Mal so, mal so ...
In Bezug auf F. hätte es mir gestern sicher geholfen, wenn er seiner Schwester gegenüber den Mund gehalten hätte.
Die beiden tauschen sich über WhatsApp den ganzen Tag über aus, immer wieder mal ein paar Worte und als sie ihn fragte, wie es ihm gehe, schrieb er ihr ganz offen, dass es mit der Atmung grad nicht so dolle sei.
Herrje, glaubt denn wirklich jemand, meine Gedanken würden nicht seit Jahren unablässig um F.s Krankheit kreisen, vor allem um den Grad, den er bereits erreicht hat?
Ständig muss ich alles in meiner Kraft Stehende tun, um die extrem düstren Gefühle zu bekämpfen, damit sie nicht in nackte Panik und bodenlose Verzweiflung ausarten, denn ich muss funktionieren und dabei für möglichst helle Stimmung sorgen, weil die psychische Verfassung nun einmal bei jeder Krankheit eine ganz wichtige Rolle spielt.
Natürlich machte die Schwester sich auch Sorgen, aber wenn mir dann in solchen Momenten jemand daherkommt und meint, er müsse mich nun noch zusätzlich auf die Schwere der Krankheit aufmerksam machen, so als würde sie nicht ohnehin mein ganzes Leben beherrschen, dann ist das verdammt noch mal richtig kontraproduktiv und ich muss noch mehr kämpfen, um nicht unvermittelt abzurauschen in ein tiefschwarzes Loch.
Arzt verständigen, Notarzt rufen, am besten Himmel und Hölle in Bewegung setzen, so lauten dann die guten Ratschläge und ich sitze da mit einem Mann, der ja hellewach, aber absolut dagegen ist.
Wenn es doch nur noch so wäre wie zu Zeiten meines Opas und Onkels, die die Bezeichnung Hausarzt wirklich noch verdienten, denn sie besuchten ihre Patienten bei Bedarf zu Hause.
Heute dagegen wird man völlig allein gelassen, den Ärzten hat man derartig viel Bürokratie aufgebrummt, dass sie für ihren eigentlichen Beruf kaum noch Zeit haben, es kommt einfach keiner mehr, also bleibt nur der Notarzt, der dann mit mal eben fünf Leuten angerauscht kommt, den Betreffenden einpackt, meint, das müsse im Krankenhaus abgeklärt werden, und schon hat man den Salat und ist dort inzwischen immer mehr Keimen und zu dieser Jahreszeit auch Viren ausgesetzt.
Mit der Verantwortung des Abwägens sitzt man völlig alleine da, schwer genug, aber nun geriet ich auch noch in Rechtfertigungszwang meiner Schwägerin gegenüber, die sofort auch noch mit Horrorszenarien wie Wasser in der Lunge anrückte.
Stellt sie sich vor, dass ich hier einen kleinen Jungen sitzen habe, der sich auf meinen Beschluss hin mal eben ins Krankenhaus legt?
Verdammter Mist alles, aber immerhin war die Nacht beschwerdefrei und F. fühlt sich deutlich besser, auch wenn ich hin und wieder immer noch Geräusche höre, wenn er ausatmet, dies allerdings nur, wenn er sich anstrengt, und gerade konnte ich ihn wieder dazu bewegen, mit seinem "Blubber" zu trainieren, was hoffentlich dazu beitragen wird, das festsitzende Zeugs zu lösen.
Da der Gasmann so zeitig gekommen war, schaffte ich es dann endlich, meine Geranien abzuschneiden, denn allmählich wird es Zeit für die Winterbesteckung der Blumenkästen, doch just, als ich anfangen wollte, die Konifere, die ich extra zu diesem Zwecke habe wachsen lassen, wo sie sich einst einfach aussäte, ihrer Äste zu berauben, klingelte mein Handy und die liebe F. war es, die Freundin von A., mit der ich mich ja von der ersten Sekunde an super verstand.
Wie so viele Frauen hat auch sie große psychische Probleme, startet demnächst deshalb in eine fünfwöchige Reha, und schon waren auch wir beide in ihrer Gedankenwelt versunken.
Mit dem typischen Rollenbild ihrer türkischen Kultur wuchs sie auf ... "du bist doch (nur) ein Mädchen, das darfst, kannst oder brauchst du nicht" ..., es mangelt ihr erheblich an echtem Selbstwertgefühl, auf der anderen Seite traktiert sie ihre große Patchworkfamilie aber regelrecht mit Erwartungen, die diese nicht erfüllt, was sie dann wiederum enttäuscht und noch tiefer nach unten zieht.
Meine alte Schulfreundin A., die nach wie vor abgetaucht ist, war ja in den letzten Jahren gleich mehrfach für viele Wochen in der Psychiatrie und immer wunderte ich mich darüber, wie wenig dort geschah, denn statt Aufarbeitung der Dinge, die ihr unbewusst quersitzen, nahm sie dort am Gruppenmalen und dererlei mehr Veranstaltungen teil und bekam Medikamente, doch etwas, das wirklich was in ihrem Inneren bewegt hätte, passierte nicht, also war der nächste Aufenthalt im Grunde jedes Mal schon absehbar.
Meiner Meinung nach sollte dabei Bewusstmachen eine viel größere Rolle spielen, x-mal habe ich erlebt, wie viel das bewirken kann, und so war es nun auch bei F.
Zwei Stunden quatschten wir, lachten viel, sprachen aber auch sehr ernsthaft über ihre Kindheit, in der sie selbst die Ursachen für so einige ihrer Verhaltensweisen sieht, die ihr eigentlich selbst nicht gefallen, nur über ihren Schatten springen kann sie halt auch nicht.
Es würde zu weit führen, jetzt näher darauf einzugehen, auf jeden Fall hatte sie einige Aha-Erlebnisse und entwickelte selbst das Bild eines Vogels, dem man sämtliche Federn gestutzt hat.
"Das arme nackte Vögelchen", sagte lachend und fügte dann augenzwinkernd hinzu, "und im Grunde hast du das so verinnerlicht, dass du ihm nun selbst auch noch jedes Federchen abrasierst, das sich wagt, ein Spitzlein zeigen zu wollen ..."
Witzigerweise hat sie seit Neuestem eine große Eulenskulptur in ihrem riesigen Garten stehen, noch passender geht es ja gar nicht, und so beschlossen wir, dass sie von nun an ihr Mahnmal ist, wenn sie wieder einmal vorschnell den Rasierer zückt (um bloß kein Gefühl nach außen dringen zu lassen).
Am Ende meinte sie, unser Gespräch habe ihr so gut getan, dass sie kaum Worte dafür fände, und mir ging es genauso, es hatte einfach nur Spaß gemacht und es tut mir mehr als leid, dass ich mich von persönlichen Treffen im Moment besser fernhalten sollte, denn für nächsten Freitag würde sie gern mit mir zu einem Lahmacun-Backkurs ihre Vereines gehen.
Wenn ich türkische Pizza machen wollte, würde ich mir einfach ein Rezept aus dem Internet besorgen, bin also an der Sache an sich gar nicht interessiert, nur dass Beisammensein würde mich sehr reizen, aber da geht F.s Gesundheit eindeutig vor.
So, und nun muss ich los zum Einkaufen ...
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe "Rex-Mama"!
AntwortenLöschenDu - Ich glaube Verwandte können gar nicht anders, als nochmals darauf hinweisen, wie krank ihre Angehörigen sind. Das ist und war bei uns als Oma und Opa krank waren nicht anders, jeder hat was besser gewusst und oftmals besser gemacht und mehr gemacht und sofort. ... Aber letztendlich wirklich da - das oftmals rund um die Uhr war Mama. Die nicht nur ihre Schwiegereltern zu großen Teilen versorgte - sondern ihre eigenen Mutter gleich noch mit.
Du solltest dir das nicht bieten lassen und ruhig mal denen sagen, genau wie du es im Blog tust: "Glaubt ihr denn nicht ... ".
Du machst das Prima mit "F". Wenn ich nur einige Blogs von dir gelesen hätte - und nicht mittlerweile hunderte, wüsste ich sofort wie sehr du um deinen "F" besorgt bist und dich um ihn kümmerst.
Die Freundin von "A" scheint auch eine wirklich nette zu sein, möglicherweise könnte ihr ja noch öfters miteinander telefonieren, wenn das Treffen derzeit nicht möglich ist - auch sie wird einsehen, das "F" absoluten Vorrang hat.
Das du auch ihr geholfen hast - schreibe ich mal deiner Lebenserfahrung zu und das du in so viele unterschiedliche Gebieten dich auskennst und auch Erfahrungen gesammelt hast.
Was mir hingegen leid tut - wie schwer es offenbar Frauen und Mädels noch immer haben, es anderen recht machen zu müssen und in welche klischeehaften Rollenbilder sie gedrängt werden.
Hausarzt zu sein, ist laut Medienberichte auch nicht so einfach. Wobei es heißt, man wäre dabei - das den jungen Ärzten wieder Schmackhaft zu machen. -- Bei Opa und Oma kam noch alle 14 Tage - oder wenn nötig sogar öfters - der Hausarzt vorbei.
Heute ist wie du es schreibst - bist schon fast auf den Notarzt angewiesen, der zu 99% die Leute ins Krankenhaus einweise - so wie man das auch hier hört. - Man darf eigentlich nicht gar nicht mehr schwerer krank werden.
Was mir jedoch die meiste Freude heute in deinem Blog bereitete, so sehe ich das auch - das die Psychische Verfassung großen Anteil daran hat, wie man bereit ist, sich gegen die Krankheit auch zu stemmen.
Da ich nun soviel geredet bzw. geschrieben habe, und nur silbernes herauskam, beende ich diesen Kommentar nach dem Gruß mit schweigen:
Liebe - 23 Uhr 47 - Grüße
Vom lifeminder
Jemand hängt zappelnd über einem gähnenden Abgrund, lieber lifeminder, und versucht verzweifelt nach allem zu greifen, was ihn nur irgendwie halten könnte, und dann steckt oben kurz mal jemand seinen Kopf über den Rand und sagt: Guck mal nach unten, das ist ganz schön tief.
LöschenSo in etwa fühlt sich das an und genau darauf verstanden sich leider auch die Ärzte beim ersten Intensivstation-Aufenthalt. Da kamen dann Sprüche wie "ja, wenn er das hier überhaupt schafft" oder "man sollte sich schon mal übers Abschalten von Geräten Gedanken machen, wenn es so weit ist".
F. konnte ich zum Glück ziemlich abschirmen davon, aber für mich selbst ist das jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube. Da versucht man irgendwie mit der Angst, die einen ja ohnehin ständig beherrscht umzugehen, ich darf mich ja einfach nicht hineinfallen lassen, aber wenn man dann noch zusätzlich runtergezogen wird, hat man heftig zu kämpfen, um auch aus diesem Loch einigermaßen wieder herauszukommen.
Das mit den Hausärzten ist wirklich ein riesiges Problem, früher konnte man sich als Angehöriger die Verantwortung mit ihnen teilen, heute muss man sie ganz allein tragen, weil keiner mehr kommt.
Mit dieser Freundin von A. werde ich sicher noch öfter telefonieren, beide sind nun einmal von einer frauenverachtenden, patriarchalen Kultur/Religion geprägt worden und das Bild mit dem seiner Federn beraubtem Vogel, das sie entwarf, finde ich genial, denn genau das sieht man ja schon an ihren Kopftüchern und der Kleidung, die bis auf Gesicht und Hände kein Fitzelchen Haut sichtbar macht.
(Denke mal an die Situation, als ich A.s Tochter Sicherheit beim Schwimmen und Springen geben musste, während A. - ohne Federn - vom Rand aus zusah.)
Das Fatale daran ist, dass diese moralisierende Blase, die die Deutungshohheit über alles übernommen hat, genau das auch noch unterstützt ...
Deine Mama - bitte drück sie doch einfach mal ganz lieb von mir, denn das ist enorm, was sie leistete, und ich vermute mal, so schwer das auch ist, wenn man mittendrin steckt, im Nachhinein ist es ein sehr gutes Gefühl, es getan zu haben?
Liebe Ich-mag-Silber-sehr-Grüße zurück! :-))