Darüber denke ich gerade nach, wieder einmal angeregt durch die Diskussion in den Kommentaren.
Meine Liebe dazu habe ich ganz sicher Großonkel Al zu verdanken, denn meine Oma hatte Lesen immer als Zeitverschwendung verpönt, dadurch hatte meine Mutter nie Zugang dazu gefunden und hatte dementsprechend so gut wie kein Verständnis für meine diesbezüglichen Bedürfnisse.
Ab etwa zwei, drei Jahren wurde ich oftmals für lange Zeit zu Onkel und Tante nach Nordhessen geschickt, sofern sie sich nicht gerade an ihrem Zweitwohnsitz hier in der Stadt aufhielten.
Noch heute habe ich das dicke Wilhelm-Busch-Buch hier, aus dem Al mir ständig vorlas, das ich alsbald fast komplett auswendig wusste und das ich auch bereits mit vier mehr und mehr selber zu lesen begann, denn der Onkel gab sich ungeheuer viel Mühe mit mir und fast meine ich seinen Schoß noch unter mir zu fühlen, auf dem ich saß, wenn wir beide am großen antiken Schreibtisch die Buchstaben übten.
Kreuzworträtsel, jede Woche gab es das große in der HörZu und immer durfte ich die Buchstaben hineinmalen, die Al mir ansagte.
Hach, und dann erst meine Märchen-Schwarten, rauf und runter verschlang ich sie und wenn ich am Ende angelangt war, fing ich halt vorn wieder an, sicher der Grund dafür, warum ich so enttäuscht war, dass uns an der Grenze keine Königin mit Krone begrüßte, als wir mal nach Holland fuhren. 😁
Hier kann man es gut erkennen, wie sauer mich das noch vor dem Strandkorb stimmte, als ich dort mit den Eltern, Tante Kächen und dem kleinen Brüderlein herumlungerte:
Doch zurück zum Lesestoff, der mir fortan ständig auszugehen drohte. Al war der Einzige, von dem ich Bücher bekam, aber ach, ich war ja viel zu schnell, kaum angefangen, hatte ich so ein Buch auch schon komplett durchgelesen.
Zum Glück gab es, zumindest während meiner Grundschulzeit, die Stadtbücherei in erreichbarer Nähe, auch wenn ich dazu ziemlich weit laufen musste, gar nicht so einfach mit 7 oder 8 Jahren, wenn man mit 10 bis 11 Büchern beladen ist, denn drunter tat ich es gar nicht.
Einen solchen Stapel nahm ich mir auch immer mit, wenn ich dann mehrmals im Jahr meine Ferien im Dörfli verbringen durfte, aber nach spätestens zwei Wochen war ich durch damit und dann musste die Bibliothek des Onkels herhalten. Anna Karenina, Effi Briest, Krieg und Frieden und wie sie alle hießen, ich verschlang, was ich in die Finger bekam, und zum Glück gab es damals auch Läden, die gelesene Bücher 1:2 tauschten. Meist waren es dort Taschenbücher, aber auch Groschenheftchen - ganz egal, ich fraß mich durch alles hindurch und konnte am Ende nicht nur bei Goethe, sondern auch bei Jerry Cotton, Lassiter und Hedwig Courths-Mahler mitreden, mal abgesehen von dem, was ja auch in der Schule noch in mehreren Sprachen hinzukam. 😅
Auch in Stuttgart fand ich einen solchen Laden und als ich dann auch noch begann im Versandbuchhandel zu arbeiten, hatte ich natürlich gar keine Probleme mehr, an ausreichend Lesestoff zu kommen, denn wir konnten fest gebundene Bücher als Remittenden für nen Appel und ein Ei erstehen.
Was dann aber auch dazu führte, dass ich bald hätte anbauen müssen, denn die Zahl meiner Bücher wuchs ständig an und ging rasch in die Tausende. 🙄
So hätte es immer weitergehen können, wäre ich dann nicht zufällig an den "Mord auf der Via Appia" von Steven Saylor geraten.
Seltsam eigentlich, hatte ich doch zuvor auch schon unzählige historische Romane gelesen, aber dieser hier hatte es irgendwie in sich, wurden doch Personen wie Caesar und Cicero auf einmal lebendig.
Neun Jahre lang waren sie mir im Lateinunterricht ständig begegnet, aber die drögen Texte, die wir bearbeiteten, hatten sie nie zum Leben erwachen lassen, während es mir nun auf einmal bewusst wurde: Mensch, die haben ja wirklich gelebt, haben so gefühlt und gedacht wie du, hatten Zahnschmerzen und mussten aufs stille Örtchen - sie sind mehr als nur tote Namen, so viel mehr.
Von da an waren es zunächst nur Krimis verschiedener Autoren, die im alten Rom spielten, doch zusehends erweiterte sich das auf andere Inhalte und nach und nach auch auf andere antike Kulturen, womit ich unweigerlich auch bei der Entstehung der monotheistischen Religionen landete und so weiter und so fort.
Eines kam zum anderen, immer öfter las ich parallel zu den Romanen dann auch Sachbücher, wollte herausbekommen, inwieweit die Romanschreiber gut recherchiert hatten, und länger als zehn Jahre versank ich völlig in dieser Welt, in der letztlich die Ursprünge für das liegen, was wir heute als Hier und Jetzt erleben.
Fast war es unausweichlich, dass ich dadurch mehr und mehr das Interesse an rein Fiktivem verlor, denn was soll ich mich mit dem abgeben, was sich irgendwer ausdenkt, wenn die Realität doch so viel spannender ist und es noch so viel zu entschlüsseln zu verstehen gilt?
Außerdem begannen meine Augen schlechter zu werden, was es mir leider immer schwerer macht, im Bett zu lesen, so wie ich es jahrzehntelang jeden Abend tat.
Tagsüber würde mich der Brillenbügel an den Schläfen natürlich nicht stören, aber, seuuufz, da fehlt mir leider die Zeit zum Lesen, also ist es im Moment so, wie es ist, ich lese so gut wie gar nicht mehr, was sich aber auch wieder verändern kann, und egal, ob es das tut, ich bin auf jeden Fall dankbar für die lange Zeit, in der ich in sooo viele Welten eintauchen durfte.
Ich glaube, Menschen wie F., der wie so viele andere in seinem ganzen Leben nie freiwillig ein Buch las, wissen gar nicht, was ihnen entgeht. 😉
So, und nun sollte ich hurtig in die Küche, wo anderthalb Kilo Hackfleisch darauf warten, zu Frikadellen zu werden.
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Ich freue wenn du mit deinen Themen bei mir die Vergangenheit betrittst. Von meiner lieben Patentante bekam ich einige Pippi Langstrumpf Bücher, die ich mit großer Begeisterung gelesen habe. Und ich erinnere mich noch an das Struwwelpeter Buch, das die Runde machte und ich hier das Lesen lernte. Gut die Bilder hier machten Freude beim betrachten. Stell dir vor seit 1845 gibt es das Struwwelpeter Buch. das wusste nicht.
AntwortenLöschenFür mich sind Bücher wichtig. Allerdings mag ich die heute so vebreiteten eBooks nicht. Ich möchte das Buch aus dem Regal holen und darin rumblättern.
Waren es bei dir auch die kleinen blauen Pippi-Bücher?
LöschenIch habe sie rauf- und runtergelesen, genau wie so viele andere auch, und der Struwwelpeter gehörte natürlich ebenfalls dazu.
All die Sachen, die man heute aus links-grüner Sicht für höchst bedenklich und politisch nicht korrekt hält, aber ich schwöre, mir haben sie nicht geschadet. 😅
Mit den eBooks gehs mir wie dir, für mich sind sie gar nix, ich will blättern und vor allem das Buch auch riechen.
Hallo, Liebe „Rex-Mama!"
AntwortenLöschenWie spannend, wie du deine Leselust und die Kindheitserinnerungen miteinander verknüpfst, das hat mir vom ersten Satz große Freude bereitet, wie du zur Leseratte geworden bist.
Oh sorry, Ratten mögen wir ja Beide nicht. Deshalb sagen wir lieber „Lese-Brombeer-Maus“, die finden wir viel besser.
Ich kann mich da reinfühlen. Das Lesen war auch ein ganz wichtiger Begleiter in meiner Kindheit, Jugend – dann ging es etwas verloren, bevor Ende der 90er meine Leselust wieder langsam erwachte.
Interessant finde ich auch den Wechsel, den du beschreibst von Fantasie zu Historie.
Es ist schade, dass das mit dem Lesen im Bett nicht mehr so recht funktioniert.
Kaum was besseres gibt es für mich bis heute als in die Welt der Bücher und damit in Geschichten zu versinken.
Ich freue mich schon auf den Kommentar und die Bewertung durch „F“ zu den gebratenen Frikadellen.
Liebe – wer das liest, kann lesen – Grüße
Vom lifeminder
Diese sehr frühe Leselust gehört zu meiner Kindheit untrennbar dazu, lieber lifeminder, und bei mir ging sie ohne Pause durch.
LöschenDafür hatte ich allerdings so gut wie TV-freie Jahre, was sich inzwischen dank meiner Augen und wegen der veränderten Interessen umgekehrt hat, denn nun ziehe ich es vor, mit im Bett statt Büchern Politdiskussionen oder Dokus reinzuziehen.
Ganz interessant war, wie sich das im Laufe der Jahrzehnte veränderte. Noch als wir hierherzogen, habe ich mich mit Fug und Recht als völlig unpolitischen Menschen bezeichnet, wusste natürlich im Groben Bescheid, hatte aber absolut keine Ahung von tieferen Zusammenhängen und historischen Entwicklungen, ohne die man eigentlich das Hier und Jetzt gar nicht wirklich verstehen kann.
Selber geschrieben hatte ich auch schon immer, eigentlich bereits, bevor ich schreiben konnte, indem ich nämlich für meinen Bruder und mich kleine Rollenspiele entwickelte, mit denen wir uns leise vergnügten, wenn wir immer so früh ins Bett mussten.
In Anlehnung an Pippi gab es da z.B. Annette und Brigitte, die mit einem Schiff allein auf große Fahrt gingen, jeder von uns spielte mehrere Rollen, Brüderlein durfte u.a. den Brotfisch geben, der uns schwimmend begleitete und von dem wir jederzeit abbeißen konnten. :-))
Dieses Schreiben blieb aber immer "harmlos", bis ich dann in den hiesigen Literaturverein mit seinem Autorentreff geriet, wo ich nach und nach kapierte, dass das, was ich schrieb, durchaus bissiger und gehaltvoller werden konnte, je mehr Ahnung ich hatte von dem, was die Welt ausmacht.
Und inzwischen geht mein Interesse an fiktiven Geschichten gegen Null, weil es viel zu viel Reales gibt, das es noch zu ergründen gilt. ;-)
Liebe "Viel wichtiger als pures Lesen ist es, das Gelesene auch wirklich zu verstehen"-Grüße zurück! ;-))