietete ich die Wohnung an. Sie ist etwa gleich groß.
    Damals zahlte ich etwa 500 Euro plus 40 Euro für die Garage. ich bezahle das gleiche Geld für einen Stellplatz.
    Ich finde es sehr traurig, dass man dich das spüren lies, denn eine Schwangerschaft fällt ja nicht vom Himmel.

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    1. Genau deswegen hält sich mein Mitleid mit ihr auch in Grenzen. ;-)
      Dann hattest du also einen Bruder, der derartig viel älter war als du, wenn du mit deinem Neffen in einer Klasse warst?
      Mietpreise in Euro habe ich übrigens nie bezahlt, denn wir kauften unser Häuschen ja 1993, und da gab es natürlich noch die gute, alte D-Mark.

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  2. Es ist so entsetzlich, schon wieder so einen Beitrag zu lesen. Deine Mutter ist seit vielen Jahren tot und ich nehme an, sie war nicht mit Absicht unglücklich und zutiefst unzufrieden mit ihrem Leben. Egal was sie getan hat, sie kann sich nicht mehr erklären, rechtfertigen oder etwas wieder gutmachen. Für mich ist es unverständlich und brutal von dir, sie immer und immer wieder derart mit Jauche zu übergießen, so schlecht zu machen, so überheblich und selbstgerecht auf sie zu schauen.

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    1. Naja, ich weiß jetzt nicht wie lange ich deinen Blog lese, bestimmt acht oder zehn Jahre und du sortierst ja nicht zum ersten Mal. Die Tiraden über deine Mutter ändern doch nichts mehr. Die Milch ist verschüttet, das Pferd ist tot, da kannst du nichts mehr retten, auch wenn du dich noch hundertmal beklagst und dich in deinem Leid suhlst. Das tut gut, ich weiß. Ich hoffe aber, dass meine Kinder mal andere Töne und Gedanken für mich finden....

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    2. Was allein von dir abhängt ...
      Es geht im Übrigen nicht um die verschüttete Milch an sich, sondern über die (lebenslangen) Folgen, die dies mit sich bringen kann, und zwar für alle, die davon betroffen waren.

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  3. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“

    17 Flaschen, ein Trolley, ein Eierkarton, eine Henkeltasche, ein stiller F., ein lauter Shredder und ein Apfelbäumchen. Einfach WOW!

    Dein Bäumchen rührt mich. Deine Gedanken dazu auch. Vielleicht ist es ja so, selbst wenn es mit der Apfelproduktion langsam vorbei ist, bleibt immer noch genug innere Kraft für das, was sonst noch so zählt – halt Wurzeln, Standfestigkeit, und hin und wieder ein leckeres Törtchen mit Erdbeeren.

    Die Ostereier finden hoffentlich ein neues Zuhause.

    Ich wünsche dir sehr, möge das nächste Leergut leichter sein und dir viel mehr einbringen.



    Liebe – Pfandflaschen – Grüße
    Vom lifeminder

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  4. Hallo, Liebe „Rex-Mama!“

    Dein Beitrag ist durchaus wie ein Puzzle mit überraschenden Teilen. Man beginnt mit Tümpel-Monster und findet sich plötzlich in einem Dickicht aus Halbwahrheiten, Ahnungen und Briefen wieder. – Denn musste ich erneut eins, zweimal Lesen, das ich überhaupt das alles aufnehmen konnte, was mich darin erwartet hat.

    Gerade wie du diese Gespräche mit deinem Bruder und deiner Tante schilderst, hat etwas so wundebares Unheimlich-Vertrautes. Diese Mischung aus Leichtigkeit und tiefem Erleben kenne ich auch aus manchen Momenten mit älteren Familienmitgliedern.

    Dass es die „Rex-Mama“ nicht gegeben hätte, wollen wir uns erst gar nicht vorstellen!
    Dann dieser kleine Satz: „Papa wird immer mein Papa bleiben“ – der sitzt. Mehr braucht’s manchmal nicht, um klar zu machen um was es geht.


    Liebe – Puzzleteile – Grüße
    Vom lifeminder

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    1. Genau das ist es, lieber lifeminder, nichts auf der Welt wäre so, wie wir es wahrnehmen, wenn es den Moment davor nicht gegeben hätte, und diese Kette ließe sich natürlich bis zum Urknall zurückverfolgen, wenn wir nur jede Einzelheit kennen würden.
      Ein riesiges Puzzle also und das gilt auch für uns selbst, sind wir doch letztlich das Produkt aus unseren Genen und allem, was wir jemals erlebten.
      Die Frage ist dann, ob man sich quasi mit der Bildvorlage begnügt oder sich die Mühe macht, das Puzzle so gut wie möglich selber zusammenzusetzen, sich dem stellen mag oder kann.
      Zur Not gibts dann ja auch noch professionelle Helfer die sich großen Zulaufes erfreuen. ;-)

      Liebe Puzzle-Grüße zurück! 😉

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