Ein bisschen fühlte ich mich so, als habe ich selbst ein Vorstellungsgespräch, als ich mich mit A. um fünf vor halb zehn in der Fußgängerzone traf, und auch sie erzählte mir später, dass sie ziemlich aufgeregt gewesen sein und gottfroh, dass sie nicht allein hingehen musste.
Pünktlich betraten wir die Apotheke, ich erklärte einer Mitarbeiterin unser Ansinnen und erfreut meinte sie, ja, der Herr xxx (der Inhaber) sei sogar schon im Haus, einen Moment bitte, sie würde ihn anrufen.
Kurz darauf erschien er, ein schlanker, großer Mann von vielleicht 50 Jahren, und bat uns beide mit nach oben - zwei Etagen erklommen wir in einem dieser wunderschönen Altbauten, wie ich sie so sehr mag.
Bevor wir sein Büro betraten, gab er uns erst einmal die Hand, ich stellte mich vor und erklärte auf seinen fragenden Blick hin, dass A. mich gebeten hatte mitzukommen für den Fall, dass sie etwas nicht ganz richtig verstehe, dass ich mich aber selbstverständlich auch zurückziehen könne, wenn er lieber allein mit ihr sprechen wolle.
Letzteres sagte ich mit leichtem Augenzwinkern und traf damit wohl gleich den richtigen Ton, denn er ging sofort darauf ein, nein, meine Anwesenheit sei ihm sehr recht und ... er müsse sich auch für sein etwas derangiertes Aussehen entschuldigen, denn er habe in der Nacht Notdienst gehabt.
"Oh je", fragte ich nach, "war denn viel los?"
Nein, das nicht einmal, aber nun berichtete er von Deppen, die anrufen, ihn also aus dem Schlaf reißen, um sich zu erkundigen, ob er Notdienst habe. Wenn ja, dann kämen sie so in zwei Stunden mal vorbei ... 🙄
Wir waren uns einig, dass manche Menschen einfach nur rücksichtslos und dämlich sind, und dann wandte er sich A. zu, sie solle doch einmal von sich erzählen.
Sie berichtete von ihrem Studium und der Zeit in der Apotheke einer Privatklinik in Ankara, doch als er sich dann erkundigte, warum sie in Deutschland seien, wurde es etwas haarig, denn sie ließ das Wort "Gülenisten" fallen.
Ich muss ihr morgen unbedingt sagen, dass das kein guter Ausdruck ist, weil er irgendwie den Eindruck von Extremismus vermittelt (Gülen-Anhänger klingt milder, finde ich), entsprechend zuckte Herr xxx nun auch fast zusammen und ich merkte, dass ich mich einschalten musste, denn er wusste mit "Gülen" zunächst nichts anzufangen, verwechselte den Namen sogar mit "Imamoglu", dem von Erdogan eingeknasteten Bürgermeister von Istanbul.
Also klärte ich ihn auf, sagte auch ganz offen dazu, dass ich seit zweieinhalb Jahren versuche mir ein Bild zu machen, allerdings bestätigen könne, was auch A. sagte, dass man nämlich sehr viel Wert auf Bildung lege, und dass ich bei meinen Besuchen im Verein immer nur die allerbesten Erfahrungen machte.
Dann erkundigte er sich nach Mann und Kindern - bei Letzterem schaltete ich mich noch einmal ein und erzählte ihm, dass die Tochter ihr erstes deutsches Wort im Kindergarten lernte, es nichtsdestotrotz aber schaffte, in der Grundschule als Klassenbeste abzuschließen und dass sie im Sommer aufs örtliche Gymnasium wechseln würde.
Er schien wirklich beeindruckt und begann nun auch selbst zu erzählen, dass er nämlich in einer seiner drei Filialen eine aus Rumänien stammende Mitarbeiterin habe. Vor zwei Jahren war sie bei ihm angekommen, konnte kaum Deutsch, bat um ein Praktikum und ähnlich wie nun ja auch bei A. habe er zunächst abgewinkt, verspräche sich nichts davon.
Dann habe er sich aber umbesonnen und inzwischen sei sie eine seiner besten Mitarbeiterinnen.
Für mich natürlich der perfekte Punkt einzuhaken, weil es ja nun auch um die Sprache ging, die er übrigens bei A. schon gelobt hatte. Sie beherrsche die deutsche Grammatik inzwischen besser als vermutlich die meisten Deutschen, die man so auf der Straße treffen könne, sagte ich und dass ihr halt einfach die Übung fehle, weil die türkische Community hier derart groß sei, dass sie paktisch überhaupt keinen Kontakt zu Deutschen habe.
Mit Ausnahme von mir und ... gemeinsam würden wir fleißig daran arbeiten.
Zwischendurch bimmelte mal sein Handy, er ging dran und A. und ich nutzen die Zeit uns mal eben die Hände zu drücken und vielsagend anzuschauen, denn es klang alles sehr gut.
Nachdem er aufgelegt hatte, entschuldigte er sich, aber das sei seine Frau gewesen und es sei vorteilhaft für ihn, sich mit ihr gutzustellen.
Hihi, lachte ich, davon könne mein Mann auch ein Liedchen singen und so hatten wir alle drei immer wieder auch Spaß während des langen Gespräches, in dem ein wirklich guter Draht entstanden war.
Der damit endete, dass er, nachdem er ihre Unterlagen durchgesehen hatte, begann, den Bogen fürs Arbeitsamt auszufüllen, das heißt, sie hat den Praktikumsplatz und am nächsten Montag geht es los.
Genau sechs Wochen lang und hier muss ich mir mal selber auf die Schulter klopfen, denn ich habe mit meiner Einmischung wahrlich den perfekten Zeitpunkt, sozusagen den allerletzten Termin erwischt, weil genau sechs Wochen später die Sommerferien beginnen und dann hat A. natürlich die Kinder den ganzen Tag an der Backe.
Dann war der Papierkram erledigt und er kündigte an uns jetzt noch durchs ganze Haus führen zu wollen, sagte zu mir gewandt: "Dann lernen Sie das auch alles einmal kennen."
Wirklich ansprechend alles, in einem größeren Büro saßen mehrere Damen vor PCs, Herr xxx stellte A. gleich vor, alle begrüßten sie richtig freundlich und was mir persönlich gut gefiel, ist, dass der Chef mit allen per du ist, also nicht den dicken Maxe herauskehrt, wirklich angenehm.
Den Pausenraum sahen wir und die Tür zum "Allerheiligsten", nämlich der Maschine, die dafür sorgt, dass unten hinter der Theke die gewünschten Medikamente ausgespuckt werden, und am Ende lernte A. auch gleich noch die leitende Apothekerin kennen, ebenfalls eine sehr freundliche Frau und dann standen wir wieder in der Fußgängerzone und mussten das Erlebte erst einmal kurz sacken lassen.
Ob wir noch im Bäckereicafé etwas trinken gehen wollten, frage A. und ... natürlich wollte ich.
Beide entschieden wir uns für einen Kakao und sie ließ es sich nicht nehmen, mich einzuladen, was ich aber gar nicht wollte
Doch, gerade heute sei ihr das ein Bedürfnis, meinte sie, also ließ ich sie gewähren und dann saßen wir an einem Tisch und hatten Raum, unsere Freude laufen zu lassen.
Nicht allen Einzelheiten hatte sie folgen können, weil Herr xxx sich weniger Mühe machte als ich, besonders deutlich zu sprechen, aber rasch konnte ich ihr alles erklären und alles Wichtige hatte sie ja sowieso mitbekommen.
Richtig vergnüglich war unser Beisammensein und als wir aufbrachen und ich sagte, dass ich noch zu Aldi wollte, merkte ich, dass sie noch gar keine Lust hatte, sich von mir zu trennen. Kurzerhand begleitete sie mich und nun rächte es sich, dass ich mir ausnahmsweise keinen Einkaufszettel eingesteckt hatte, waren es doch nur wenige Teile, die ich holen wollte
Von denen ich dann natürlich vor lauter Plauderei die Hälfte vergaß, wie ich hinterher feststellte. 🙄
Butter war in großen Mengen um 30% reduziert, ich selber kaufe nie welche, aber A. nahm ein Päckchen in die Hand, schreckte aber - ganz ein Kind der heutigen Wegwerfgesellschaft - zurück, als sie das Datum sah, das nur noch zwei Tage anzeigte.
Ja, sie wisse es ja selber, meinte sie, als ich sie darauf hinwies, was für ein Quatsch das sei, und schließlich legte sie das Päcken mit in meinen Einkaufwagen.
An der Kasse wollte sie es herausklauben, aber ich sagte, lass gut sein, leg es zu meinen Sachen, du hast ja eben den Kakao bezahlt.
Widerwillig fügte sie sich und dann schnappte sie sich meine Tüte, während ich den Wagen zurück an seinen Platz stellte.
"Gib her", forderte ich sie auf, aber nein, sie wollte sie für mich tragen und erstaunlicherweise auch über das Ende des Parkplatzes hinaus, an dem sie eigentlich in die andere Richtung hätte abbiegen müssen.
Hihi, sie wollte sich wirklich noch nicht trennen, begleitete mich bis zu unserer Haustür und als ich sie dort dann fragte: "Traust du dich?", nickte sie tatsächlich und kam mit mir hinein.
Rex leinte ich sofort an, A. begrüßte kurz F., der am PC saß, dann ging ich mit ihr in den Garten, wo im Bereich der Hintertür ja immer zwei Stühle bereitstehen, wenn auch ohne Tisch.
Hier saßen wir dann noch einmal eine halbe Stunde beisammen, sie genoss das Grün und die vielen bunten Blumen, dann aber musste sie sich doch verabschieden, um den Kleinen vom Kindergarten abzuholen.
So lief es also gestern, ein voller Erfolg, und nachdem der Apotheker sich auch meine Daten noch notiert hatte, wünschte ich mir fast, er würde sich aus irgendeinem Grunde mal melden, denn dieser Mann war mir ungeheuer sympathisch und ich habe das Gefühl, wir könnten uns noch viel zu erzählen haben, auch unabhängig von A.
Die mich übrigens auch dringend mal einem weiteren Menschen aus ihrem Verein vorstellen möchte, offenbar ein Anwalt, ebenfalls geflüchtet.
Schaun mer mal, was noch alles so kommt, auch wenn wir unsere Treffen nun in den nächsten sechs Wochen gewaltig werden einschränken müssen.
Dafür kündigte sie aber für die Sommerferien allerhand Unternehmungen an, bei denen sie mich gern dabei hätte.
Sie hat für sich und die beiden Kinder Karten gekauft, die sie in alle möglichen Sehenswürdigkeiten oder Erlebnisstätten gratis oder zum stark ermäßigten Preis hineinkommen lassen. Ob Zoo, Hafenrundfahrten, Museen, sehr viel Verschiedenes ist dabei und ich freue mich schon dolle darauf, auch aufs Freibad, wo sie mich sozusagen zur Sicherheit benötigt, denn weder sie noch die Kinder können bisher schwimmen.
Ist es nicht erstaunlich, was sich alles darauf entwickelte, dass ich ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit vor nun schon zweieinhalb Jahren zufällig mal in die Nachbarschafts-App hieinschaute und M.s Anzeige entdeckte? 😊
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Das freut mich doch wirklich sehr, daß deine Bekannte den Praktikumsplatz in der Apotheke bekommen hat. Ich gestehe auch, daß wenn mir Jemanden von Gülen erzählt hätte ich große Probleme bekommen das richtig ein zu ordnen. Zu den "Helden" die beim Apotheker angefragt haben, ob er Nachtdienst hätte vermag ich nur sagen: dumm, dümmer, deutsch !
AntwortenLöschenOb dieser Anrufer Deutscher war, sagte er nicht, aber ich glaube, in Punkto Rücksichtslosigkeit spielt die Nationalität keine Rolle.
LöschenHallo, Liebe „Rex-Mama!“
AntwortenLöschenBeim Lesen versprühte diesen Blg so viel Herzenswärme und Miteinander (mal wieeder9 das es ein Fest war. - Ich hätte noch ein Stückchen weiter gelesen. ;)
Wie selbstverständlich ihr euch unterstützt, füreinander da seid – sei es beim gemeinsamen Gespräch, beim Tragen der Einkaufstüte oder mit einem Kakao, Solche Gesten machen Freundschaft spürbar. Auch das Händedrücken zwischendurch großartig.
So schön zu lesen, dass „A“. dir so sehr vertraut. Sogar so sehr dass sie sich bis hinein zu Rex traut! Wie reagiert den „Rex“ nach dem ersten Bellen und aufregen auf „A“ ?
Ich hoffe sehr, dass du und „A“diesen Sommer viele besondere Momente erlebt. Generell würde ich es schön finden wenn du im Sommer auch ein wenig „in die Welt kämst“.
Dass A. das Praktikum bekommen hat, freut mich natürlich auch riesig! Der Apotheker hat da ganz sicher eine tolle Praktikantin gewonnen. – Auch wie ehrlich der Apotheker erzählte von seiner Rumänischen Angestellten fand ich gut.
Noch besser gefiel mir nur mit wieviel Taktgefühl und Klarheit du dich für „A“ eingesetzt hast.
Ich frage mich, wenn du mit dem Apotheker zusammensitzen würdest bei einem Gespräch, ob ich wohl da Inhaltlich einigermaßen folgen könnte? – Zumindest wäre es sicher toll zu sehen, wie da Sätze hin und herfliegen.
Nachdem Apotheker folgt nun noch ein Anwalt, du sammelst ja Berufsgruppn und Menschen wie andere Briefmarke. Das aber durch Herz und nicht mit so einer kleinen Zange.
Dass, du und „A“ schon zweieinhalb Jahre befreundet seid, kann ich kaum glauben, ich dachte an knapp etwas über Jahr oder so.
Man kann euch wirklich nur wünschen, dass ihr so stark miteinander verbunden bleibt. – Übrigens „A“ ist mir wirklich genauso als Charakter im Blog ans Herz gewachsen wie mittlerweile „F“ und „Rex“ aber lass die das ja nicht hören.
Liebe – lebensfrohe – Grüße
Vom lifeminder
Lach, lieber lifeminder, diese Gülen-Anhänger legen ja allergrößten Wert auf Bildung und sehr viele von ihnen sind Akademiker, was allein aber natürlich noch nicht viel aussagen muss über das Spektrum der Gesprächsthemen, wenn so vieles in ihrem Leben sich um die Religion dreht.
LöschenEs hängt halt immer davon ab, wie weit jemand bereit und auch in der Lage ist, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, und dieser Apotheker wirkte mir so, als täte er dies sehr gerne. Deshalb und auch wegen der Locker- und vor allem auch Offenheit war er mir so sympathisch.
Solche Menschen mag ich einfach, die nicht lang herumdrucksen und in sich selbst alles Mögliche hineingeheimnissen, sondern frei von der Leber weg sind. :-))
Rex hat nicht mal gebellt oder versucht hochzuspringen, ich nahm ihn an die Leine und als wir draußen saßen, saß er ganz brav neben mir, dass sogar A. ihn immer wieder ansah und leise Schnalzgeräusche mit der Zunge machte.
Doch wehe, er hat sich bewegt, dann kam sofort ein kleiner Aufschrei. 🤣
Dieses Vertrauen zwischen A. und mir, ja, das hat sich wirklich wunderbar entwickelt, wobei ich denke, der erste ausschlaggebende Punkt war, als M. mich bei unserem ersten Treffen bei ihnen in der Wohnung fragte, ob ich von irgendwoher Geld bekäme fürs Deutschüben oder von ihnen welches erwarte.
Nein, sagte ich, ich wolle einfach nur helfen und selbstverständlich kein Geld dafür haben, weil ich es einfach gut und unterstützenswert finde, wenn jemand sich so aktiv bemüht.
Ich vermute, das hatten sie von einer "Ungläubigen" nicht erwartet, und schon damals sprachen wir dann darüber, dass es halt überall so ne und solche gibt, ganz gleich, welche Nationalität oder Religion.
Und A. hat eine so wunderbare Art an sich, dass ich mich nach jedem Beisammensein sehr wohl und irgendwie innerlich ausgeglichen fühle.
Ich kann es nicht einmal beschreiben, woran genau das liegt, aber es ist einfach so, sie tut mir richtig gut. 🥰
Liebe Lebensfroh-Grüße zurück! :-))
"Rex-Mama": "Sie tut mir richtig gut" - Schöner und genauer mit wenigen Worten, kann man Freundschaft nicht beschreiben.
AntwortenLöschenDa ist alles drin und das sagt alles aus!