... oder Luftmann, wie dieser eine sich ja immer selbst am Telefon meldet, mir unverhofft schon ab 8 Uhr freigegeben hatte und dadurch direkt das nächste Treffen mit A. möglich wurde, lief ich pünktlich um halb elf bei ihr ein.
Ganz nach türkischer Art gab es gefülltes Pfannenbrot, Schafskäse, Oliven, Gurke, Tomate und eine Art Salat, den sie aus gerösteten Auberginen und Paprika angefertigt hatte. Dazu für mich Nescafé, den sie aber nicht mit Wasser, sondern mit Milch aufgießt.
Ganz begeistert bin ich davon, wie sich der Rahmen für unsere Gespräche stetig erweitert. Zwar sind ihre Sprachkenntnisse immer noch mehr als ausbaufähig, da sie ja mit Ausnahme von mir nach wie vor keinerlei Kontakt zu Deutschen hat, aber trotzdem lernt sie immer mehr hinzu und wir sind inzwischen so eingespielt, dass ich sehr gut abschätzen kann, was sie ohnehin versteht und was ich ihr auf welche Art erklären muss, damit sie kapiert, was genau gemeint ist.
Z.B. "sowieso", hihi, daran biss ich mir gestern fast die Zähne aus, denn ein Synonym dafür fiel mir absolut nicht ein, also versuchte ich es ihr anhand vieler Beispiele näherzubringen.
Bei Gelegenheit muss ich sie einmal fragen, wie sie einst überhaupt über Christen dachte. Hatte man ihr wie so vielen Muslimen beigebracht, dass es sich einfach nur um "Ungläubige" handelt?
Auf jeden Fall merke ich, wie begierig sie darauf ist, mehr darüber zu erfahren - womit sie ja bei einer Atheistin genau an der richtigen Adresse wäre. 🤣
Wobei es aber letztlich gar keine Rolle spielt, ob ich jemals daran glauben konnte oder nicht, denn geprägt wurde ich ja trotzdem sowohl evangelisch wie auch katholisch und überdies bekam ich reichlich Einblicke in diverse Freikirchen, so dass ich durchaus davon erzählen kann.
Nach wie vor ist A. fasziniert von den Nonnen, die wir bei einer der Iftar-Veranstaltungen kennen lernten. So etwas kennt sie aus dem Islam gar nicht, wo man ja großen Wert auf die Vermehrung legt und nicht auf die Idee käme, zur Freude Gottes darauf zu verzichten.
Als ich erwähnte, dass es auch Klöster gibt, in denen ein Schweigegebot gilt, bekam sie ganz große Augen: "Aber mein Gott kann doch nicht wollen, dass ich meine Stimme nicht benutze?" 😲
Woraufhin ich trocken sagte: "Andere würden dich nun fragen, ob dein Gott denn wirklich wollen kann, dass du deine Haare niemandem zeigst und immer schwitzen musst?"
Was sie dazu brachte, laut aufzulachen, und dann sagte sie etwas ganz Erstaunliches, nämlich, dass dabei natürlich die Prägung durch das persönliche Umfeld die entscheidende Rolle spiele.
Begriffe wie Macho-Kulturen, Emanzipation und Freiheit beschäftigen sie sehr, ich merke, wie es in ihr arbeitet, und natürlich tue ich einen Teufel, sie da irgendwie beeinflussen zu wollen.
Stattdessen erzähle ich ihr von der Geschichte des Westens und wie auch hier die Frauen einst sehr unterdrückt wurden, bis sie anfingen sich dagegen zu wehren.
So bekommen wir nach und nach immer mehr gegenseitige Einblicke in die Kultur der anderen und es fühlt sich vermutlich nicht nur für mich wie eine spannende Reise an, auf der wir uns gemeinsam befinden.
U.a. kamen wir auch auf den Mann ihrer Freundin zu sprechen, der beim Iftar-Abend so frank und frei rausgehauen hatte, dass er die AfD gewählt habe, denn obwohl er selber Moslem sei, lege er großen Wert darauf, dass Deutschland nicht immer noch muslimischer werde.
Eine Ansicht, die A. erstaunlicherweise teilt, so wie sie auch allergrößten Wert auf Laizismus legt, der in ihrem Heimatland ja leider von Erdogan so unterwandert wurde.
So flog die Zeit dahin und hatte ich gedacht, dass sich dank dieses ursprünglich ja gar nicht geplanten Treffens das für den Montag angedachte damit nun erledigt hätte, hatte ich mich geirrt, denn zum Abschied kündigte sie an, dass Montag dann auch ihre Freundin G. dabei sein würde, die junge türkische Ärztin, die hier nicht von Ämtern, sondern von dem Geld lebt, das ihre Eltern ihr schicken, und die nun keine Stelle findet. Sie ist direkt nach dem Studium hergekommen, d.h. ihr fehlt nicht nur die Sprache, sondern auch noch jegliche Berufserfahrung, das ist eine ganz ungute Mischung. 🙄
Auf dem Rückweg traf ich die Nachbarin, die vor einigen Wochen ihre einzige Tochter verlor. Sofort sprudelte alles aus ihr heraus und es zerriss mir schier das Herz, zu sehen, wie schlecht es ihr geht. Nicht nur psychisch, sondern auch körperlich, denn neben diversen ohnehin vorhandenen Erkrankungen und 8 Stents kämpft sie auch noch gegen eine Autoimmunerkrankung, die die Muskulatur befallen hat.
Immerhin hat sie aber gemeinam mit ihrem Lebensgefährten Pläne, die so aussehen, dass sie ihr Haus verkaufen, eine Wohnung nehmen und dann nur noch reisen wollen.
Womit die einst so schöne Nachbarschaft dann schon wieder schrumpfen würde, in der sich gerade ja eh so viel verändert.
Schon seit Wochen wunderte sich F. immer wieder, ob die Familie M. wohl noch hinter L. und H. gegenüber von uns leben würde, die Familie, zu der Bubis böser Erzfeind, nämlich der sehr muskulöse weiße Labrador gehört.
Er sähe das Auto nicht mehr, etwas, das ich überhaupt nicht mitbekomme ...
Also schrieb ich einfach mal L. über WhatsApp an und tatsächlich, F. hatte recht, nein, die seien weg, antwortete sie und auf meine Frage, wer das Haus gekauft habe, bekam ich erst mal drei Kaputtlach-Smileys.
Es seinen Türken, schrieb sie dann und nun verstand ich auch ihr Lachen, denn sie ereifert sich seit vielen Jahren darüber, wie Deutschland sein Deutschsein verlöre - als Tschechin darf sie sich das natürlich erlauben. 😅
Nun sind wir also wirklich sehr schön bunt hier: Nebenan der Wurstbaummann ist ungarnstämmiger Ex-Jugoslawe, L, aus Tschechien, neben ihr, also schräg gegenüber leben Albaner, U. ist natürlich Deutsche, aber neben ihr, also in der kleinen Querstraße wird gerade sehr viel verkauft und immer sind die Neuen strenggläubige Muslime aus arabischen Ländern, die Frauen verschleiert und der Sprache nicht mächtig.
Als ich F. von diesen Neuigkeiten erzählte, meinte er: "Wenn die nun auch noch abhauen, kannste dir schon ausrechnen, was nachkommt. Ich glaube, dann will ich hier allmählich auch nimmer lebe, dann gehen wir auch ..."
Tja, nur ... wohin?
Vielleicht zu A. ins Haus, wo von acht Mietparteien nur eine deutsch ist? 🤣
Es ist halt der Lauf der Dinge, man hat es offensichtlich so gewollt, nur inwieweit das gut ist für den sozialen Frieden, das will ich mal dahingestellt sein lassen, denn in meinen Augen sind es zu viele unterschiedliche Gruppierungen, die hier zusammenleben, obwohl sie sich alle nicht grün sind.
A. erzählt es auch aus der Türkei: Früher sei es dort gut gewesen, durch und durch laizistisch und man habe auch mit Christen oder Andersgläubigen friedlich zusammengelebt, doch nun brodele es immer heftiger durch die vielen Syrer im Land.
Es scheint eine tiefe traditionelle Abneigung zwischen Arabern und Türken zu geben, von den unterschiedlichen Glaubensrichtungen mal ganz zu schweigen, und das sind nur zwei der vielen, die hier aufeinanderprallen, ob nun Muslime und Juden, Russen und Ukrainer oder wer auch immer.
Gnad uns Gott, wenn die Wirtschaft weiter den Bach runtergeht und die Sozialgelder nicht mehr so reichlich fließen, dann könnten uns Sprachgewirr und die so hochgelobte Buntheit bös auf die Füße fallen.
Und nun will ich mal lossausen zum Freitagseinkauf, während die Waschmaschine in dieser Zeit hoffentlich klaglos ihre Dienste für mich verrichten wird.
Morgen muss ich dann Aldi und Rossmann für nächste Woche vorziehen, Sonntag steht eine gründliche Auseinandersetzung mit Herrn Hoover an und Montag bin ich schon wieder bei A.
Langweilig wird mir also eher nicht werden ... 😅
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe „Rex-Mama!“
AntwortenLöschenDas Rätsel um „sowieso“ fand ich toll. Ich habe mal versucht mir das Wort selbst zu erklären, dass war selbst in meiner Muttersprache, die ja nun mal deutsch ist, nicht so einfach.
Bewundernswert find ich auch wie du „A“ stupst, ohne sie missionieren zu wollen, ich glaube das ist auch mit den Grundlagen für eure Freundschaft und tollen Gespräche?
Ob ich mir die „Rex-Mama“ und „F“ in einem anderen Umfeld vorstellen kann? – Ich habe keine Sorge, dass du überall funktionierst und dich schnell zurechtfinden würdest.
Ob „Rex“ das aufgefallen ist, dass sein „Erzfeind“ nicht mehr bellt?
Liebe – bewundernswerte – Grüße
Vom lifeminder