Bevor ich losging zu A., fiel mir ein, dass ich ja Medikamente für F. bestellt habe, also legte ich einen Umweg zur Apotheke ein, wo ich von der leitenden Apothekerin bedient wurde.
"Es fehlt hier richtig was ohne A.", sagte ich augenzwinkernd zu ihr und sie meinte, sie habe auch gestaunt, wie schnell die sechs Wochen Praktikum vorbei waren.
Ob sie mir etwas bestellen dürfe, fragte sie, darauf ich lachend: "Na, das müssen Sie ja wohl, wenn das Zeugs nicht vorrätig ist." 😁
Ach, das sei aber gut, wenn es nicht so eilig wäre, meinte sie, denn manche kämen buchstäblich auf den letzten Drücker, hätten dann die letzte Tablette gerade eingenommen.
Was für Deppen, da waren wir uns beide einig, denn eigentlich sollte doch jeder Bescheid wissen über die Lieferschwierigkeiten, die es so oft gibt.
Ich käme dann alles am Freitag abholen, verkündete ich und fragte, ob ich aber jetzt schon mal bezahlen könnte.
"Ja, wenn Sie das gerne möchten ..."
"Klar", sagte ich, zog den Geldbeutel und daraus einen Fünfzig-Euro-Schein hervor, "noch habe ich ihn, wer weiß, wie das bis Freitag sonst aussähe? Besser isses so für Sie ..." 😅
Was sie dann auch so sah und nun machte ich mit einem Gruß an sie im Gepäck auf den Weg zu A., der natürlich sofort die Bandage an meinem Handgelenk ins Auge sprang.
"Bissl zu schwer gearbeitet", erklärte ich ihr und musste dann bei ihrer Frage, ob ich beim Arzt gewesen sei oder so etwas selber zu Hause habe, grinsen, erinnerte ich mich doch daran, wie M. mir ganz am Anfang mal erklärte, Türken seien eigentlich ständig krank und sie würden dann damit auch immer sofort zum Arzt gehen.
Was ich bei ihnen tatsächlich auch so mitbekomme, während ich mich ja meist erst mal auf mich selber verlasse, und das auch in diesem Falle durchaus mit Erfolg, denn mein Handgelenk ist fast wie neu. 😀
Gefüllte Weinblätter hatte A. produziert, erst das dritte Mal in ihrem Leben, sagte sie und die Blätter selbst hatte ihr die Mutter aus der Türkei geschickt.
Grundsätzlich gehören gefüllte Weinblätter nicht zu meinen Lieblingsspeisen, aber ganz gut geschmeckt haben sie trotzdem, genau wie das selbstgebackene Brötchen und die Waffeln, die es hinterher noch gab.
Letztere mit extra viel Ei drin, erklärte sie mir und schon waren wir wieder einmal beim Thema Essen, das sie ständig umtreibt, stellen sich die Kinder doch extrem sperrig dabei an, mögen so gut wie gar nichts.
Wenn dann noch Geldmangel und stark einschränkende Religion hinzukommen, kann es sehr schnell eng werden. Eigentlich sind sie keine Vegetarier, leben aber trotzdem fast ausschließlich so - Rindfleisch ist sehr teuer, Schwein verbietet der Islam, bei Huhn haben sie Angst vor Antibiotika und Bio muss man sich halt erst mal leisten können.
Also versteckt sie Eier, wo immer es geht, denn offen sichtbar würden sich die Lütten auch diesen verweigern ... 🙄
Wir aßen in Ruhe und quatschten, vor allem auch über ihren Wochenendtrip nach Belgien. Freunde hatten sie dort besucht und ich freute mich über ihr auch dabei zutage tretendes Interesse an der europäischen Kultur. Im Gegensatz zu vielen ihrer Glaubensgenossen haben sie keine Scheu, christliche Stätten zu besuchen und so besichtigen und bewunderten sie eine große Abtei mit einer mehr als 800 Jahre alten, wunderschönen katholischen Kirche. (Sogar heute Morgen schickte sie mir noch einmal einen Link dazu, weil sie wirklich hin und weg waren.)
Dann stürzten wir uns mit Wucht auf die Arbeit, mussten die Ruhe in der ausnahmsweise mal sturmfreien Bude ausnutzen.
Eine Vielzahl von Medikamenten muss sie für die Prüfung beherrschen und nun druckt sie sich jedes Einzelne im Internet aus. D.h. es gibt für jedes Prüfungssimulationen, in denen ein mögliches Beratungsgespräch dargestellt wird und alle Einzelheiten wie Nebenwirkungen, Einnahmevorschriten usw. besprochen werden.
Diese Texte versucht sie umzuformulieren, damit sie sie in eigenen Worten sagen und damit besser auswenig lernen kann, wobei das Ganze dann aber in der Prüfung nicht wie auswenig gelernt klingen darf.
Diemal ging es um ein Antibiotikum, das Frauen bis 65 Jahre bei Blasenentzündung helfen soll und nur in einer einzigen Dosis verabreicht wird.
Eine mögliche Nebenwirkung ist Übelkeit - was A. aber so aussprach: Ö-bellll-keit.
"Nein, Üüübekeit", sagte ich und sie wiederholte, "Ö-bellll-keit." 😁
So wurde das nix, also musste es anders gehen.
Ich beugte mich vor, tat so, als müsse ich mich übergeben, und sagte beim ersten angedeuteten Würgen: Üüü ... belkeit."
"Ahhh, Übelkeit", nun hatte es g'schnackelt, sie sprach das Wort fortan ohne Probleme aus und so ging es dann weiter. Intensiv überarbeiteten wir alle Sätze und ich erdachte mir alle möglichen Fragen, auf die ein Kunde in der Apotheke vielleicht kommen könnte.
Dann ging es um die Blut-Hirn-Schranke, von der ich bis dahin auch noch nie gehört hatte, obwohl sie eine ungeheuer wichtige Barriere ist, die unseren Stoffaustausch streng kontrolliert und das Gehirn vor schädlichen Stoffen aus dem Blutkreislauf schützt.
In einem angenommenen Fall klagte eine Patientin über Parästhesie, also Kribbeln in den Gliedmaßen, und das wiederum kann eine Nebenwirkung des Medikamentes sein, wenn dessen Inhaltsstoffe besagte Blut-Hirn-Schranke überwinden.
"Überwinden? Das Wort kenne ich nicht, gibt kein anderes?", fragte A. und nach kurzem Nachdenken antwortete ich ihr:
"Tut mir leid, dieses Wort ist ideal dafür, mir fällt kein besseres ein. Ich fürchte, du wirst es lernen müssen."
Also nahm sie es zähneknirschend in ihren Wortschatz auf, wobei sie aber insgeheim eigentlich ziemlichen Spaß am Wortreichtum der deutschen Sprache hat, denn die türkische ist sehr viel einfacher gestrickt.
Ich gehe, laufe, fahre, hüpfe mal eben, flitze kurz, marschiere ... wie viele Ausdrücke würden mir einfallen, um zu beschreiben, dass ich zu Netto gehe? Im Türkischen gäbe es dafür nur ein einziges, immer gleiches Wort, und genau das macht neben der extrem komplizierten Grammatik das Lernen für A. so schwierig.
Aber wir beißen uns durch, teilweise mit richtig viel Gelächter, z.B. auch beim Wort Niereninsuffizienz.
Meine Güte, daran brach sie sich schier den Gaumen, ich machte es ihr so oft vor, bis ich es selber kaum noch gerade herausbrachte, am Ende kullerten uns beiden fast die Tränen vor Lachen. 🤣
Und dann hatten wir beiden den gleichen Gedanken - noch bevor ich ihn aussprechen konnte, übernahm sie es und sagte, dass es genau das sei, was ihr das gemeinsame Lernen mit mir so wertvoll mache.
Sie könne sich ihre ganzen Blätter tausend Mal durchlesen und alles auswendig zu lernen versuchen, aber das würde oft nicht viel bringen, während sie sich das, was wir zusammen erarbeiten, meist ganz mühelos merken könne. Nur so würde es eben wirklich hängen bleiben.
(Die berühmten Eselsbrücken eben ...)
Wie meistens war ihr Kopf nach etwa zwei Stunden "kaputt", doch just als ich mich auf den Heimweg machen wollte, ging ein heftiger Schauer nieder, also setzte ich mich noch mal an den Tisch und nun fiel ihr ein, dass sie ja auch noch Hilfe brauchte bei einer Internetsache und sie holte flugs noch den Laptop hervor, den sie sich mit M. teilen muss.
Ihre Prüfung würde sie gern bei einer westfälischen Apothekerkammer ablegen, das Schriftliche haben wir mit denen auch bereits gemeinsam geklärt, aber nun ging es noch um kostenlose Vorbereitungs-Crashkurse, die die anbieten und für die man sich eigentlich im Internet anmelden können müsste.
Wir versuchten es gemeinsam, kamen aber nicht weiter und nachdem ich es auch am Abend noch einmal ohne Erfolg auf meinem eigenen PC probierte, wird es nun wohl darauf hinauslaufen, dass wir beim nächsten Treffen gemeinsam dort anrufen werden bzw. ich dann halt das Reden übernehme.
Schaun mer mal ...
Auf jeden Fall war es wieder sehr schön mit uns beiden und ich freue mich schon aufs nächste Treffen, das gleich stattfinden soll, wenn sie ein weiteres Medikament durchgearbeitet hat.
Unnu hilft alles nix mehr, jetzt ist Herr Hoover fällig, viel anderes kann man eh nicht machen, weil es Bindfäden regnet.
Immerhin hatten Bubi und ich in der Früh noch Glück und kamen trockenen Fußes nach Hause.
Habt einen schönen Tag und ... bleibt bitte gesund! 😉
Hallo, Liebe "Rex-Mama!"
AntwortenLöschenWie wunderbar einmal mehr von deinem Treffen mit "A" zu lesen war.
"A" wirkt viel motivierter wie bei eurem letzten treffen. Das sie bereit ist Crashkurse und mehr zu machen, spricht so sehr für sie. - Das ihr Tränen mittlerweile lachen könnt, ist einfach super zu Lesen. - Auch ich haber über die kleineren Aussprechfehler und das Mühen hier vor deinem Blog gelacht. - Das sind die kleinen Momente, die sicher in Erinnerung bleiben werden und in Zukunft immer mal wieder aufploppen werden!
Wenn ich das Lese - vom Belgien-Ausflug - scheint auch "M" insgesamt lockerer zu sein wie ich glaubte - wie sein glauben funktioniert. - Schön, dass es diese Offenheit gibt.
Auch die Mühe die sie sich macht. Finde ich einfach toll.
Besser noch gefält mir, dass du so viel Zeit auch in sie investiert.
Na manchmal müssen die Kinder da durch. Wie will ich denn beurteilen ob mir etwas schmeckt, wenn ich es nicht versucht habe?
Ja, wenn man ein 50er in der Wochenmitte in der Tasche hat, das er dann freitags möglicherweise nicht mehr da ist, dass kenne ich auch.
Liebe - auch Herr Hoover ist ein Guter - Grüße
Vom lifeminder
Da saß es ihr halt noch in den Knochen, lieber lifeminder, dass sie sechs Wochen lang fünfmal in der Woche dreineinhalb Stunden gearbeitet hatte und dabei stehen musste.
LöschenUmsonst kam dann nicht der Spruch, dass es ihr im Grunde lieber wäre, wenn M. künftig das Geld verdienen würde (wenn er denn jemals so weit sein sollte). Sie ist halt nicht sehr belastbar, auf der anderen Seite aber Gülenistin und die sind in meinen Augen durchaus mit Scientologen vergleichbar. Indoktriniert, auf Linie gebürstet und Bildung steht ganz oben auf der Agenda, denn das Ziel sind gut bezahlte und möglichst einflussreiche Positionen.
Sie will die Prüfung auf jeden Fall schaffen, aber natürlich steht ihr im Wege, dass sie ja abgesehen von mir ausschließlich mit Türken zusammen ist und Deutsch nur in den teuren Kursen lernt, von denen der nächste am 1.9. beginnen wird.
Dieser Crashkurs fände dann direkt bei der Apothekerkammer statt und es ist gut möglich, dass ich dann mit ihr nach Münster fahren werde.
Die Kinder, seufz, auch sie werden ja schon kräftig auf Linie gebracht, müssen zweimal in der Woche zum Koranunterricht in den Verein, dafür tanzen sie ihnen aber den Rest der Zeit auf der Nase herum, essen nicht und wollen nicht ins Bett, halten sie die halbe Nacht auf Trab.
Weil sie sie dann halt tagsüber auch schlafen lassen.
Das würde bei mir ganz schnell abgestellt. Tagsüber gäbe es Action, so dass sie abends müde wären.
Wobei ich aber immer noch nicht durchblicke, ob sie als "nur" Frau den Kleinen überhaupt in irgendeiner Form maßregeln dürfte, weil er ja männlich ist.
Mitbekommen habe ich jedenfalls noch nie etwas davon, sondern jeder seiner Quengeleien wird nachgegeben.
Liebe "Herr Hoover ist ein Guter, nur sein Schlauch ist etwas zu kurz geraten"-Grüße zurück! :-)))
Was ist denn da mit "M"?
AntwortenLöschenDa ist er doch als Vater gefordert - wenn ich bis in den Mittag hinein im Bett liege, will ich auch nachts nicht schlafen. - So zur Koranschule gehen sie, ob sie da wohl auch so einen Aufstand machen. Oder sind sie nur Zuhause "Räuber".
Der Ehrgeiz von "A" ist da. Trotz der ganzen Familien-Anstrengungen. Hast du denn mal "A" und "M" so im alltäglichen Zusammenspieler länger miteinander gesehen? - Wie wirkt das auf dich?
Ich habe mal gelernt, das Rituale nichts verkehrtes für Kids wären. - und für einen selbst auch nicht. - Das heißt immer zur gleichen Zeit zu Bett gehen. Vorher eine Gute Nacht Geschichte etc. - Doch das was die Beiden da abziehen, scheint schon eine Kategorie für sich zu sein. - Möglicherweise würde den 2 ein wenig Sport nicht schaden.
Es ist wirklich sensationell wie du es schaffst - mir Charaktäre nahe und näher zu bringen, dass ich mir darüber Gedanken mache.
Ich glaube, mal nach Münster zu kommen, ist für dich vielleicht auch mal gut - das ist was anderes und bringt dich aus dem Alltagstrott mal heraus. - Der wohl genau wie bei mir, dennoch das große Fundament von allem ist?
Natürlich haben wir x-mal darüber gesprochen, auch über Gutenachtgeschichten usw. und M. habe ich schon zwei Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen, kann also gar nix über das Zusammenspiel sagen, bekomme ja immer nur A. mit den Kindern mit.
LöschenIm Verein treffen sie rund um den Koranunterricht natürlich auf ihre ganzen Freude und da das Gelände riesig ist, können sie dort schon herumtoben und ich glaube, für zusätzlichen Sport wäre kaum Zeit da, wenn sie ja eh erst um dreie von Kindergarten und Schule kommen, zumal es unter Türken auch üblich ist, dass man sich ständig hin und her besucht.
Münster kenne ich, aber ich hätte wohl kaum Zeit, die Schönheit der Innenstadt zu bewundern, falls ich es bin, die A. dann begleiten müsste, denn da würde ich nur vor der Schule herumsitzen und warten, bis ihr Kurs beendet ist, während ich mich gleichzeitig sorge, ob bei F. alles in Ordnung ist.
Also abwarten, ob es nötig wird, besonders scharf drauf bin ich nicht. ;-)
Ein wenig Platz für Sport wäre sicher nicht verkehrt. Ob das auf dem Dorf anders ist - ich sehe es beim Fußball, da sind ganz viele türkische Kinder unterwegs.
AntwortenLöschenDass das Gelände riesig ist, ist nicht das verkehrteste, solange es überschaubar ist - und die Kids herumtoben können. Auch das tut gut und macht vor allem müde.
Hm verstehe, dass du nicht scharf drauf bist vor der Schule herumzusitzen - am Besten gefällt mir nach wie vor - wie du das alles unter einen Hut trotzdem bringst. - Ich bin schon randvoll mit den Dingen ich so zum Alltag zähle.
Habe einen wunderbaren Sonntag!